Ohne ein gewisses Mass an Zweifel kommen weder Demokratie noch Wissenschaft aus. Der Gegensatz zum Zweifel ist die Leichtgläubigkeit. Verschwörungsgläubige pflegen einen speziellen Umgang mit Zweifel und Leichtgläubigkeit. Während sie gegenüber den eigenen Verschwörungstheorien, den eigenen Quellen und allen Hinweisen und Belegen, die scheinbar für ihre eigenen Verschwörungstheorien sprechen, in der Regel ausgesprochen leichtgläubig sind, bringen sie Zweifel reflexartig, einseitig und oft zwanghaft und überzogen gegenüber allen etablierten und offiziellen Erklärungen in Stellung.
Der Zweifel dient in diesem Fall nicht als Werkzeug, um ehrlich gemeinte Fragen zu stellen. Er wird vielmehr benutzt, um unliebsame Vorstellungen zu unterminieren.
Diese Strategie kann auch die Variante annehmen, «wir fragen ja nur». Der Unterschied zwischen Wissenschaftlern und Verschwörungstheoretikern ist unschwer zu erkennen: Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wollen unbedingt Antworten auf ihre Fragen und werden alle denkbaren Alternativen sorgfältig berücksichtigen. Verschwörungsgläubige dagegen stellen immer wieder die gleichen destruktiven Fragen, auch wenn sie längst beantwortet sind. Es geht ihnen primär darum, mit ihren Fragen Zweifel zu säen und vorher schon feststehenden Antworten suggestiv den Weg zu bahnen. Es geht ihnen nicht um eine offene Entdeckungsreise, die zu echten Erkenntnissen führt.
Zweifel schüren am wissenschaftlichen Konsens
Selbstverständlich gibt es auch in der Wissenschaft Zweifel und Zweifler. Die Wissenschaft ist sich niemals zu 100 Prozent sicher – um dieses Ziel geht es ihr gar nicht. Sie will nicht einmal Theorien beweisen, sondern sie vielmehr widerlegen. Wissenschaftliche Theorien finden unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dann zunehmend Akzeptanz, wenn sie ernsthafte Versuche überstanden haben, sie zu widerlegen. Das gilt aber jeweils nur vorläufig, denn schon das nächste Experiment kann eine etablierte Theorie widerlegen.
Für wissenschaftliche Bildung genügt es nicht zu wissen, wie die beste und aktuellste wissenschaftliche Erklärung eines Phänomens lautet. Es gehört ebenso dazu zu wissen, wie sicher wir uns sind, dass wir damit richtigliegen und ob die zugrunde liegende Frage damit vollständig beantwortet ist (was bleibt noch offen?).
Manche dieser Theorien sind umstritten, andere einfach unbekannt, wieder andere sind ziemlich fundiert und belastbar. Am einen Ende dieses Spektrum befinden sich Theorien, die so gut bestätigt sind, dass es kaum mehr möglich ist, ihnen die vorläufige Zustimmung vorzuenthalten.
Verschwörungstheoretiker und andere Wissenschaftsleugner verstärken die Zweifel an einer wissenschaftlichen Theorie in einer manipulativen Weise. Sie greifen Differenzen und Lücken auf, die es in wissenschaftlichem Wissen immer gibt, und spielen sie hoch, während sie den wissenschaftlichen Konsens unter den Tisch wischen.
Ein Teil dieser Strategie besteht darin, sich darauf zu berufen, dass sich wissenschaftlich fundiertes Wissen im Laufe der Zeit verändert. Daraus folgern Verschwörungstheoretiker und andere Wissenschaftsverweigerer: Wenn sich Wissenschaftler in der Vergangenheit irrten, dann ist das erneut möglich. Obwohl niemand bestreitet, dass aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse vorläufiger Natur sind, läuft diese Schlussfolgerung ins Leere. Jedenfalls dann, wenn eine gut fundierte wissenschaftliche Erkenntnis mit vagen Spekulationen der Verschwörungstheoretiker verglichen wird.
Künstliche Erzeugung von wissenschaftlichem Dissens: Die «Händler des Zweifels»
Nicht selten kommt es vor, dass Wissenschaftler oder Ärzte, ohne dass sie Fachexperten sind, eine Debatte entfachen, die es ohne sie nicht geben würde. Die Wissenschaftshistoriker Naomi Oreskes und Eric Conway beschrieben die Strategien dieser „Händler des Zweifels“:
Da werden etwa einzelne Details herausgepickt, Zitate aus dem Zusammenhang gerissen, Kritik an Messmethoden geübt, Gegenbeispiele aufgeblasen – und nicht zuletzt persönliche Angriffe auf einzelne Forscher gestartet.
So stehen dann Ärzte gegen Ärzte, Wissenschaftler gegen Wissenschaftler.
Wissenschaft lebt zwar von Kontroverse, die manchmal auch hitzig daher kommen kann. Auch bei den „Händlern des Zweifels“ entsteht auf den ersten Blick der Eindruck, das sei eine Debatte unter Wissenschaftlern, was aber in diesen Fällen nicht zutrifft. Das lässt sich gut an sogenannten Corona-Skeptikern wie Wolfgang Wodarg oder Sucharit Bhakdi zeigen. Beide sind Ärzte, der eine auch Wissenschaftler. Aber beide stellen sich dem Selbstreinigungsprozess der wissenschaftlichen Diskussion eben gerade nicht.
Sie veröffentlichen nicht in Fachzeitschriften, die ihre Qualität durch aufwendige Review-Verfahren sichern, und in denen sie sich an wissenschaftliche Standards halten müssten. Sie treten in YouTube Videos auf, nehmen an Fernseh-Talkshows teil oder publizieren ein populäres Buch.
Adressaten ihrer Botschaften sind damit nicht Fachwissenschaftler, sondern eine Öffentlichkeit, die sich durch Doktortitel und medizinisches Fachvokabular beeindrucken lässt. Was auf diese Art und Weise entsteht, ist eine Debatte, die auf Laien wirken mag wie eine wissenschaftliche Diskussion. Aber sie ist es ganz und gar nicht.
Zweifel durch „Experten“ ohne wissenschaftliche Standards
Nimmt man die Argumentationsstrategien der Corona-Skeptiker genauer unter die Lupe, taucht ein bekanntes Muster auf. Es gleicht dem Vorgehen der Klimawandel-Skeptiker, die seit den 90er-Jahren im Dienst der Ölindustrie oder konservativer Thinktanks antraten, um ökologische Themen so lange wie möglich als wissenschaftlich „kontrovers“ erscheinen zu lassen.
Über Jahrzehnte wurden so Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen professionell produziert – zum Beispiel an der Existenz des Ozonlochs, an der menschengemachten Klimaerwärmung, an der Schädlichkeit von DDT, Tabak, Zucker etc. Das geschah mit Hilfe von Wissenschaftlern, die Kontroversen in der Öffentlichkeit entfachten, unterstützt von PR-Agenturen, Lobbying-Organisationen und Branchenverbänden.
Mit der künstlich produzierten Kakophonie von „wissenschaftlichem“ Dissens soll in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, die Experten wüssten selbst nicht so genau, was eigentlich los ist – oder noch schlimmer – dass sie lügen wider besseres Wissen.
Dabei ist es für Laien gar nicht einfach zu unterscheiden, wer ein wirklicher Experte in einem Bereich ist und wer nur ein Selbstdarsteller. Dazu kommt oft noch das «False-balance»-Phänomen, wenn in den Medien einer Aussenseiterposition das gleich grosse Podium geboten wird wie dem wissenschaftlichen Konsens. Aus einer in Wissenschaftsfragen nicht angemessenen Balance-Vorstellung heraus werden dann zum Beispiel für eine TV-Diskussion ein Klimaerwärmungs-Leugner und ein Klimatologe eingeladen, der den klimatologischen Konsens vertritt. So wir eine Gleichgewichtigkeit dieser beiden Positionen vorgegaukelt, die so nicht gegeben ist, weil mehr als 98% der Klimawissenschaftler hinter dem wissenschaftlichen Konsens stehen.
Zweifel ist zwar unentbehrlich für Wissenschaft und Demokratie. Er kann aber auch als Instrument eingesetzt werden zur Durchsetzung von politischen oder wirtschaftlichen Interessen.
Quellen:
Bedienungsanleitung für deinen Verstand – kritisch Denken in einer Welt voller Halbwissen, von Steven Novella, Riva Verlag 2019
Eva Horn über Verschwörungstheorien: „Die Wirklichkeit zerbröselt“ (Berliner Zeitung, Abo)
Anmerkung:
Zur Unterscheidung zwischen gesundem Zweifel und toxischem Zweifel siehe auch hier:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen