Personalisierung ist ein häufig anzutreffendes Element in Verschwörungstheorien. Dabei werden einzelne Personen und deren persönliche Eigenschaften stark in den Vordergrund gestellt und die Verantwortung für komplexe politische und gesellschaftliche Ereignisse, Vorgänge und Zustände diesen Personen zugeschrieben. Die Lösung aller Probleme soll im Austausch dieser Personen liegen. Auf eine Kurzformel bringen dies Bewegungen wie Pegida und AfD mit dem Slogan: «Merkel muss weg!». Oder schon eine Spur komplexer, aber mit einem zusätzlichen Skurrilitätsfaktor: «Putin nach Berlin, Merkel nach Sibirien!»
Nicht jede Verschwörungstheorie setzt auf Personalisierung. In einer «Flachen Erde» hat es für Personen schon per Definition quasi keinen Platz. Aber viele Verschwörungstheorien basieren stark auf Personalisierung. Sie unterschätzen dabei die Komplexität von gesellschaftlichen Prozessen, die sich nicht einfach so von einzelnen Personen oder begrenzten Personengruppen steuern lassen.
Ein starkes Beispiel für Personalisierung im Kontext einer Verschwörungstheorie zeigt sich bei George Soros, dem Lieblingsfeind vieler Rechtspopulisten und Rechtsextremen. Soros steht für alles, was sie hassen: Menschenrechte, Demokratie, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und die offene Gesellschaft im Sinne Karl Poppers.
Der ungarische Premierminister Viktor Orban hat sich mit der Soros-Verschwörung quasi eine staatliche Verschwörungstheorie aufgebaut. In diesem Konstrukt zieht George Soros die Strippen bei der weltweiten Migration («Grosser Austausch»), steuert die «Brüsseler Bürokraten», steckt hinter allen Medien, sofern Orban sie nicht selbst kontrolliert, und vieles mehr. Ein handfestes Feindbild, ein perfekter Sündenbock.
Siehe dazu:
Wie George Soros zum Feindbild gemacht wurde
Personalisierung reduziert Komplexität
Globalisierung, Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Coronakrise und andere Grossereignisse sind nicht das Resultat von Vorgängen, die durch einzelne Personen oder Personengruppen gesteuert werden können. Dazu sind moderne Gesellschaften und Ökonomien viel zu komplex. Der Aufbau personalisierter Feindbilder und die Fixierung von Sündenböcken schweissen zwar die eigene Gruppe zusammen und vermitteln eine Selbstaufwertung, lösen aber komplexe Probleme in keiner Weise. Verschwörungstheorien forcieren eher Pseudolösungen.
Bruno Heidlberger schreibt dazu:
«Das Grundmuster aller Verschwörungsideologien ist nahezu deckungsgleich mit Antisemitismus. Komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge werden personifiziert, „Schuldige“ benannt……Der Sündenbock entlastet und gibt Hoffnung, weil man ihn fixieren kann. Menschen oder Gruppen kann man austauschen, notfalls beseitigen; für die Veränderung von Strukturen, wie den Klimawandel oder die Globalisierung, wie auch der eigenen Lebensgewohnheiten, braucht man einen starken Willen, gründliches Wissen, politische Mehrheiten und einen sehr langen Atem.»
Dass komplexe gesellschaftliche und ökonomische Vorgänge sich nicht einfach durch einzelne Personen oder Personengruppen steuern lassen, hängt auch damit zusammen, dass Geschichte grundsätzlich nicht planbar ist. Ausführlicher beschrieben ist dieses Phänomen hier:
Geschichtskompetenz (historical literacy) zur Vorbeugung gegen Verschwörungstheorien
Weitere Beispiele für Personalisierung
Die Verschwörungstheorien um George Soros sind zwar ein krasses, aber bei weitem nicht das einzige Beispiel für Personalisierung. Hier zwei weitere Beispiele:
☛ Hillary Clinton (Kurzslogan: „Lock her up!“ / “Sperrt sie ein!”)
Hillary Clinton wurde im Wahlkampf mit der «Pizzagate»-Verschwörungstheorie diffamiert. Die Unterstellung, sie betreibe in einer Pizzeria einen Kinderpornoring, ist ein Beispiel für politische Demagogie.
Bill Gates ist der personalisierte Feind der Impfgegner und Corona-Leugner. Ihm wird in diesem Bereich so gut wie alles zugetraut und unterstellt, was überhaupt möglich ist. Er soll der Erfinder der Pandemie sein, uns mit Mikrochips impfen und so weiter…
Mehr dazu hier:
Gates Bill – ein Lieblingsfeind der Verschwörungstheoretiker
Fazit:
Selbstverständlich können George Soros, Hillary Clinton, Bill Gates und andere kritisiert werden. Die faktenfreie Präparation einer auf die Person zugespitzten Verschwörungstheorie hat jedoch nichts mit Kritik zu tun. Siehe dazu: Lob der Kritik.
Wer ernsthaft in irgendeinem Thema etwas verbessern oder verändern will, kommt nicht darum herum, sich auf die komplexen Situationen einzulassen. Personalisierende Verschwörungstheorien hingegen zeigen mit dem Finger auf Faktoren, die nicht systemrelevant sind. Damit stützen sie den Status Quo.
Sich auf Personalisierung zu versteifen bringt deshalb nicht weiter.