Der Vatikan zählt zu den letzten geheimnisumwitterten Grossinstitutionen unserer Zeit. Was hinter den Kulissen seiner Mauern vor sich geht, sickert nur selten an die Öffentlichkeit. Daher ist es nicht überraschend, dass der Vatikan neben Juden, Freimaurern, Jesuiten und Illuminaten konstant im Visier von Verschwörungsgläubigen ist. Der Vatikan gleicht in dieser Hinsicht anderen strukturell undurchschaubaren Institutionen und Organisationen wie der CIA, dem KGB inklusive seinen Nachfolgern, sowie anderen Geheimdiensten.
Von mächtigen Institutionen wird heute Transparenz und ein Buhlen um das Vertrauen der Öffentlichkeit erwartet.
Die Verschwiegenheit des Vatikans stellt in unserer Zeit deshalb eine Provokation dar. Sie fördert darüber hinaus jedoch auch Hirngespinste und Verschwörungstheorien. In solchen Verschwörungslegenden kann der Vatikan entweder als Opfer und Zielscheibe von Verschwörungen auftreten – oder als Täter beziehungsweise als geheimer Drahtzieher. Darüber hinaus gibt es dann noch echte oder vermeintliche Verschwörungsgeschichten innerhalb der Kurie zum Beispiel zwischen verfeindeten Fraktionen.
Die Attraktivität des Vatikans für Verschwörungsgläubige unterschiedlichster Herkunft, die Vielzahl der sich daraus ergebenden Verschwörungsoptionen und die Langlebigkeit dieser Institution über viele Jahrhunderte machen es unmöglich, alle Verschwörungstheorien aufzuführen, die damit verbunden sind.
Angesprochen werden sollen hier jedoch die zwei wichtigsten Varianten:
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Der Vatikan als Drahtzieher und Täter
Für die Anhänger von Verschwörungstheorien in evangelikalen oder zumindest nicht-katholischen Milieus ist der Vatikan eher selbst der konspirative Drahtzieher und damit der Täter. Beispiele dafür gebt es aber auch aus dem Bereich der Literatur. In Dan Browns grossem Bestseller „Sakrileg“ (2004), englisch „The Da Vinci Code“ (2003), der mit Tom Hanks in der Hauptrolle verfilmt wurde, sind nicht die Illuminaten die verschwörerischen Schurken, wie in «Illuminati» (2003). Nun ist es die katholische Kirche, genauer gesagt der berühmt-berüchtigte Orden „Opus Dei“. Ausgesprochen populär ist dabei die von Dan Brown in „Sakrileg“ kolportierte Behauptung, die Kirche würde die Wahrheit über Jesus unterdrücken und verfälschen. Der Messias sei in Wirklichkeit mit Maria Magdalena verheiratet gewesen und habe mit ihr ein Kind gehabt, dessen Nachfahren heute noch unter uns leben sollen. Im Vatikan wisse man darüber Bescheid, halte jedoch die Fakten unter Verschluss.
Dan Brown vermittelt dabei den Eindruck, er habe diese Geschichte intensiv recherchiert. Heiko Ehrhardt hat sich mit diesem Anspruch intensiv auseinandergesetzt und kommt zum Schluss:
«Brown erweist sich als versierter Romanautor, der seine Leser zu fesseln weiß. Sein Geschick zeigt sich in dem Gespür, aktuelle Themen aufzugreifen, und in der Fähigkeit, diese Themen literarisch so aufzubereiten, dass man seine Thriller fast wie ein Sachbuch liest.
Allerdings sind seine – von vielen Lesern hochgerühmten – Recherchen alles andere als sorgfältig. Viele seiner Behauptungen halten einer genauen Überprüfung nicht stand, und einige sind sogar an der Grenze des Unseriösen. Das eigentliche Sakrileg – falls es denn überhaupt eines gibt – besteht vor allem darin, dass er mit seinem Roman Leser gefunden hat, die das, was er schreibt, für bare Münze nehmen.» (in: EZW-Texte 207)
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Der Vatikan als Zielscheibe und Opfer
Der Vatikan als Ort der Verschwörung wird insbesondere auch am äussersten rechten Rand des Katholizismus immaginiert. Dort sieht man den Vatikan bzw. die Kirche nicht so sehr als Täter, sondern vielmehr als Opfer einer Verschwörung. So wird zum Beispiel behauptet, dass die Päpste längst nicht mehr Herr des Geschehens seien. Finstere satanistische und/oder freimaurerische bzw. illuminatische Kräfte hätten die Herrschaft im Vatikan und dadurch über die Kirche an sich gerissen. Sichtbarster Ausdruck solcher Herrschaft sind für diese Strömungen am rechten Rand die innerkirchlichen Reformen und die ökumenische Öffnung, die das Zweite Vatikanische Konzil mit sich gebracht hat. Noch weiter geht eine Minderheit innerhalb dieses Spektrums. Sie behauptet, dass alle Päpste seit dem „verhassten Vaticanum“, angefangen mit dem Konzilsinitiator Johannes XXIII., sozusagen unrechtmäßige, weil ungläubige bzw. sogar dem Satanismus verpflichtete Pseudo-Päpste gewesen seien.
Diese Auffassung wird auch „Sedisvakantismus“ genannt, also die Lehre vom leeren (heiligen) Stuhl. Inzwischen gibt es eine ganze Anzahl von Grüppchen, die den Sedisvakantismus vertreten.
Der Vatikan bzw. die katholische Kirche eignen sich offensichtlich bestens als Folie für diverseste und auch ausgesprochen verrückte Verschwörungstheorien.
Quellen:
Christian Ruch: „‚Traue niemandem!‘ Was fasziniert an Verschwörungstheorien?“ (=“Weltanschauung“, Heft 2/2010, hg. vom Bischöflichen Seelsorgeamt der Diözese Augsburg, Fachbereich für Religions- und Weltanschauungsfragen), Augsburg 2010.
Christian Ruch, „Zeitgeist – Der Film„, Materialdienst EZW
REZENSION: Verschwörung gegen den Papst? (FAZ)
Gralslegenden und Verschwörungen
Dan Browns „Sakrileg“ – ein kalkulierter Skandal? Heiko Erhardt in: MATTHIAS PÖHLMANN / HEIKO EHRHARDT / CHRISTIAN RUCH, Der Dan-Brown-Code, Von Illuminaten, Freimaurern und inszenierten Verschwörungen, EZW-Texte 207.
Anmerkungen:
☛ Das Beispiel «Vatikan» zeigt sehr deutlich, wie eine Organisation genauso wie auch ein Ereignis von sehr unterschiedlichen politischen oder ideologischen Standpunkten her mit Verschwörungstheorien bewirtschaftet werden kann. Die Organisation ist nur die Folie, auf die nach den Bedürfnissen der jeweiligen Akteure die Verschwörungstheorie konstruiert wird.
☛ Natürlich kann der Vatikan an vielen Punkten mit guten Argumenten kritisiert werden. Aber das Bewirtschaften von Verschwörungstheorien hat mit argumentgestützter Kritik nichts zu tun. Zum Thema «Kritik» siehe auch:
Lob der Kritik – Was unterscheidet kritisches von unkritischem Denken.