Die Vorstellung einer «Wissenschaftsverschwörung» taucht im «Reich der Verschwörungstheorien» an vielen Orten mehr oder weniger deutlich auf. Je umfassender diese Vorstellungen sind, desto absurder werden sie.
Klar ist:
☛ Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler machen Fehler. In der Wissenschaft gibt es allerdings eine Kultur, Ergebnisse gegenseitig zu überprüfen und in Frage zu stellen. Dadurch können Fehler mehr oder weniger schnell eliminiert werden. Der komplexe wissenschaftliche Erkenntnisprozess ist zwar nicht gefeit gegen Pannen und blinde Flecken, doch ist Wissenschaft das Beste, was wir zur Gewinnung von fundierten Erkenntnissen haben.
☛ Die Wissenschaft ist nicht grundsätzlich immun gegen wirtschaftliche und politische Vereinnahmung. So gibt es immer wieder Fälle, in denen Wissenschaftler Teil einer realen Verschwörung wurden und sich kaufen liessen.
Ein Beispiel dafür ist die Tabakindustrie, der es über Jahrzehnte gelang, bewusst Zweifel über die Gesundheitsschädlichkeit ihrer Produkte zu streuen und damit Gesundheitsschutzmassnahmen und Entschädigungszahlungen zu verhindern. Wikipedia schreibt dazu:
«Fast ein halbes Jahrhundert lang heuerte die Tabakindustrie Wissenschaftler an, die nach und nach erst die Lungenkrebsgefahr von Rauchern bestreiten, dann das erhöhte Risiko für Herzerkrankungen und weitere Gesundheitsgefahren leugnen und schließlich die Gesundheitsgefahren des Passivrauchens abstreiten sollten. Durch dieses Vorgehen zur systematischen Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse schaffte es die Tabakindustrie, trotz eines existierenden wissenschaftlichen Konsenses über die Gesundheitsgefahren des Rauchens und trotz Millionen Todesfällen, die mit dem Rauchen in Verbindung standen, staatliche Regulierung und Entschädigungsmaßnahmen um Jahrzehnte zu verzögern.»
Das ist ein unverzeihliches Fehlverhalten, sowohl von Seiten der Tabakindustrie als auch von den beteiligten Wissenschaftlern her. Erwähnt werden muss dazu aber auch, dass der wissenschaftliche Konsens diesem Täuschungsmanöver entgegenstand und sich am Schluss durchgesetzt hat.
Ein drastisches Beispiel für die Vereinnahmung der Wissenschaft zu politischen Zwecken ist der Lyssenkoismus im Stalinismus (Zum Lyssenkoismus siehe auf Wikipedia).
Soviel zur Realität von wissenschaftlichem Fehlverhalten und «Wissenschaftsverschwörung».
Und nun zur globalen «Wissenschaftsverschwörung» der Verschwörungsgläubigen
Verschwörungsgläubige bleiben bei ihrer hochgradigen Suche nach Mustern, Anomalien und Zusammenhängen nicht bei zeitlich, örtlich und zahlenmässig begrenzten Verschwörungen stehen. Sie gehen sehr viel weiter und konstruieren in zahlreichen Bereichen die globale Wissenschaftsverschwörung.
☛ Will man die menschengemachte Klimaerwärmung als Verschwörung abtun, muss man davon ausgehen, dass Hundertausende von Forscherinnen und Forschern, inklusive den wissenschaftlichen Gesellschaften und Instituten in diese Verschwörung eingebunden sind. Gero von Randow schreibt dazu in «Zeit Geschichte» (3/2020):
«Das ist allein schon deswegen nicht plausibel, weil die an den IPCC-Berichten beteiligten Akademien, Universitäten und Forschungsverbünde etwa 400 000 Mitarbeiter beschäftigen, über die ganze Welt verstreut sind und von rund 120 Institutionen beobachtet werden. Bisschen viel für eine Verschwörung, die sich mehr als 30 Jahre nach Gründung des Klimarates immer noch nicht nachweisen lässt.»
☛ Auch die «Flacherdler»-Verschwörungstheorie würde eine ungeheure Zahl von Mitverschwörern bedingen, sollte sie wahr sein. Ganze Wissenschaftszweige wie Geologie oder Astronomie müssten ihre Ergebnisse durchgängig fälschen und diese globale Lüge geheim halten. Das ist vollkommen undenkbar.
Es könnte hier noch eine ganze Reihe von derartigen globalen Verschwörungstheorien aufgezählt werden.
Schon der italienische Staatsmann Niccolò Machiavelli (1469 – 1527) schrieb jedoch:
«Vor der Entdeckung einer Verschwörung kann man sich nicht schützen, wenn die Anzahl der Mitwisser drei oder vier übersteigt.“
Das ist zwar vielleicht etwas überspitzt formuliert und eine Wissenschaftsverschwörung hat Machiavelli zeitbedingt bestimmt nicht gemeint. Aber dass eine reale Verschwörung umso eher auffliegt, je mehr Mitverschwörer involviert sind, ist ein wichtiger Einwand.
Cui bono? – wem nützt es?
«Cui bono?» ist ein häufig verwendetes Leitmotiv in der Argumentation von Verschwörungstheoretikern. Wem ein Ereignis nützt, der muss es auch verursacht haben. Das ist ein einfaches und direktes Verfahren zur Auffindung von Sündenböcken. Ein zu einfaches und zu direktes Verfahren – denn fast jeder Krimi zeigt, dass der Mörder nicht unbedingt derjenige mit dem offensichtlichsten Motiv ist.
Vielleicht wäre es aber sinnvoller und passender, «Cui bono?» auf die Verschwörungstheorien selber anzuwenden. Wem nützt es, Erzählungen von einer Wissenschaftsverschwörung zu verbreiten?
Wahrscheinlich am ehesten denjenigen, denen die Ergebnisse dieser Wissenschaft nicht in den Kram passen. Haben Verschwörungsgläubige keine oder nur schlechte Argumente, bleibt nur die Diffamierung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als gekauft. Und das endet dann oft in der Unterstellung einer Wissenschaftsverschwörung. Gut zu beobachten ist das «Cui bono?» bei denjenigen Verschwörungsgläubigen, die den menschengemachten Klimawandel leugnen und der Klimawissenschaft eine Verschwörung unterstellen. Die Shell Papers haben gezeigt, dass Dutzende Multis die sogenannten Klima-Skeptiker finanzierten. Mehr dazu: Leugnung der Klimaerwärmung. Die Shell Papers sind eine Antwort auf die „Cui-bono?“-Frage.
Bei den «Flacherdlern» liegt das «Cui bono?» nicht so auf der Hand. Die Flat-Earth-Bewegung postuliert jedoch im Grunde, dass die gesamte Naturwissenschaft in eine Verschwörung verwickelt ist, um die „Tatsache“ zu verheimlichen, dass die Erde eine Scheibe ist. Dadurch fördern diese Vorstellungen ein fundamentales, verallgemeinertes und toxisches Misstrauen gegen die Wissenschaften.
Zu dieser Art von Verschwörungsglauben sagt vielleicht ja Gero von Randow in «Zeit Geschichte» (Nr. 3/2020) etwas Passendes:
«Dass das Weltbild der Anhänger solcher Theorien gegenüber vernünftigen Einwänden unempfindlich ist, verweist darauf, dass diese Ideen seelische Bedürfnisse befriedigen: Sie dämpfen das Ohnmachtsgefühl angesichts des Machtgefälles zwischen Laien und Forschern. Sie geben das Gefühl, man habe die fremdartige Zauberwelt von Wissenschaft und Technik als Blendwerk durchschaut.»
Siehe auch: Wissenschaftsverweigerung / Wissenschaftsleugnung