Verschwörungstheorien, Schwarz-Weiß-Denken und Gewaltfantasien: Weshalb radikalisieren sich manche Menschen? Die britische Forscherin Leor Zimgrod hat in der Psyche von Extremisten ein Muster entdeckt.
Die Frage, weshalb manche Menschen zu Extremismus neigen, beschäftigt die Forschung seit Jahren. Eine neue Studie zeigt nun, dass Menschen mit extremistischen Einstellungen bei kognitiven Tests schlechter abschneiden. Konkret: Wer extremistische Einstellungen hat, scheitert öfters bei komplexen Aufgaben. Diese Erkenntnis bietet neue Möglichkeiten der Prävention.
Extremisten lassen sich anhand kognitiver Merkmale identifizieren – das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Cambridge und Stanford herausgefunden.
An der Studie beteiligten sich mehr als 330 Personen im Alter von 22 bis 63 Jahren.
Bei den Umfragen sollten die Probanden ihren Grad der Zustimmung oder Ablehnung zu gewissen Fragen äußern, die darauf zielen, die Religiosität einzuschätzen („Wie oft beten Sie?“ oder: „Wie oft gehen Sie – Trauungen und andere Feste ausgenommen – in die Kirche?“) oder politischen Extremismus oder Patriotismus zu erfassen („Ich würde jemanden angreifen, der Amerika als Ganzes beleidigt oder sich darüber lustig macht“ oder: „Wir sollten alles Notwendige tun, um die Macht unseres Landes zu vergrößern – selbst, wenn das Krieg bedeutet“).
Die kognitiven Aufgaben dagegen waren in der Studie neutral formuliert. Das bedeutet, dass sie weder emotionale noch politische Einflüsse enthielten. Zum Beispiel wurden die Probanden aufgefordert, visuelle Formen auswendig zu lernen oder Formen von Objekten zu identifizieren.
Extremisten sind überfordert von komplexen Aufgaben
Die Studie zeigte, dass die Teilnehmer, die bei den psychologischen Fragen extremes Gedankengut aufgezeigt haben, auffällig schlecht in diesen Tests abschnitten. Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bedeutet das: Extremistische Einstellungen beeinflussen die Fähigkeit, sich auf komplexe und strategische mentale Prozesse einzulassen.
Darüber hinaus zeigte die Studie Verhaltensmerkmale von Menschen mit Tendenzen zum Extremismus. So falle es Extremisten schwer, ihre Emotionen zu regulieren, und sie neigten zu impulsiven Entscheidungen.
Leor Zmigrod, die Hauptautorin der Studie, sagte gegenüber der englischen Zeitung „The Guardian“, diese Erkenntnisse „könnten dabei helfen, zu verstehen, welche Art von Person bereit sein könnte, Gewalt gegen unschuldige andere auszuüben.“
Die Studie bietet aber auch eine Erklärung dafür, warum bestimmte Menschen anfälliger für Verschwörungstheorien und andere Formen des Extremismus sind. Laut den Studienresultaten neigen Betroffene offenbar zu einem Denken in Schwarz und Weiß. Anders ausgedrückt: „Wenn man Schwierigkeiten hat, komplexe Inhalte zu verarbeiten, dann sucht man nach Ideologien, die eindeutige und schlüssige Erklärungen der Welt bieten“, sagt Zmigrod, die am Lehrstuhl Psychologie der Universität Cambridge forscht.
Zwar hätten sie die Teilnehmer der Studie nicht in den Hirnscanner gelegt, sagt die Wissenschaftlerin. Sie geht jedoch davon aus, dass bei Betroffenen eine Komplexitätsreduktion im Gehirn veranlagt ist. Diese Annahme ermöglicht neue Möglichkeiten in der Präventionsarbeit, betont Zmigrod in einem Interview für das ORF. An diesem Punkt sollte insbesondere in den Bereichen Bildung und Medien angesetzt werden: „Wenn Menschen flexibel in ihrem Denken sind, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich extremen Ideologien zuwenden.“
Radikalisierung vorbeugen
Um Radikalisierung zu vermeiden empfiehlt die Wissenschaftlerin:
«Man kann auf verschiedenen Ebenen ansetzen, zum einen bei der Bildung: Wir müssen unseren Kindern beibringen, Informationen ausgewogen zu verarbeiten. „Intellektuelle Bescheidenheit“ könnte man es auch nennen. Darüber hinaus wäre es auch wichtig, bei den Medien anzusetzen. Wie verbreiten Online-Plattformen extreme Narrative? Dieser Frage müssen wir uns stellen, es braucht es mehr Kontrolle und mehr Fakten-Checks. Wenn Menschen flexibel in ihrem Denken sind, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich extremen Ideologien zuwenden.»
Quellen:
Wer extremistische Einstellungen hat, scheitert häufiger bei komplexen Aufgaben (WELT)
Psychologie: Wie Extremisten ticken (science.orf)
Siehe auch:
Radikalisierung von Extremisten durch Verschwörungsideologien
Die Radikalisierung von Extremisten durch Verschwörungsideologien
Anmerkung:
Auch wenn die psychologische Forschung kognitive Auffälligkeiten bei Extremisten zeigt, sollte das Phänomen Extremismus nicht pathologisiert werden, weil dadurch möglicherweise gesellschaftliche Faktoren ausser acht gelassen werden.