Der Bombenanschlag in Oklahoma City ist ein Beispiel für die Verbindung, die zwischen Verschwörungstheorien und Gewaltanwendungen entstehen kann.
Am 19. April 1995 brachte der Rechtsextremist Timothy McVeigh in Oklahoma City eine Autobombe zur Explosion. Sie kostete 168 Menschen das Leben, darunter 19 Kinder. Bis zu diesem Datum hatten die USA kein schwereres Attentat erlebt.
Der Attentäter fuhr mit einem Kleinlaster zum Alfred-P.-Murrah-Federal-Building, einem Gebäude des US-Bundesregierung in Oklahoma City. Er parkte dort den Wagen, in dessen Laderaum sich ein Sprengsatz aus Düngemittel und Treibstoff befand. Ein Zeitzünder brachte die Bombe um 9.02 Uhr zur Explosion und riss die Frontfassade des Regierungsgebäudes ein. Der Täter wurde kurz nach dem Anschlag auf der Flucht verhaftet, weil er bei einer Verkehrskontrolle auffiel. Erst zwei Tage danach brachten ihn die Beamten mit der Explosion in Verbindung.
Hintergrund des Anschlags von Oklahoma City
Im Hintergrund des Anschlags von Oklahoma City zeigt sich eine enge Verknüpfung von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Verschwörungstheorien.
Der Täter hatte das Datum für den Bombenanschlag bewusst ausgewählt. Es handelte sich um den zweiten Jahrestag der Räumung des Anwesens der Davidianer-Sekte in Waco (Texas).
Wie Timothy McVeigh später aussagte, wollte er die Tragödie um den militanten Sektenführer David Koresh rächen.
Die Mitglieder dieser Sekte, die sogenannten Branch Davidians, hatten sich schwer bewaffnet, angeblich um für den Weltuntergang vorbereitet zu sein.
Das zuständige staatliche Amt für Alkohol, Tabak und Schusswaffen (ATF) wollte am 28. Februar 1993 eine Razzia durchführen. Dabei kam es zum Schusswechsel, bei dem sowohl Beamte als auch Mitglieder der Sekte ums Leben kamen. Das FBI übernahm daraufhin die Leitung der Operation und belagerte das Anwesen der Sekte. Nach 51 Tagen stürmten die Sicherheitskräfte am 19. April 1993 schließlich die Ranch, die unter bislang ungeklärten Umständen in Flammen aufging. Über 70 Davidianer starben im Feuer, darunter auch der Sektenführer David Koresh.
Die dramatischen Ereignisse in Waco gelten als ein Schlüsselmoment für die rechtsextremistische Szene der Vereinigten Staaten in den 1990er Jahren. Die Rechtsextremisten bewerteten den FBI-Einsatz als Zeichen der Unterdrückung von Religionsausübung und Waffenbesitz durch die Bundesregierung. Auch der nachmalige Attentäter von Oklahoma City sympathisierte mit dem angeblich patriotischen Aufstand der Verbarrikadierten gegen den Staat.
Timothy McVeigh wollte sich mit dem Anschlag an der Regierung rächen. Er tötete allerdings hauptsächlich Angestellte der Bundesregierung und Kinder aus einem Kindergarten im ersten Stock des Gebäudes. Bei der Planung des Attentats wurde er von zwei Männern unterstützt, die später wegen Mittäterschaft zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.
Turner-Tagebücher als Vorlage für das Attentat in Oklahoma City
Timothy McVeigh entwickelte sein Weltbild über Jahre. Auf dem College hatte er im Jahr 1986 „Die Turner-Tagebücher“ („The Turner Diaries“) gelesen, einen antisemitischen Roman des US-Rechtsextremisten William Luther Pierce (1933 – 2002) von 1978. Pierce war Gründer und Leiter der National Alliance und ein Angehöriger von George Lincoln Rockwells American Nazi Party (ANP).
Im Buch beschreibt William Luther Pierce eine „weiße Revolution“, in der die Protagonisten als „einsame Wölfe“ („Lone Wolfs“) nach dem Konzept des „führerlosen Widerstands“ („Leaderless Resistance“) kämpfen. Dabei wird unter anderem ein Autobomben-Anschlag auf die FBI-Zentrale geschildert.
Die rechtsextreme Verschwörungstheorie der Turner-Tagebücher inspirierte Timothy McVeigh für seine Tat: Selbst bei der Uhrzeit des Bombenanschlags hielt er sich an die Buchvorlage und in seinem Wagen wurden Auszüge aus dem Buch gefunden. Die Turner-Tagebücher wirkten und wirken allerdings darüber hinaus.
Der Roman gilt als ein Standardwerk der rassistischen White-Supremacy-Bewegung in den USA. Es verbreitete sich rasch in der weltweiten Neonazi-Szene; als erstes grosses rechtsextremes Netzwerk berief sich Blood and Honour darauf. Auch der norwegische Terrorist Anders Breivik und die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds in Deutschland (NSU) haben das Werk gelesen. Auch im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Capitol in Washington anfangs 2021 tauchen die Turner Diaries auf.
McVeighs Kontakte zu rechtsextremen Milizen
McVeigh bewegte sich im Umfeld der sogenannten Militias im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Diese selbsternannten rechtsextremen Bürgerwehren trainierten in den 1990er Jahren in abgelegenen Wäldern für den Kampf mit der Waffe gegen die Staatsgewalt. Schusswaffenkontrollen lehnten sie entschieden ab. Sie verdächtigten die Bundesregierung, aufrechte Bürger entwaffnen zu wollen.
Das Gebäude in Oklahoma City wählte Timothy McVeigh den rechten Verschwörungstheorien folgend als Ziel aus, weil darin mehrere Bundesbehörden untergebracht waren, darunter auch das Amt für Alkohol, Tabak und Schusswaffen (ATF). Angeblich soll die Aktion in Waco gegen die Davidianer-Sekte von Oklahoma City aus gesteuert worden sein.
Todesurteil für Timothy McVeigh
Im Jahr 1997 wurde McVeigh zum Tode verurteilt und am 11. Juni 2001 mittels Giftinjektion hingerichtet.
Verschwörungstheorien zum Attentat in Oklahoma City
Das Bombenattentat von Oklahoma City wurzelt stark in Verschwörungstheorien, wurde aber selber wiederum von Verschwörungsgläubigen genutzt für weitere Verschwörungstheorien. Verschwörungsdenken kann offenbar nicht einfach aufhören. Es dreht immer weiter.
Zeitweilig kursierten jedenfalls in den USA Verschwörungstheorien, nach denen der Ku-Klux-Klan, islamistische Terroristen, die nordirische IRA und der im Bundesstaat Oklahoma wohnende Deutsche Andreas Strassmeir, Sohn des ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretärs Günter Straßmeir (CDU), in das Attentat verwickelt gewesen sein sollten Auf solche Beteiligungen gibt es keinerlei Hinweise.
Quellen:
Vor 25 Jahren: Bombenanschlag von Oklahoma City (Bundeszentrale für politische Bildung)
Beitrag zum Thema «Turner-Tagebücher» auf Wikipedia.
Beitrag zum Thema «Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City» auf Wikipedia.
Beitrag zum Thema «Timothy McVeigh» auf Wikipedia.
Beitrag zum Thema «William Luther Pierce» auf Wikipedia.
Anmerkungen:
☛ Die fiktiven «Turner-Tagebücher» scheinen ähnlich wie die fiktiven «Protokolle der Weisen von Zion» eine Art Basiserzählung zu vermitteln, auf der sich verschiedenste Formen der Gewaltanwendung und des Antisemitismus gründen.
☛ Die Turner-Tagebücher haben mehrfach als Vorlege oder Inspiration für Gewalttaten gedient. Das zeigt den zerstörerischen Einfluss, den verantwortungslose Äusserungen spielen können. William Luther Pierce hat selber nicht getötet, aber sein Roman hat dazu angestiftet. Juristisch kann man Pierce nicht für den Anschlag in Oklahoma City verantwortlich machen, moralisch trägt er eine Mitschuld. Heute sind Gewaltaufrufe im Internet ein grosses Problem. Juristisch sind sie oft nicht zu fassen, weil sie im Schutz der Anonymität agieren. Dass irgendein durchgeknallter Typ die Gewaltphantasien in die Tat umsetzt, nehmen die Verfasserinnen und Verfasser offenbar in Kauf. Siehe dazu:
Verschwörungstheorien als Katalysatoren von Gewalt
☛ Die Hintergründe rund um das Attentat von Oklahoma City zeigen beispielhaft, wie sich nationalsozialistische Ideologie, Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Gewaltphantasien verbinden und in einem monströsen Gewaltakt enden können. Siehe dazu auch:
Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien – ein enger Zusammenhang