Der Begriff «Teleologie» stammt ab vom altgriechischen Wort télos = Ende, Ziel, Zweck, und logos = Lehre. Die Teleologie beziehungsweise das teleologische Denken geht davon aus, dass alles, was existiert, einen Zweck in sich trägt und auf ein Ziel gerichtet ist. Es zeigt sich in Aussagen wie «die Sonne geht auf, um uns Licht zu bringen», «das Ziel der Bienen ist die Bestäubung der Blumen» oder «die Heilpflanzen sind dazu da, uns gesund zu machen».
Teleologische Vorstellungen wurden auf anschauliche Weise von Voltaire verspottet. Seine Figur Pangloss behauptete, die Nase sei zum Tragen einer Brille gemacht.
Auch Menschen, die anfällig für Verschwörungstheorien sind, gehen davon aus, dass alles aus einem bestimmten Grund geschehe und einen höheren Zweck habe. Dinge geschehen weil oder sie passieren um zu. Nichts geschieht zufällig. Alles geschieht aus einem bestimmten Grund.
Gutes und Schlechtes wird aufgefasst als Ergebnis absichtsvollen Handelns und lässt sich daher moralisch bewerten. Anhängern von Verschwörungstheorien fällt es schwer, die Welt als zufällig und komplex wahrzunehmen. Dabei geschieht eben nicht alles aus einem Grund.
Siehe dazu: Kontingenzbewältigung / Zufalls-Verleugnung
Zufällige Prozesse haben also in der Teleologie und in Verschwörungstheorien einen schweren Stand. Es gibt aber auch einen Gegensatz zwischen Teleologie und Evolution, wie der Neuropsychologe Sebastian Dieguez feststellt:
„Evolution bedeutet, ganz anders zu denken. Es gibt keinen Grund, warum die Dinge so sind, wie sie jetzt sind, niemand hat dies entschieden. Es beinhaltet einen langsamen Prozess der schrittweisen Auswahl und Anpassung. Und es ist ziemlich eingängig, auf diese Weise zu denken.“
Die Teleologie ist also das Gegenteil des wissenschaftlichen Ansatzes, wie man am Beispiel der Evolutionstheorie zeigen kann. Laut der Evolutionstheorie entsteht eine Spezies (Art) nicht mit irgendeiner Absicht, sondern über die Vereinigung von zufälligen genetischen Mutationen und einer Selektierung dieser Mutationen über die Anpassung eines Organismus an die Umwelt.
Teleologie verbindet Verschwörungstheorien und Kreationismus
Die Teleologie ist auch ein Kernelement im Kreationismus.
Kreationismus ist der Glaube, dass das Leben auf der Erde zu einem ganz bestimmten Zweck und von einem übernatürlichen Schöpfer erschaffen worden ist. Verschwörungstheoretiker dagegen glauben, dass historische und zeitgenössische Ereignisse einer geheim handelnden Gruppe von mächtigen Individuen zuzuschreiben sind. Den Kreationismus und den Verschwörungsglauben verbindet daher das teleologische Denken und die Abneigung gegen die Vorstellung des Zufälligen.
Obwohl Kreationismus und Verschwörungstheorien auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Glaubensformen sind, teilen sie die Neigung zur Teleologie. Über die Teleologie kommen Verschwörungstheorien religiösen Vorstellungen nahe.
Quellen:
Ein Denkfehler am Ursprung des Kreationismus und der Verschwörungstheorien
(Unicom, Universität Freiburg, Schweiz)
Verschwörungstheorien und Kreationismus hängen von derselben Rückwärtslogik ab
Anmerkungen und Beispiele:
Teleologie beziehungsweise teleologisches Denken zeigt sich beispielhaft im Umgang mit Epidemien und Pandemien. Kreationisten und Verschwörungsgläubigen können sich schwer vorstellen, dass es sich bei solchen Vorgängen um ungeplante, absichtslos auftretende Naturereignisse handelt. In ihrem Weltbild muss irgendjemand dahinterstecken.
Für Kreationisten liegt der Gedanke sehr nahe, dass Gott diese Krankheiten schickt, zum Beispiel als Strafe für die Sünden der Menschen. Das war schon im Mittelalter bei Pestepidemien so.
Der Seuchenhistoriker Karl-Heinz Leven sagt dazu im Interview auf ntv:
„Es gab die Vorstellung, dass Seuchen eine Art von himmlischer Strafe wären für sündhaftes Verhalten – weshalb zu den Anordnungen auch gehörte, nicht mehr gotteslästerlich zu fluchen oder sich dem Würfelspiel hinzugeben. Die Moral spielt in der Pest eine große Rolle…….“
Wir sehen solche Einstellung aber auch in der Gegenwart in Bezug auf die Corona-Pandemie. Die fundamentalistischen Strömungen verschiedener Religionen drücken dabei ihr teleologisches Denken in diversen Varianten aus. Für das erzkatholische und verschwörungstheoretisch eingefärbte Radio Maria in Italien steckt hinter der Corona-Pandemie eine Verschwörung Satans. Und für das IS-Propagandamagazin „Al-Nabaa“ verbreiten sich Krankheiten nur auf Gottes Befehl. Das Coronavirus ist für den IS Gottes Werk.
Siehe dazu: Für den IS ist die Corona-Pandemie Gottes Werk
Für Verschwörungsgläubige ist dagegen nicht Gott der grosse Strippenzieher hinter der Pandemie, sondern Bill Gates oder je nach dem jeweiligen Feindbild die chinesische Regierung, Israel, die CIA etc.
Im teleologischen Denken gleichen sich Kreationisten und Verschwörungsgläubige auch bei der Corona-Pandemie.