Wie stark und auf welche Weise Verschwörungstheorien eine Gefahr für Demokratien sind, wird kontrovers diskutiert. Professor Dr. Stephan Packard von der Universität Köln beschreibt in einem Text den Einfluss von Verschwörungstheorien auf die Öffentlichkeit und die daraus folgende Gefahr für Demokratien. Er weist darauf hin, dass die Bindekraft der Öffentlichkeit schwindet und dass Verschwörungstheorien daran beteiligt sind:
«Eine verbindliche öffentliche Kommunikation gehört zu den Voraussetzungen einer modernen demokratischen Meinungsbildung. Das bedeutet nicht, dass sich alle in allem einig sein müssen; aber der Ort, an dem der Streit ausgetragen wird, an dem diskutiert wird, müsste möglichst vielen vertraut und zugänglich sein. Ein Ort also, um Dissens zu äußern und auszuhandeln, so dass die Auseinandersetzung möglichst viele verschiedene Gruppen angeht und beteiligt. Wer einer Verschwörungstheorie anhängt, erkennt keinen solchen Ort mehr an: alles, was öffentlich gesagt und geglaubt wird, fällt unter Verdacht.»
Medien und schwindende Bindekraft der Öffentlichkeit
Ein wichtiger Ort für verbindliche öffentliche Kommunikation zur demokratischen Meinungsbildung sind zum Beispiel die Medien. Indem sie von Verschwörungsideologen oft pauschal als «Lügenpresse» diffamiert werden, verliert dieser wichtige Ort der Öffentlichkeit an Glaubwürdigkeit. Die Bindekraft der Öffentlichkeit wird aber auch vermindert, wenn pauschales, toxisches Misstrauen gegenüber der Wissenschaft und gegen Expertinnen und Experten gepflegt wird. Das geschieht zum Beispiel, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern pauschal unterstellt wird, sie seien gekauft.
Professor Dr. Stephan Packard weist auch darauf hin, dass Verschwörungsgläubige untereinander sich oft von der Öffentlichkeit abschotten:
«Verschwörungstheorien im aktuellen Sinne des Wortes meinen ja nicht nur eine, sondern immer zwei Verschwörungen: Wer einer Verschwörungstheorie anhängt, glaubt an die Existenz einer Verschwörung, die sich und ihr Handeln in der Öffentlichkeit erfolgreich verbirgt und dafür die etablierten medialen Institutionen perfekt manipuliert. Aber Verschwörungstheoretiker:innen kommunizieren dabei selbst esoterisch: sie grenzen sich von anderen ab und andere aus, das heißt, sie reden so miteinander, als würden sie selbst einer Verschwörung gegen den Rest der Welt angehören.»
Durch diese Abkoppelung von der andersdenkenden Öffentlichkeit verstärken sich die Überzeugungen innerhalb der jeweiligen Verschwörungsclique, was im Extremfall bis zu einer Art von Stammesdenken führen kann. In der Stammesgesellschaft hat jeder Stamm seine eigene Öffentlichkeit und es gibt kaum mehr gemeinsamen Boden zwischen den Stämmen. Siehe dazu auch:
Tribalismus, digitaler: Problematik des Stammesdenken
Quelle der Zitate:
Demokratie zwischen Mythen, Manipulation und (Falsch-)Meldungen (Universität Köln)
Ausserdem:
☛ Professor Dr. Stephan Packard ist Inhaber des Lehrstuhls für Kulturen und Theorien des Populären an der Universität Köln. Er ist Mitglied der Gesellschaft für Medienwissenschaft und dort unter anderem Gründungsmitglied der AG Medienwissenschaft und politischen Theorie. Im Jahr 2015 wurde er mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Das von ihm mitinitiierte interdisziplinären Projekt Fragmentierte Öffentlichkeit am Grimme-Forschungskolleg an der Universität zu Köln untersucht die Frage: „Wie sind Demokratie und Rechtsstaat in einer postdigitalen Gesellschaft möglich?
☛ Siehe auch:
Wissenschaftsverweigerung / Wissenschaftsleugnung
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften?