Verschwörungstheorien dienen nicht selten der Selbst-Heroisierung. Die QAnon-Verschwörungstheorie beispielsweise bietet ihren Anhängerinnen und Anhängern klare Feindbilder und erhebt sie zu Kämpfern gegen das Böse in der Welt. Die Förderung der Selbst-Heroisierung durch Verschwörungstheorien hängt eng damit zusammen, dass sie oft Radikalisierungsprozesse anstossen. Die Radikalisierungsexpertin Dana Buchzik sagt dazu im Interview mit 20min:
«Die emotionale Funktion von Radikalisierung…ist immer gleich: Wer sich radikalisiert, will sich das eigene Leben als Heldengeschichte erzählen. Er will zum strahlenden Retter werden, von dem die Zukunft der Welt abhängt.»
Krise der Männlichkeit?
«Vom Loser zum Messias», titelt dazu ‘Zeit online’ in einem einen Video und geht unter anderem auf die Beispiele Attila Hildmann und Ken Jebsen ein. Der Sozialpsychologe und Männlichkeitsforscher Prof. Rolf Pohl weist im Video darauf hin, dass die Idealisierung von Helden in unserer Kultur eine zutiefst verankerte männliche Erzählung ist. Er sieht darin eine Sucht oder Sehnsucht nach Wichtigkeit, Bedeutsamkeit und Grösse. In einer Gesellschaft, in der Männlichkeit glaubt in eine tiefe Krise geraten zu sein, sei dies eine zutiefst männliche Wunschposition.
Die Attitüde des Aufklärers, des Wissenden und des verschwörungstheoretisch auftretenden Mannes sei auch sehr stark mit dieser heldischen Komponente verwoben, nämlich eine Form von Selbstinszenierung als Held, der gegen die wirklichen Gefahren der Welt angeht und alles erkennt. Es gebe Grössenfantasien, zu den Wissenden zu gehören und das gehöre zu den Verschwörungstheoretikern mit dazu. Pohl sagt: «Die halten sich für Genies, sie halten sich für unglaublich intelligent, sie halten sich für unglaublich bedeutsam. Sie durchschauen die Mechanismen, sie durchschauen die Machtverhältnisse, sie durchschauen wer dahintersteht, sie durchschauen wie’s funktioniert und sie verfügen über das geheime Wissen das sie jetzt bereit sind mit ihren Zuschauern und Zuschauerinnen zu teilen. Das adelt sie, hebt sie hoch und bestärkt ihren eigenen Narzissmus und ihre Grössenphantasien.»
Die Publizistin Veronika Kracher analysiert im Video die Auftritte von Ken Jebsen und Attila Hildmann, die sich im Stil ihrer Selbst-Heroisierung stark unterscheiden. Hildmann tritt kravallig und sehr aggressiv auf, posiert mit einer Knarre und kündigt an, in den Untergrundkampf zu ziehen (flieht dann aber in die Türkei und logiert dort in Luxusvillen..).
Ken Jebsen inszeniert sich eher als Intellektueller, als Friedensfreund, grosser Aufdecker und Wahrheitsenthüller.
Selbst-Heroisierung oft verbunden mit Opfer-Inszenierung
Interessanterweise spielen Verschwörungsgläubige oft gleichzeitig die Opferrolle (Selbst-Viktimisierung) und die Heldenrolle. Selbst-Heroisierung und Selbst-Viktimisierung gehen dann Hand-in-Hand. In einem Gastbeitrag für das Philosophie-Mgazin «Hohe Luft» beschreibt die Soziologin Paula-Irene Villa (Braslavsky) den Zusammenhang folgendermassen:
«Wo es einen übermächtig wirkenden Täter gibt, dem gegenüber man sich als Opfer wähnt (Viktimisierung), dort gibt es immer auch einen Helden, der diesem Täter die Stirn bietet (Heroisierung) und sich ‚traut’. Einen Helden, der–anders als die meisten und doch als Teil von ihnen und daher für die Masse – den Täter, den Feind, in die Flucht schlägt oder vernichtet…..
Wer sich zum Opfer einer übermächtigen Kraft stilisiert, kann und braucht diese Kraft bzw. deren Inhalte nicht ernst nehmen. Wer sich zum Helden im Kampf gegen eine solche Kraft stilisiert, erst recht nicht. Opfer und Held können und dürfen auf den (vermeintlichen) Gegner nicht zu- oder eingehen, sondern müssen diesen vernichten oder sich vor diesem schützen. Das heißt auch: die Anliegen, Argumente, Gründe oder Differenzierungen der vermeintlichen Täter oder Gegner können bzw. dürfen nicht ernst genommen werden.»
Die Autorin sieht deshalb sowohl Selbst-Heroisierung als auch Selbst-Viktimisierung als rhetorische Strategien, die als Formen der Immunisierung gegen jede Form von Kritik funktionieren. Verschwörungstheorien seien dafür evidente Beispiele.
Quellen:
Verschwörungstheorien – vom Loser zum Messias (Video auf Zeit online)
Radikale Prominente sind ideologische Superspreader (20min)
Na logisch! Selbst-Heroisierung: Die zweite Hauptrolle im Immunisierungs-Drama (Hohe Luft)
QAnon ohne Donald Trump – eine deutsche Nahaufnahme (Deutsche Welle)
Ergänzung:
Hier geht’s zum Beitrag Opfermentalität / Selbst-Viktimisierung in der Enzyklopädie.