Verschwörungstheorien gehören zum Werkzeugkasten der Demagogen. Deshalb ist es wichtig, zusammenhängend mit Verschwörungstheorien das grössere Themenfeld der Demagogie und der Demagogen in den Blick zu nehmen.
Erich Fromm (1900 – 1980) hat sich in einem Gespräch mit Hans Jürgen Schultz zu einer wichtigen Frage geäussert.
Wie kann man eine Demokratie vor Demagogen bewahren?
«Das ist die zentrale Frage, speziell für eine Demokratie. Wie kann man eine Demokratie davor bewahren, Demagogen anheimzufallen? Die Menschen in der Demokratie sollen ja selbst urteilen. Und wie können sie selbst urteilen, wenn sie nur das glauben, was der Politiker sagt? Nun ist das ja nicht ganz und gar so. Es gibt schon unterschwellig bei den Wählern Gefühle über die Ehrlichkeit, Verlogenheit, Aufrichtigkeit, Anständigkeit oder Doppelzüngigkeit eines Kandidaten – dafür haben wir Beispiele in den Vereinigten Staaten und wohl auch in Deutschland. Aber das ist doch alles sehr wenig entwickelt.
Man muss wohl sagen, dass die Demokratie (neben vielen anderen Bedingungen, die ich jetzt nicht erwähne) nur funktionieren könnte, wenn die Menschen lernten, auf das zu sehen, was die herrschenden Tendenzen und Leidenschaften in einem Politiker sind, was der philosophische und quasi-religiöse Charakter seiner Lehre, seiner politischen Meinung ist. Und das heisst zunächst einmal, man muss etwas verlernen – man muss verlernen, dass das wichtig ist, was ein Mensch sagt, und lernen, dass man auf den Menschen als Ganzes schaut.
Es ist sehr merkwürdig: In unserem Geschäftsleben machen wir uns diese Forderung noch am besten zu eigen. Wenn jemand einen anderen anstellt oder sich mit ihm zu einer Partnerschaft zusammentut, dann ist er ja doch gewöhnlich nicht so dumm, dass er nur anhört, was der Mann von sich erzählt, sondern er will auch einen Eindruck bekommen von seiner Persönlichkeit. Je egoistischer unsere Interessen sind, desto vorsichtiger sind wir und desto mehr urteilen wir auch charakterologisch. Aber sowie es um soziale oder politische Interessen geht, da wollen wir uns ausruhen, da wollen wir jemanden haben, der uns nach dem Mund redet, der um unsere Gunst buhlt, und den wir dafür belohnen, dass er das tut. Deshalb sehen wir ihm nicht ‘aufs Maul’ und interessieren uns nicht dafür, wer er ist. Aber wir können das lernen.»
Mut zum Widerspruch
Erich Fromm fügt jedoch an, dass es Mut brauche zu sagen:
«Dieser Mann ist ein Schwindler, seine Politik geht auf Zerstörung aus, seine Ziele sind völlig anders, als er es uns sagt, seine Vision ist eine Form von Weltanschauung oder Religion, die im Widerspruch zu all dem steht, was wir für gut halten – dazu gehört Mut.»
Hans Jürgen Schultz spricht Erich Fromm in diesem Gespräch auf die Frage an, «wann und wo Widerstand beginnen muss, damit er weit vor der Notwendigkeit eines Attentats bereits effektiv werden kann.»
Erich Fromm dazu:
«Wenn man mit dem Widerstand gegen Hitler erst nach dessen Sieg anfängt, dann hat man schon verloren, ehe man beginnt. Denn um zu widerstehen, muss man einen Kern haben, eine Überzeugung, muss man sich trauen können, muss man kritisch denken können, muss man ein selbständiger Mensch sein….
Das zu erreichen…..erfordert viel Anstrengung, Übung, Geduld; wie alles Können erfordert es lernen. Wer sich so entwickelt, erlernt auch die Fähigkeit, zu wissen, was gut – oder schlecht – für ihn und für die anderen ist und zwar gut oder schlecht für ihn als Menschen, nicht für Besitz, Erfolg, Macht…..
Die allgemeine Passivität, der Mangel an gestaltender Mitwirkung bei den eigenen und den sozialen Lebensentscheidungen – das ist der Boden, auf dem Faschismus oder Bewegungen ähnlicher Art, für die wir die Namen meistens erst nachträglich finden, wachsen können.»
Quelle:
Über die Liebe zum Leben, Erich Fromm, dtv 1986
Am besten wäre wohl, auf beides zu achten: Was einer sagt und wie einer etwas sagt.
Und beim Lernen des kritischen Denkens ist es wichtig, die Unterschiede zu beachten:
Es gibt einen gesunden Zweifel, gesundes Misstrauen, die konstruktiv sind und wichtig für eine funktionierende Demokratie.
Und es gibt einen toxischen Zweifel, ein toxisches Misstrauen, die sind destruktiv. Sie wirken, wenn sie sich ausbreiten, zersetzend auf demokratische Prozesse und Institutionen. Verschwörungstheorien fördern toxischen Zweifel und toxisches Misstrauen.
Hier mehr zu diesem Thema:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen
Und hier ein Beitrag zum Thema «Kritik»:
Demagogie & Verschwörungstheorien (Lexikoneintrag auf dieser Website)