Wer Verschwörungstheorien vertritt, stellt sich gegen den sogenannten «Mainstream». Darin kann ein Potenzial für Provokation und Tabubruch liegen, das je nach konkreter Verschwörungstheorie mehr oder weniger gross ist. Je absurder die Verschwörungstheorie, desto grösser ihr Potenzial für Provokation. Vor allem haben aber auch politische Verschwörungstheorien Provokationspotential. Provokation wird von manchen Akteuren gezielt als politische Strategie eingesetzt. Dazu beschreibt der Sozialpsychologe Tilmann Betsch in «Science matters!» konkretere Beispiele:
«In Deutschland widmet sich Götz Kubitschek der Verbreitung neuen rechten Gedankenguts. Sein Verlag Antaios publiziert Neuauflagen ‘klassischer’ faschistischer Schriften, aber auch Pamphlete aus eigener Feder. Ein Büchlein trägt den Titel ‘Provokation’. Darin spezifiziert Kubitschek, wie ‘Rechte Strategien’ für einen politischen Umsturz aussehen müssten. Das Ziel bestünde darin, Krisen herbeizuführen. Ein probates Mittel dafür ist die Provokation. Diese Umfasst Aktionen und eine Propaganda, die absichtlich diffamiert und Falschinformationen streut, ‘denn ihr Ziel ist es, eine Reaktion (und sei es nur die Verblüffung) hervorzurufen.
Wenn Neofaschisten wie der Ex-Lifestyle-Koch Attila Hildmann Virologie als eine Märchenwissenschaft und die Covid-19-Pandemie als eine weltjüdische Verschwörung bezeichnen, dann bedienen sie sich genau dieser Taktik der Provokation. Es wäre völlig unsinnig, mit solchen Menschen einen inhaltlichen Diskurs über deren Behauptungen führen zu wollen. Denen geht es ja nicht um Erkenntnis oder gar um kritische Überprüfung ihrer Annahmen. Geleitet werden sie von ihrer Ambition nach politischem Umsturz. Die falschen Behauptungen dienen als Provokation, um Aufmerksamkeit zu erregen, Spaltungsprozesse in Gang zu setzen und gesellschaftliche Gruppen gegeneinander aufzuhetzen. Anstatt mit Kubitschek, Hildmann und Konsorten über die Inhalte ihrer Falschbehauptungen zu diskutieren, ist es in solchen Fällen eher ratsam, die Taktik hinter der Lügenverbreitung und deren Agenda zu enthüllen.»
Nicht auf Provokation reinfallen…
Werden Falschmeldungen, Lügen, Diffamierungen und Verschwörungstheorien als politische Strategie, braucht es sehr viel Aufmerksamkeit, um nicht in diese Falle zu tappen. Dazu hat sich auch der Historiker Moritz Hoffmann geäussert:
«Geäusserte Provokationen mit historischen Bezügen haben in fast keinem Fall tatsächliche thematische Relevanz, sie sollen lediglich unbedachte Reaktionen seitens der Angesprochenen hervorrufen. Jede Reaktion auf solche Provokationen muss sorgfältig geprüft werden: Wird jede Spitze skandalisiert, nutzt sich der Effekt ab, zudem begibt man sich in die Opferrolle. Demgegenüber ist es wichtig, klare rote Linien zu ziehen, gerade was den bundesrepublikanischen Erinnerungskonsens oder Angriffe auf die Menschenwürde angeht. Dabei müssen nachvollziehbare Massstäbe eingehalten werden. Oberste Maxime sollte sein, klar herauszuarbeiten, dass Rechtspopulist_innen nicht als passives Objekt Ziel von Kritik sind, sondern dass sie aktiv Grenzen überschreiten und dass jede Reaktion darauf zurückzuführen ist, dass sie sich selbst diskreditieren.»
…….das gilt auch für Medien
Stefan Niggemeier weist im Medienmagazin «Übermedien» darauf hin, dass auch Medien Gefahr laufen, den Erfolg rechtextremer Provokation durch unbedachte Reaktion zu steigern. Er spricht von «Provokationen, die von den Reaktionen leben». Niggemeier bezieht sich in dem Beitrag auf die rechtextreme Identitäre Bewegung (IB), die oft mit provokativen, symbolischen Aktionen grosse Aufmerksamkeit bekommt:
«Je größer die Empörung, desto größer die Aufmerksamkeit, desto erfolgreicher die Aktion. Während die braven Demokraten sich angesichts irgendeiner neuen Dreistigkeit einen Hyperventilationswettbewerb liefern und nach den größten Superlativen greifen, geben sich die Rechtsextremen dann bewusst harmlos und verweisen darauf, dass sie doch gar nichts Schlimmes gemacht hätten. Mit etwas Pech wirken dann nicht sie extrem, sondern die, die sich über sie empören.
Damit das gelingt, sind sie auf Mithilfe ihrer Gegner angewiesen. Und die tun ihnen regelmäßig den Gefallen.»
Er habe keinerlei Sympathien für die IB, für ihre Personen, ihre Methoden, ihre Ziele, schreibt Niggemeier. Er kritisiere die Reaktionen der Medien nicht, um die IB zu verteidigen, sondern weil sie der IB in die Hände spielen.
Und er wolle auch nicht gegen eine „Wehret den Anfängen“-Strategie argumentieren. Natürlich sei es richtig, Rechtsextreme und ihre Ideologie so früh wie möglich zu bekämpfen. Dabei helfe es aber nicht, «so zu tun, als wäre ein paar in ein Haus geworfene Flugblätter, einige Plakate, eine ungenehmigte Demonstration vergleichbar mit gewaltsamen „Attacken“.» Die Herausforderung bestehe darin, das Menschenverachtende der Ideologie dieser Leute voller Leidenschaft zu bekämpfen – aber das Lächerliche ihrer Demonstrationen auch mit angemessener Gelassenheit zu würdigen.»
Das bedeute nicht, tatsächliche Einschüchterungen und Bedrohungen nicht deutlich anzuprangern.
Welchen Gewinn bietet Provokation?
Welchen Gewinn ziehen Rechtspopulisten und Rechtsextreme aus der kalkulierten Provokation? Der Psychologe Andreas Zick antwortet darauf in einem Interview mit Zeitmagazin:
„Man verspricht sich daraus dreierlei Gewinn: Man will einerseits als der Stärkere dastehen und andererseits auf die anderen zeigen können und sagen: Schaut mal, wie die sich aufregen! Und drittens möchte man Anhänger gewinnen, indem man sich selbst als Provokateur feiert.“
Und wie kann man klug auf derartige Provokation reagieren? Andreas Zick empfiehlt:
„Fragen Sie die Provokateure: Was wollen Sie eigentlich? Wie viel Verantwortung übernehmen Sie für den Schaden, den Sie anrichten? Halten Sie uns für so dumm? Wenn allerdings Provokationen Gruppen beschädigen, dann sind wir gehalten, Zivilcourage zu zeigen und Gruppen beizustehen, die keinen Schutz vor Provokationen haben. Und natürlich kann man Provokation auch einfach ignorieren oder löschen, wenn sie per Mail kommen.“
Man könne lernen, mit Provokation professionell umzugehen. Hass und Provokation per Mail oder in Kommentarspalten? Zick sagt dazu:
„Sie haben drei Reaktionsmöglichkeiten: ignorieren, diskutieren oder anzeigen. Die Wahl hängt davon ab, wie Sie den Grad der Beschädigung vor dem Hintergrund von Meinungsfreiheit einschätzen. Sie können lernen, den Hass zu lesen. Sie können lernen, sich Unterstützung und Beratung zu organisieren und Provokationen nicht mit nach Hause in das Privatleben zu nehmen. So wie wir lernen, mit Stress umzugehen, können wir auch lernen, mit Provokationen umzugehen, wenn wir bereit sind, die Illusion aufzugeben, wir hätten schon alles unter Kontrolle. Wir können uns auch gegen Angriffe bilden. Die Website No-Hate-Speech.de zum Beispiel bietet Beratung und Materialien gegen Hasskampagnen an.“
Quellen:
«Science matters! – Wissenschaftlich statt querdenken», von Tilmann Bertsch, Springer Verlag 2022.
Kein „Vogelschiss“! Rechtspopulismus und geschichtspolitische Argumentationsmuster, von Moritz Hoffmann (fes.de)
Journalisten machen Provokation zum PR-Erfolg für rechtsextreme Aktivisten, von Stefan Niggemeier (Übermedien)
Andreas Zick: „Sie können lernen, den Hass zu lesen“ (Zeit Magazin)
Fazit:
☛ Provokation mittels Lügen, Desinformation, Diffamierung und Verschwörungstheorien dient als politische Strategie der Konstruktion von Feindbildern und Sündenböcken, wodurch Polarisierung verstärkt wird. Davon profitieren Extremisten aller Art.
☛ Provokation wird in den Medien und insbesondere auch in den sogenannt sozialen Medien belohnt mit Aufmerksamkeit.
☛ Provokation löst regelmässig starke Emotionen aus. Das führt dazu, dass provokative Posts in sozialen Medien häufiger geliked, geteilt und kommentiert werden, was ihnen grössere Reichweite verschafft. Wird ein Post oft geliked, geteilt und kommentiert, stuft ihn der Algorithmus von Facebook, Twitter, Instagram & Co. als wichtig ein, weil er zum längeren Verweilen der «User» auf der Plattform beträgt, was der Plattform ermöglicht, mehr Werbung zu verkaufen. Aus diesen vollkommen eigennützigen Gründen werden provokative, polarisierende Posts von den Plattformen mehr Menschen gezeigt.
☛ Es gilt also einerseits auf Provokation nicht vorschnell hereinzufallen und andererseits aber menschenverachtenden und verfassungsfeindlichen Äusserungen eine Grenze zu setzen. Hier den adäquaten Weg zu finden ist nicht immer einfach.