Verschwörungsgläubige arbeiten oft mit Formulierungen, die durch ausgesprochene Vagheit charakterisiert sind. Die Identität der angeblichen Verschwörer und die konkrete Durchführung ihres Plans werden nur ganz grob angedeutet. Diese Vagheit bringt eine grosse Offenheit für verschiedenste Interpretationen mit sich.
Beispielsweise ist von den angeblichen Verschwörern nur in Form unbestimmter Pronomen die Rede («sie»wollen uns alle vergiften).
Michael Butter sagt dazu in einem Interview auf «Blick online»:
«Diese Vagheit ist klar Strategie. Je vager ein Verschwörungstheoretiker sich ausdrückt, desto mehr Interpretationsraum gibt man dem Publikum. So kann jeder seine eigenen Ängste hineininterpretieren.»
Vagheit als Strategie?
Ob Vagheit eine bewusste Strategie von Verschwörungstheoretikern ist, sei dahingestellt. Dass sie oft in Verschwörungstheorien zu finden ist, steht aber ausser Frage.
Diese Vagheit hat mindestens zwei Vorteile:
☛ Weil sie viel Interpretationsspielraum offen lässt, macht sie die Verschwörungstheorie anschlussfähig zu verschiedensten anderen Erzählungen.
☛ Durch die Auslassung vieler konkreter Details entzieht sich die Verschwörungstheorie an vielen Punkten der Kritik (genau das, lässt sich aber auch als Kritik in Stellung bringen).
Beispiele für Vagheit in Verschwörungstheorien:
QAnon
☛ Wenn der QAnon-Verschwörungsideologe und Hassprediger Attila Hildmann behauptet, dass «100.000 US-Soldaten in den Bunkern unter Europa» kämpfen, «um die Kinder aus den Händen der Pädophielen zu befreien», dann lässt er alle entscheidenden Angaben weg. Wo genau befinden sich diese Bunker? Weshalb fällt ein derart grosses Kampfgeschehen nicht auf? 100 000 Soldaten müssen auch aufmarschieren, sie müssen mit Munition versorgt und verpflegt werden. Warum fällt das niemandem auf? Und auch Kämpfe in Bunkern bleiben nicht ohne Geräusche, die nach aussen dringen können. Wo sind die befreiten Kinder? Gibt es keine Berichte über glückliches Wiedersehen mit den Eltern? (Das vollständige Hildmann-Zitat hier)
Mikrochips
☛ Wenn in Corona-Verschwörungstheorien behauptet wird, dass uns Bill Gates mit den Impfungen einen Mikrochip einpflanzt, fehlen natürlich auch viele wichtige Details. Inzwischen wurden mehrere Milliarden Menschen gegen Corona geimpft. Die Einpflanzung von Mikrochips wäre also eine ausserordentlich grosse logistische Herausforderung. Wo werden diese grossen Mengen Mikrochips hergestellt? Und wie kommen sie in die Impfung? Weshalb wurde noch nie ein solcher Mikrochip aus einem «Impfling» isoliert? Warum hat keine der vielen in die Produktion und Implantation der Mikrochips involvierten Personen dazu Details verraten?
Chemtrails
☛ Auch bei Verschwörungstheorien über Chemtrails herrscht die grosse Vagheit und viele relevante Details bleiben unerwähnt. So wäre beispielsweise zu fragen, ob Piloten und Flugzeugtechniker von diesen Sprühvorrichtungen nicht etwas mitbekommen müssten. Und weshalb sie dieses Wissen vollkommen geheim halten, obwohl ihre Kinder doch unter den angeblich versprühten Chemikalien auch leiden würden.
Vagheit bezüglich der Verschwörer
☛ Michael Butter setzt sich in seinem Buch «Nichts ist, wie es scheint» (2018) mit Eva Hermann auseinander. Die Verschwörungstheorien der ehemaligen Tagesschau-Sprecherin sind durchsetzt mit vagen Umschreibungen. Butter schildert ein Beispiel für Vagheit bezüglich der angeblichen Verschwörer: «Ebenso typisch gerade für zeitgenössische Verschwörungstheorien ist, dass die Führungsriege der Verschwörung letztendlich nicht genau identifiziert wird. Hermann schreibt einigermassen nebulös von “eine[r] bestimmte[n] Gruppe von Machtmenschen des globalen Finanzsystems […], die sich die Welt aus ihrem Kapitalsammelbecken heraus untertan machen will.” Wer genau aber diese mysteriösen Verschwörer sind…bleibt unklar.»
Fazit:
☛ Bei Verschwörungstheorien ist es immer lohnend, genau hinzuschauen, ob und wo sie mit Vagheit daherkommen.
☛ Wo sich Vagheit in den verschwörungstheoretischen Aussagen zeigt, ist es oft sehr wirksam, genau nachzufragen: Wer genau? Wie genau? Was genau? Wann genau?
Quellen:
Michael Butter, «Nichts ist, wie es scheint – Über Verschwörungstheorien», Suhrkamp 2018.
Katharina Nocun / Pia Lamberty, “True Facts – Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft», Quadriga 2021.
Macht von Verschwörungstheorien: «Inszenierte Anschläge wären perfekter» (Blick)