Konfrontiert man Verschwörungsgläubige mit Kritik an ihren Überzeugungen, weisen sie oft empört darauf hin, dass es schliesslich auch echte Verschwörungen gebe. Wer das leugne sei einfach dumm. Das ist ein Ablenkungsmanöver.
In Wirklichkeit gibt es nämlich wohl kaum jemanden, der behaupten würde, es gebe keine echten Verschwörungen.
Selbstverständlich gibt es echte Verschwörungen. Zum Beispiel das Bündner Baukartell, das wesentlich vom Magazin «Republik» aufgedeckt wurde. Echte Verschwörungen werden oft durch investigativen Journalismus aufgedeckt. Ein weiteres Beispiel dafür sind die Panama-Papers.
Wie unterscheidet sich Investigativ-Journalismus von Verschwörungstheorien?
Dazu hat die Germanistin Eva Horn in einem Interview mit MDR interessante Erklärungen geliefert. Sie ist Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Wien:
«Es gibt auch echte Verschwörungen, ja. Und insofern ist das, was investigativer Journalismus tut, tatsächlich manchmal nahe an dem dran, was Verschwörungstheorien nur versuchen: Nämlich eine alternative Wahrheit aufzudecken. Der Unterschied liegt in den Wahrheitsstandards. Investigativer Journalismus, wenn er das tut, was er soll, ist extrem hohen Wahrheits- und Beweisstandards verpflichtet und muss wirklich nachweisen, was er herausgefunden hat.
Verschwörungstheorien dagegen haben überhaupt keine Wahrheitsstandards und deshalb sind sie so kreativ. Deshalb wuchern sie auch so wunderbar ins Phantastische. Sie können alles Mögliche behaupten. Was sie aber tun, wenn sie das behaupten: Sie streuen so einzelne kleine Wahrheitspartikel ein oder Wissenschaftspartikel, die die Sache plausibel erscheinen lassen sollen. Das sieht man auch sehr schön bei den Corona-Verschwörungstheorien. Da gibt es immer ein Fünkchen Wahrheit oder irgendein kleines medizinisches Faktum. Oft sind es sogar Ärzte, die das vortragen. Sie sind zwar nicht auf dem aktuellen Stand der Dinge, bringen aber einiges medizinisches Wissen mit, um das Ganze plausibel zu machen, was sie als alternative Wahrheit behaupten.»
Und wie unterscheiden sich echte Verschwörungen von Verschwörungstheorien?
Es gab und gibt jederzeit echte Verschwörungen, und es wird sie auch in Zukunft immer geben. Echte Verschwörungen – Komplotte und Intrigen, deren Existenz zweifelsfrei nachgewiesen werden kann – unterscheiden sich üblicherweise in mehrerlei Hinsicht von den durch Verschwörungstheoretiker imaginierten Verschwörungen.
Kompakt zusammengefasst werden die Unterschiede zwischen echten Verschwörungen und Verschwörungstheorien im «Leitfaden Verschwörungstheorien»:
- «Gelungene echte Verschwörungen sind in der Regel Ereignisverschwörungen. Verglichen mit den typischen Szenarien von Verschwörungstheorien haben sie ein klares und eher moderates Ziel wie einen Staatsstreich oder ein Attentat. Zwar basieren manche Verschwörungstheorien ebenfalls auf bestimmten Ereignissen, doch bei vielen anderen handelt es sich um „System-“ oder „Superverschwörungstheorien“. Diese behaupten, dass bestimmte Gruppen wie die Freimaurer oder die Illuminaten heimlich den Lauf der Geschichte bestimmen, oder sie beschuldigen verschiedene Gruppen wie Juden und Kommunisten gemeinsam heimlich an einem Masterplan zu arbeiten, um die absolute Kontrolle über die Welt zu erlangen.
- An einer echten Verschwörung ist in den meisten Fällen eine begrenzte Anzahl von Akteuren wissentlich oder unwissentlich beteiligt. Im Gegensatz dazu behaupten Verschwörungstheorien oftmals (wenngleich zuweilen nur auf implizite Art und Weise), dass Hunderte oder gar Tausende Menschen an der vermeintlichen Verschwörung und ihrer Vertuschung beteiligt waren. Dies ist selbst bei Einzelereignissen der Fall, ganz zu schweigen von übermäßig komplexen, vermeintlich Jahrhunderte überdauernden Superverschwörungen. Das Vortäuschen der Mondlandung oder die Durchführung der 9/11-Anschläge durch die amerikanische Regierung hätte die perfekte Zusammenarbeit und das bis heute andauernde Stillschweigen tausender Helfer erfordert. Solche Szenarien sind höchst unwahrscheinlich, wenn nicht sogar unmöglich.
- Letztendlich haben echte Verschwörungen in den meisten Fällen unbeabsichtigte Folgen. Sie führen zu Resultaten, die von den Verschwörern nicht vorhergesehen wurden. Im Gegensatz dazu behaupten Verschwörungstheorien meist, dass alles nach dem Plan der Verschwörer abläuft. Höchst selten lassen sie Raum für die Möglichkeit unbeabsichtigter Konsequenzen. Die Ermordung Julius Cäsars im Jahre 44 v. Chr. ist ein Beispiel für eine typische Verschwörung. Cäsar wurde von einer Gruppe von etwa 60 Senatoren getötet. Was echte Verschwörungen betrifft, ist dies bereits eine ziemlich große Gruppe. Im Vergleich zu dem, was jedoch die meisten Verschwörungstheorien üblicherweise behaupten, ist die Zahl verschwindend gering. Die Verschwörung erreichte ihr kurzfristiges Ziel: Caesar wurde getötet. Sie erwies sich jedoch als kontraproduktiv in Hinblick auf ihr langfristiges Ziel: die Erhaltung der Römischen Republik. Stattdessen entfachte die Verschwörung einen Bürgerkrieg, der schließlich zur Gründung des Römischen Reiches führte.»
Quellen:
EINFACHE WAHRHEITEN: Aluhut & Co.: Wie Verschwörungstheorien entstehen (MDR)
Leitfaden Verschwörungstheorien
(COMPACT, Comparative Analysis of Conspiracy Theories)
Anmerkungen und Ergänzungen:
☛ Eine echte Verschwörung, die wesentlich durch investigativen Journalismus aufgedeckt wurde, ist der Watergate-Skandal. Siehe dazu:
Watergate-Skandal als Beispiel für eine wahrgewordene Verschwörungstheorie?
☛ Dass bei echten Verschwörungen die Zahl der Mitwissenden möglichst klein gehalten werden muss, hat schon der italienische Staatsmann Niccolò Machiavelli (1469 – 1527) beschrieben. Siehe dazu:
Machiavelli über Verschwörungen und ihre Grenzen
☛ Echte Verschwörer haben ihre Aktion selten vollständig im Griff. Verschwörungsgläubige dagegen schreiben ihren imaginierten Verschwörern die Macht zu, politische und wirtschaftliche Vorgänge über lange Zeiträume und oft sogar weltweit voll zu kontrollieren. Diese mechanistische Welt- Und Menschenbild ist vollkommen unrealistisch. Siehe dazu:
Mechanistisches Weltbild der Verschwörungstheoretiker
☛ Eva Horn weist im Interview darauf hin, dass Verschwörungstheorien oft kleine Wahrheitspartikel enthalten, wodurch sie plausibel erscheinen. Die Basler Literaturprofessorin Nicola Gess beschreibt dieses Phänomen unter dem Begriff „Halbwahrheiten“. Siehe dazu: