Der Amoklauf an der Sandy Hook Elementary School am 14. Dezember 2012 in Newton ist eines der schlimmsten und grausamsten Schulmassaker in der Geschichte der USA. Insgesamt 20 Erstklässler im Alter von sechs und sieben Jahren sowie sechs Lehrer hatte der Attentäter Adam Lanza kurz vor Weihnachten an der Grundschule im amerikanischen Connecticut kaltblütig erschossen. Danach brachte er sich selbst um.
Zweifel am Ablauf der abscheulichen Tat gibt es nicht. Die Polizei, das FBI, die Staatsanwaltschaft haben den tragischen Fall bis ins kleinste Detail ermittelt und dokumentiert. Die Fakten liegen klar auf dem Tisch.
Sandy Hook Massaker: „nur ein grosses Theater“
Verschwörungsgläubige in den USA und in anderen Teilen der Welt (auch in der Schweiz) behaupten bis heute, das Sandy-Hook-Massaker sei nur „großes Theater“ gewesen, „ein bühnenreifer Auftritt bezahlter Schauspieler“ und eine Inszenierung der Regierung von US-Präsident Barack Obama, um striktere Gesetze umzusetzen und am Ende das Land zu entwaffnen. Bezahlte «Krisenschauspieler» seien bei solchen Massakern in Aktion.
Einer der größten Propagandisten dieser Verschwörungstheorie ist Alex Jones. Mit seinen Radiosendungen und Videos breitet er seine kruden Behauptungen zu Schulmassakern und Terroranschlägen vor einem Millionenpublikum aus. Dabei schreckt Alex Jones auch nicht vor Angriffen gegen die Eltern der Opfer von Schulmassakern zurück.
«Die offizielle Darstellung von Sandy Hook ist so löchrig wie ein Schweizer Käse», behauptete Alex Jones im Juli 2016 an einer Kundgebung für den damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Der wiederum attestierte Jones einen «grossartigen Ruf» und ist selber ein notorischer Anhänger und Verbreiter von Verschwörungstheorien.
Bei Schulmassakern schreckt Alex Jones auch nicht vor Angriffen gegen die Eltern der Opfer zurück. Nach dem Sandy-Hook-Attentat rief seine Anhänger dazu auf, eigene Nachforschungen anzustellen.
Drohungen gegen Eltern von Sandy Hook Opfern
Seine Anhängerinnen und Anhänger belästigten und bedrohen die Angehörigen der Opfer des Sandy-Hook-Schulmassakers seither massiv.
Sie stellten in Newtown Betroffenen nach, filmten sie und stellten sie zur Rede. Die trauernden Eltern sollten Belege dafür liefern, dass ihre Angehörigen tatsächlich getötet worden waren. Gedenkstätten für die Opfer des Massakers wurden verschandelt oder gestohlen.
Die 57jährige Lucy Richards kassierte in Florida vor Gericht zu fünf Monaten Gefängnis. Sie hatte den Vater eines sechs Jahre alten, erschossenen Schülers von Sandy Hook verfolgt und mit dem Leben bedroht. „Schau hinter dich, da lauert der Tod auf dich“, hatte Richards auf den Anrufbeantworter des Vaters gesprochen.
Ein weiterer Anhänger von Jones wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Er hatte den Vater eines getöteten Kindes per Telefon und Email mit dem Tod bedroht. Die Familie des Mannes lebt laut der «New York Times» inzwischen in einer «Gated Community» mit 24-Stunden-Überwachung.
Quellen:
Verschwörungstheoretiker: Schulmassaker war nur Theater – Eltern verklagen Alex Jones (WELT)
Trumps liebster Verschwörungstheoretiker wird von den Eltern getöteter Kinder verklagt (NZZ)
Ein weiteres Beispiel schildert Jan Skudlarek in seinem sehr lesenswerten Buch «Wahrheit und Verschwörung»:
Lenny Pozner gehört zu den Eltern, die beim Amoklauf an der Sandy Hook Elementary School ihr Kind verloren haben.
Der Grundschüler Noah Pozner galt als fröhlicher, liebenswürdiger Sechsjähriger. Er wurde vom Amokläufer mit mehreren Schüssen aus einem halbautomatischen Sturmgewehr aus kurzer Distanz erschossen.
Wenige Tage nach dem Tod von Noah wurde der Vater, der durch Interviews ins Visier der Verschwörungstheoretiker geraten war, selbst zur Zielscheibe. Er erhielt über Jahre regelmässig beleidigende E-Mails, Drohungen und Schimpftiraden. Jan Skudlarek führt in seinem Buch drei dieser Nachrichten auf.
Beispiele:
«Fick dich!! Dein Kind starb nicht bei Sandy Hook. Du kannst nicht ernsthaft behaupten, dass er starb! Komm schon, Mann. Ich weiss die haben dir eine ordentliche Summe gezahlt, aber warum lügst du uns an?»
«Du bist ein Betrüger und ein Arschloch. […] Bist du verrückt? [….] Du stinkst. Du solltest angeklagt werden. Du und deine Kumpane sind Lügner und Diebe. [..…] Du Drecksack. [….] Oh, und nebenbei, der Totenschein deines Sohnes – tolle Arbeit. [….] Warum nennst du der Öffentlichkeit nicht deinen wahren Namen? [….] Du bist ein verdammter Witz [….] Verrotte in der Hölle, du Wichser.»
«Pozner, für dich ist ein besonderer Platz in der Hölle reserviert. Nimm die Beine besser in die Hand, bevor wir dich finden.»
„Noah ist gar nicht tot…..“
Manche dieser Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker behaupten, dass Noah gar nicht gestorben ist und schreiben «tot» in Anführungszeichen. Oder sie werfen dem Vater vor, dass er gar nicht Pozner heisse oder gar nie ein Kind gehabt hätte. Sie beschimpfen ihn als «Arschloch», «Lügner» oder «Betrüger» oder wundern sich, dass so eine erfundene Person sich vor Gericht gegen Beleidigung und Bedrohung wehren kann.
Diesem unfassbaren Psychoterror sind Menschen ausgesetzt, die gerade ihre Kinder bei einem Schulmassaker verloren haben. Währenddessen machte Alex Jones mit der Propaganda seiner Verschwörungstheorien ein Millionenvermögen.
Die weiter oben erwähnte Lucy Richards bekam ihre Gefängnisstrafe wegen Drohungen gegen Pozner. Pozner ist also der Mann, der mit seiner Familie in eine «Gated Community» mit 24-Stunden-Überwachung ziehen musste.
Lügenpresse und Fals-flag-Operation
Diesen Hasskampagnen liegen mehrere Verschwörungstheorien zugrunde, die miteinander verbunden sind. Die Haterinnen und Hater gehen von einer False-Flag-Operation aus: Das ganze Theater an der Sandy Hook School wurde inszeniert, damit die Waffengesetzgebung verschärft und die US-Amerikaner entwaffnet werden können. Dazu kommt noch die Verschwörungstheorie von der Lügenpresse. Leute, die daran glauben, fühlen sich von den Medien umfassend getäuscht.
Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, dass Verschwörungsideologien nicht einfach Skurrilitäten sind, sondern drastische konkrete Folgen haben können.
Hass aus Verschwörungstheorien zerstört Leben
Der Hass, den Alex Joes und andere mit ihren Verschwörungstheorien zum Sandy-Hook-Massaker verbreiteten, hat zwar nicht zu körperlicher, aber sehr wohl zu massiver psychischer Gewalt geführt. Und diese Gewalt hat auch Leben zerstört. Das beschreibt Sascha Lobo auf Spiegel online in einem eindrücklichen Beitrag mit dem Titel „Hass ist Geld„: Im Jahr 2019 nahm sich Jeremy Richman das Leben. Seine siebenjährige Tochter Avielle wurde 2012 beim Sand-Hook-Massaker getötet. Wie Lenny Pozner wurde er in den Jahren danach von wildfremden Leuten in den asozialen Medien, aber auch live und per Post attackiert und als von der Regierung bezahlter Lügner und „Krisenschauspieler“ verleumdet. Er bekam immer wieder Todesdrohungen.
Nach dem Mord an seiner Tochter war das ein zweites, nicht enden wollendes Martyrium. Aber Verschwörungstheoretiker wie Alex Jones und seine Fans kennen leine Gnade. Auch YouTube nicht, das die hetzerischen Videos trotz eindringlichen Warnungen weiter laufen liess und damit schmutziges Geld verdiente (erst im August 2018 entschloss sich YouTube, den Hassprediger Alex Jones zu sperren). Nur wenige Tage vor dem Suizid von Jeremy Richman töteten sich zwei Teenager, die das Parkland-Shooting überlebt hatten. Auch sie waren auf YouTube immer wieder als „crisis actors“ beschimpft und in sozialen Medien bedroht worden.