Eine Reihe von Studien stellt Verschwörungstheoretiker als Opfer eines Kontrollverlustes dar. In einer als chaotisch erlebten Welt klammern sie sich an Verschwörungstheorien und gewinnen damit scheinbar Orientierung und Halt. Andere Studien weisen jedoch darauf hin, dass auch andere Motive hinter dem Glauben an Verschwörungstheorien stehen können: Wer an Verschwörungen glaubt, kann sich von der Masse absetzen und rückt dabei sein exklusives Wissen in den Vordergrund. Hier geht es um Selbstaufwertung.
Bei sehr vielen Verschwörungserzählungen fällt auf, dass sie mit einer starken Selbstaufwertung und einer gleichzeitigen Abwertung anderer Menschen verbunden sind. Der charakteristische Verschwörungsgläubige hält sich für wissender als andere und zählt sich zu den «Aufgewachten». Dagegen gelten alle, die sich von der angeblichen Propaganda der «Mainstreammedien» einlullen lassen und nicht an die Verschwörungstheorie glauben, als unwissende «Schlafschafe».
Selbstaufwertung oft mit Abwertung anderer verbunden
Selbstaufwertung ist bei Verschwörungsgläubigen an sehr vielen Stellen zu beobachten. Abgewertet werden gleichzeitig oft Expertinnen und Experten.
Beispiele:
☛ Da redet ein Hans Tolzin, eine der Leitfiguren der Impfgegner, unablässig über Impfungen, ohne dass er auch nur einen Hauch Expertise in diesem Bereich vorweisen kann. Und obwohl er weitgehend faktenwidrigen Schrott erzählt, glauben ihm seine Anhänger aufs Wort.
☛ Da meinen ein YouTube-Fitnesscoach oder ein Vegankoch wie Attila Hildmann, sie könnten die Berichte des Robert-Koch-Instituts zur Corona-Pandemie demontieren. Dass es dazu Fachkenntnisse brauchen würde, kommt ihnen offenkundig nicht in den Sinn.
Bei diesen Beispielen geschieht Selbstaufwertung durch gleichzeitige Abwertung von Expertinnen und Experten. Diese Selbstaufwertung bar jeder Grundlage ist wohl nur möglich auf dem Hintergrund des Dunning-Kruger-Effekts:
Dunning-Kruger Effekt: Inkompetente Personen können ihre Fähigkeiten schlecht einschätzen
Der Dunning-Kruger-Effekt beschreibt die Unfähigkeit, die eigene Kompetenz richtig einzuschätzen. Das führt insbesondere bei inkompetenten Personen dazu, dass sie ihre eigenen Fähigkeiten auf einem bestimmten Gebiet in der Regel stark überschätzen. Weil sie keine Ahnung haben vom Wissen, das zu einem bestimmten Thema vorhanden ist, können sie nicht erkennen, was ihnen fehlt.
Eine weitere Variante der Selbstaufwertung realisiert sich über eine Heldenpose. Verschwörungsgläubige sehen sich oft im «Widerstand». Corona-Leugner stellen sich zum Beispiel vollkommen vermessen in eine Reihe mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder Sophie Scholl.
Noch abstruser wird die Selbstaufwertung, wenn sie mit der Opferpose verbunden wird. Impfgegner nähen sich dann zum Beispiel einen gelben Judenstern mit der Aufschrift «ungeimpft» an und vergleichen sich dadurch mit den Opfern nationalsozialistischer Judenverfolgung, womit sie auch gleich noch den Holocaust verharmlosen.
Doch schon mit der Selbstbezeichnung als «Querdenker» schreiben sich Corona-Leugner eine besondere Stellung zu. Wie wenn «Querdenken» an sich schon eine Qualifikation wäre, die etwas aussagt über die Richtigkeit der Gedanken.
Verschwörungsgläubige betreiben zudem Selbstaufwertung, indem sie sich wie schon erwähnt als «Aufgewachte» über die unwissenden «Schlafschafe» stellen, und sich als die Guten von den bösen Verschwörern abgrenzen.
Selbstaufwertung kann auch geschehen gegenüber abgewerteten Minderheiten. Ein Beispiel dafür ist die im Nationalsozialismus bewirtschaftete Verschwörungstheorie der «jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung» und die damit verbundene Rassenideologie. Die Abwertung der Jüdinnen und Juden ging mit einer Selbstaufwertung der «Arier» einher.
Bernd Harder schreibt in seinem Buch «Verschwörungstheorien: Ursachen – Gefahren -Strategien»:
«Verschwörungstheorien sind ein Ego-Booster. Verschwörungstheoretiker halten sich selbst für eine Wissenselite, Teil einer grossen Aufklärungsbewegung, die hinter die Kulissen schaut, den Schleier lüftet und exklusive Erkenntnisse besitzt, durch die sie sich der Masse der ‘Schlafschafe’ überlegen fühlen kann.»
Siehe als verwandtes Thema:
Das Bedürfnis nach Einzigartigkeit im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien.