Das Neuschwabenland ist eine küstennahe Gegend in der Antarktis. Eine deutsche Expedition erkundete die Region 1938/39. Nach der Ankunft des Schiffs «Schwabenland» rammte die Besatzung an der Küste Pfähle mit Hakenkreuzfahnen in den Boden. Von dieser Szene existieren sogar Fotos. Laut der Verschwörungstheorie hat bis Kriegsende ein Geheimkommando dort Höhlen ausgehoben, einen autarken Außenposten errichtet und Vorräte eingebunkert. Angeblich sollen sich hochrangige Nationalsozialisten und auch Adolf Hitler im Jahr 1945 dorthin zurückgezogen haben. Zusammen mit geheimen Waffen, Gold und anderen Werten.
An diesem Ort soll bis in die Gegenwart das Deutsche Reich weiterexistieren. Auch der Eingang zur Innenwelt der sogenannten „Hohlerde“ soll sich angeblich im Neuschwabenland befinden. Auf zahlreichen Internetseiten, Blogs und Chats wird intensiv über die „wahre Geschichte“ von Neuschwabenland diskutiert. Wobei sich die Versionen der verschiedenen Autoren zum Teil krass widersprechen.
Neuschwabenland als Beispiel moderner Mythenbildung
Die Geschichte von Neuschwabenland ist ein Beispiel für moderne Mythenbildung. Um einen wahren Kern herum entsteht ein bunter Strauss von Verschwörungstheorien.
Im «Dritten Reich» avancierte die Walfang-Industrie bis Ende der 30er Jahre zu einem recht bedeutenden Zweig der deutschen Wirtschaft.
Über 50 Walfang-Schiffe sowie sieben schwimmende Fabriken lieferten in der Saison von 1938/39 knapp 500.000 Barrel Walöl – darüber hinaus sorgte der Walfang auch für das für die Herstellung von Sprengstoffen wichtige Glyzerin. Das Streben der Nazi-Führung nach weitestgehender Unabhängigkeit von Importen hatte zur Folge, dass der Vierjahresplan von 1936 einen umfangreichen Ausbau der deutschen Walfangflotte vorsah.
Der weiteren Expansion der Walfang-Industrie standen allerdings Befürchtungen im Weg, Norwegen könnte Anspruch auf die Seegebiete nahe der Antarktis erheben, in denen die deutsche Flotte primär unterwegs war. Die von Herrmann Göring ins Leben gerufene Deutsche Antarktische Expedition versuchte daher, einer möglichen norwegischen Beanspruchung zuvorzukommen und selbst den Besitz zumindest eines Teilgebietes der Antarktis zu ergreifen.
Zu diesem Zweck wurde das Katapultschiff Schwabenland in die Antarktis geschickt. Es führte zwei Flugboote mit sich, die über ein Katapult abgeschossen und über eine Krananlage wieder an Bord geholt werden konnten.
Bei der Expedition von 1938/39 handelte es sich nur um die erste von drei geplanten Expeditionen, mit denen in der Tat das Ziel verfolgt wurde, einen permanenten Außenposten in der Antarktis zu errichten. Das Vorhaben kam allerdings aufgrund des Kriegsbeginns nicht über die erste Expedition hinaus.
Um sich klar zu machen, wie absurd die Vorstellung ist, während dieser Expedition sei eine dauerhafte Basis oder auch nur ein Vorposten errichtet worden, genügt ein Blick auf den zeitlichen Rahmen: Die «Schwabenland» lief am 17. Dezember 1938 in die Antarktis aus und kam dort am 19. Januar 1939 an. Schon am 15. Februar brach das Schiff wieder auf und war am 12. April 1939 zurück. Das Schiff befand sich deshalb nur knapp einen Monat vor Ort. Diese Zeit hätte unmöglich genügt für die Errichtung einer permanenten Basis in der häufig proklamierten Entfernung von mehr als 250km von Küstennähe. Insbesondere auch, weil innerhalb dieser Zeit auch die Kartographierung des Gebietes erfolgte. Dabei musste das Schiff permanent vor der Küste kreuzen, da die Flugboote abgeschossen und wieder eingesammelt werden mussten.
Die Neuschwabenland-Expedition war ein Fehlschlag
Insgesamt war das Vorhaben der Nazis ein totaler Fehlschlag. Zur Verärgerung Hermann Görings meldete Norwegen am 14. Januar 1939 in Unkenntnis der noch laufenden deutschen Expedition doch noch seinen Besitzanspruch auf das Königin-Maud-Land und damit auch das von der Schwabenland-Besatzung kartographierte Gebiet an. Die zweite Expedition, die daraufhin ein anderes Areal weiter südlich anfahren sollte, fand nie statt und die kartographischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse der ersten Expedition konnten wegen des Krieges nicht international publiziert werden. Damit trotz dieses Fiaskos aus dem Vorhaben am Ende der Kern einer der hartnäckigsten Verschwörungstheorien unserer Tage wurde, bedurfte es mindestens zweier weiterer Ereignisse – der britischen Operation „Tabarin” sowie der Kapitulation der beiden U-Boote U 530 und U 977.
Die Operation Tabarin
Manche Verschwörungslegenden um «Neuschwabenland» behaupten, dass die Basis im Jahr 1943 über einen befestigten U-Boot-Hafen und eine mehrere hundert oder tausend Mann starke Besatzung umfasste. Der britische Special Air Service (SAS) soll nun den ersten von mehreren Angriffsversuchen gestartet haben, die jedoch allesamt scheiterten.
Auch hier gibt es einen sehr kleinen realen Kern.
Zwischen 1943 und 1945 fand auf einer Reihe kleiner Inseln in 3 600 km Entfernung vom Südpol die britische Militäroperation «Tabarin» statt. Auf diese «Falkland Dependencies» genannten Inseln erhoben in den 40er Jahren auch Chile und Argentinien Anspruch. Diese zwei Staaten sympathisierten mit Hitler-Deutschland.
Churchill sah sich daher genötigt, die britischen Ansprüche im Rahmen von Operation “Tabarin” durch Errichtung einer Reihe kleinerer Basen zu unterstreichen.
Die im Rahmen dieser Operation erstellten “Basen” waren allerdings nur minimal bemannt – so waren im Jahr 1944 zum Beispiel nur 5 Mann auf Deception Island und 9 in Port Lockroy stationiert. Von ihnen gehörte im Übrigen keiner der SAS an. Größere Truppen zur Aushebung irgendwelcher Nazi-Basen hielten sich zu keiner Zeit in der Region auf. Das wenige Personal verrichtete vorwiegend wissenschaftliche Arbeit. „Tabarin” wurde deshalb noch im Jahr 1945 in die zivile „Falkland Islands Dependencies Survey” (FIDS) überführt. Nur drei ehemalige SAS-Offiziere, die nach der Auflösung ihrer Einheit nach neuen Aufgaben suchten, schlossen sich FIDS an. Das ermöglichte es späteren Autoren von Verschwörungserzählungen rund um «Neuschwabenland», die Eliteeinheit SAS mit „Tabarin” zu verknüpfen.
U 530 und U 977
Die Verschwörungsgeschichten um Neuschwabenland erhielten starken Schub, als die Besatzung des deutschen U-Boots U 530 am 10. Juli 1945 – mehr als zwei Monate nach Kriegsende – ihr Schiff im argentinischen Seebad Mar del Plata den dortigen Behörden übergab. Die “verlängerte” Mission des Bootes über die Kapitulation des «Dritten Reiches» hinaus ergab sich einfach aus der Tatsache, dass die Besatzung hoffte, im Nazi-freundlichen Argentinien nicht in Gefangenschaft zu geraten. Die Ankunft von U 530 beflügelte wilde Spekulationen, Elemente der Nazi-Führung hätte sich mit zusammengestohlenen Reichtümern nach Südamerika in Sicherheit gebracht.
Eine Rolle spielt dabei auch, dass die Vorstellung, Hitler habe sich rechtzeitig aus Berlin absetzen können und der Selbstmord im Bunker sei eine von seinen Anhängern lancierte Vertuschung gewesen, im Jahr 1945 weit verbreitet war.
Ein argentinischer Journalist ungarischer Abstammung namens Ladislas Szabo setzte am 16. Juli 1945 in der “La Critica” zum ersten Mal die Vorstellung einer Flucht Hitlers in die Antarktis in die Welt. Die Geschichte war so erfolgreich, dass sie von vielen Zeitungen übernommen wurde, von denen die meisten sie jedoch später widerriefen. Als am 17. August 1945 ein weiteres deutsches U-Boot – U 977 – in Mar del Plata auftauchte, war das für Szabo der endgültige Beweis für die Richtigkeit seiner Thesen. Er machte sich nun daran, ein Buch zu verfassen, welches den Grundstein aller späteren Verschwörungstheorien um Neuschwabenland bilden sollte. Das Werk erschien 1947 unter dem Titel: “Hitler está vivo” (Hitler ist am Leben). Es wurde über Nacht zu einem Bestseller der Verschwörungsliteratur.
Dass die Geschichte keinerlei realistische Basis hatte, stand ihrem Erfolg nicht im Weg.
Nur schon der Gedanke, was es eigentlich bedeuten würde, Menschen von einem an der Küste liegenden U-Boot aus mitten im Winter zu einem Stützpunkt zu transportieren, der sich angeblich 250km im Landesinneren befindet, müsste die Absurdität dieser Vorstellung klar machen.
Weder Szabo noch die ihm nachfolgenden «Neuschwabenland»-Autoren prüften kritisch, ob es denn für U 530 und U 977 zeitlich und technisch überhaupt möglich gewesen wäre, die Küste der Antarktis zu erreichen.
Ausgehend von der maximalen Tauchtiefe der U-Boote lässt sich nämlich leicht nachweisen, dass keines der beiden Boote in der Lage gewesen wäre, das Packeis des südatlantischen Winters zu überwinden und überhaupt bis zur Küste vorzudringen.
Berücksichtigt man darüber hinaus noch die Geschwindigkeit der Boote, die Größe ihrer Treibstofftanks und die Daten ihres Auslaufens sowie ihrer Ankunft in Mar del Plata wird deutlich, dass die Reise auch zeitlich nicht durchführbar gewesen wäre.
Die Gerüchte um die vermeintliche Flucht Hitlers verkauften sich trotzdem gut – und bekamen schon bald neue Nahrung.
Operation Highjump
Kurz bevor Ladislas Szabo sein Buch über Hitlers angebliche Flucht in die Antarktis veröffentlichte, führten die USA unter dem Codewort “Highjump” die bis anhin größte Expedition in die Antarktis durch.
Dabei wurden insgesamt 33 Schiffe mit mehr als 4700 Mann Besatzung entsandt. Die Operation “Highjump” verfolgte auch einige wissenschaftliche Ziele. Primär handelte es sich jedoch um eine militärische Operation.
Denn die US-amerikanische Militärführung ging davon aus, dass im Falle eines Konflikts mit der Sowjetunion die Arktis (nicht unbedingt die Antarktis) ein wahrscheinlicher Kriegsschauplatz sein könnte.
Zu mindestens lag die Annahme nahe, dass die sowjetischen Truppen besser auf Einsätze unter arktischen Bedingungen vorbereitet waren als die US-Militärs. Deshalb wurden entsprechende Traininigseinsätze zunehmend bedeutender.
Am Anfang standen die Operationen “Frostbite” (1945/46) und “Nanook” (1946). Sie sind jedoch für die Anhänger von Verschwörungstheorien von eher geringem Interesse. Sie fanden nämlich nicht in antarktischem Gebiet, sondern in der Davisstraße statt. Mit “Highjump” folgte die bis dahin größte Trainingsaktion, an die sich 1948 noch “Windmill” anschloss.
Anhänger der Neuschwabenland-Verschwörungstheorie sahen in „Highjump” einen geheimen und gescheiterten Angriff auf eine vermeintliche Basis im von der Schwabenland-Expedition kartographierten Gebiet. Die Verschwörungsgläubigen sehen ihre Vorstellungen durch zwei Gründe bestätigt:
Dem vorzeitigen Ende der „Highjump”-Mission und dem Verlust an Menschenleben, die beide dem Widerstand übrig gebliebener Nazi-Truppen zugeschrieben werden. Die realen Erklärungen für diese zwei Punkte sind jedoch sehr viel banaler und weitaus weniger dramatisch.
Einer der beiden Eisbrecher wurde beim Aufbruch der Flotte noch überholt. Er konnte sich der Expedition erst später anschließen. Deshalb war zunächst nur ein Eisbrecher verfügbar. Dadurch kam die Flotte deutlich langsamer als geplant voran. Das Ross-Schelfeis erreichte sie dadurch erst am 15. Januar. Dazu kam noch ein äußerst strenger Winter. Da die Mehrzahl der Schiffe nicht über einen verstärkten Rumpf verfügte, musste die Rückfahrt schon am 23. Februar angetreten werden, um weitere Schäden durch Eiseinschluss zu vermeiden.
Der verspätete Aufbruch der Flotte, das Fehlen des zweiten Eisbrechers, überraschend viel Packeis und der frühe Wintereinbruch hatten zur Folge, dass die Übungen nach etwas mehr als einem Monat eingestellt werden mussten. Für die meisten Autoren von Neuschwabenland-Mythen ist das ein verdächtig kurzer Zeitraum, der sich nur durch den unerwarteten Widerstand der Nazi-Truppen erklären lässt.
Der zweite oft angeführte Grund – die angeblichen „großen Verluste an Mensch und Material”, ist eine reine Erfindung. In Wirklichkeit ging im Rahmen von „Highjump” nur ein einziges Flugzeug vom Typ Mariner während eines Schneesturms verloren.
Im Gegensatz zu „Tabarin” war „Highjump” im Übrigen zu keinem Zeitpunkt eine geheime Mission, auch wenn die militärischen Erkenntnisse zur damaligen Zeit verständlicherweise nicht publiziert wurden. An Bord der Flotte befanden sich sogar 11 „embedded journalists”, die ausführlich über die Expedition berichteten.
Ein Hauptfehler der Verschwörungsgläubigen besteht aber schon darin, „Highjump” als ein isoliertes Ereignis zu betrachten. Die Expedition war vielmehr Bestandteil einer weitaus umfangreicheren Militärübung des frühen Kalten Krieges.
Quelle:
Der Text basiert auf folgendem Beitrag von Christian Reinboth:
Neuschwabenland: Hitlers Basis in der Antarktis als Beispiel für moderne Mythenbildung
(Scienceblogs)
Dieser Beitrag auf Scienceblogs stützt sich wiederum auf:
Summerhayes, C., & Beeching, P. (2007). Hitler’s Antarctic base: the myth and the reality Polar Record, 43 (01) DOI: 10.1017/S003224740600578X
Anmerkungen:
Die Verschwörungslegenden um Neuschwabenland zeigen, wie über Jahrzehnte eine Geschichte weitergesponnen wird, ohne dass Fakten dabei eine entscheidende Rolle spielen. Belege für ihre Behauptungen bringen die Autoren nicht. Verschwörungstheorien kommen sehr gut ohne Beweise aus. Siehe dazu: