Die Verschwörungstheorie von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung gehört zum Kernbereich der nationalsozialistischen Ideologie. Der Nationalsozialismus war aber darüber hinaus schon von Beginn an charakterisiert durch das perfide Erfinden, Ausnutzen und Bewirtschaften von Verschwörungstheorien. Beispiele dafür sind der angebliche «Röhm-Putsch» und der Reichstagsbrand. Viel bedeutungsschwerer ist jedoch die Verschwörungstheorie von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung.
Die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung
Die Verschwörungstheorie von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung wurde nicht erst von Adolf Hitler und den Nationalsozialisten erfunden. Sie war schon im November des Jahres 1918 fest in den Köpfen der Gegenrevolutionäre verankert.
Ihren Ursprung hatte sie in der Oktoberrevolution 1917 in Russland. Darin liegt insofern ein wahrer Kern, als zu den Anführern der Oktoberrevolution etliche Personen mit jüdischer Herkunft gehörten: Leo Trotzki, Grigori Sinowjew und Karl Radek. Die Gegner der Bolschewiki nutzten diese Tatsache, um die Bevölkerung gegen die Revolutionäre zu mobilisieren und eine Wesensgemeinschaft zwischen Judentum und Bolschewismus zu unterstellen. Die gegenrevolutionären «weissen» Truppen nutzen für diese Propaganda den latent starken Antisemitismus in Russland aus. Unterschlagen wurde dabei, dass die führenden jüdischen «Roten» dem Judentum entfremdet waren und es wie andere Religionen bekämpften.
Angehörige der im Bürgerkrieg unterlegenen «weissen», zaristischen Armee brachten die Verschwörungstheorie vom Judaeo-Bolschewismus nach Mittel- und Westeuropa. Sie fühlten sich darin von den fiktiven «Protokollen der Weisen von Zion» bestätigt.
Die nachhaltigste und auf lange Sicht verheerendste Wirkung entfaltete diese Verschwörungstheorie allerdings in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus. Seit dem Jahreswechsel 1918/19 wurden die Dörfer und Städte von Broschüren und Flugblättern geradezu überschwemmt, in denen die Juden als die eigentlichen Drahtzieher der Revolution verunglimpft wurden. In diesem aufgeheizten Klima startete der unbekannte Weltkriegsgefreite Adolf Hitler im Herbst 1919 seine politische Laufbahn und entwickelte sich zum fanatischen Antisemiten. In seinen frühen Reden war der Antisemitismus noch nicht mit dem Antibolschewismus verknüpft. Im Zentrum stand die Polemik gegen die «Novemberverbrecher» – Juden und Linke – denen Hitler die Schuld gab an der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der darauf ausgebrochenen Revolution, sowie am «Schandfrieden» von Versailles (siehe dazu: Dolchstosslegende). Es dauerte allerdings nicht lange, bis Hitler auch das Feindbild des «jüdischen Bolschewismus» in das antisemitische Hassgebilde des Nationalsozialismus einbaute. Grossen Einfluss auf diese Entwicklung hatte Alfred Rosenberg.
Rosenberg wurde 1893 als Sohn einer deutschbaltischen Grossfamilie in Reval geboren, dem heutigen Tallinn (Estland). Er war 1917 als Student in Moskau Zeuge der Revolution. Beeinflusst durch russische Emigranten interpretierte er die Oktoberrevolution als Folge einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung. Mit dieser Vorstellung prägte er später entscheidend die Ideologie der NSDAP. Ab 1920 trug er mit zahlreichen rassenideologischen Schriften erheblich zur Verschärfung des Antisemitismus in Deutschland bei. Mit Beginn der Weimarer Republik publizierte Alfred Rosenberg erste Schriften wie ‘Die Spur des Juden im Wandel der Zeiten’ (1919), ‘Das Verbrechen der Freimaurerei. Judentum, Jesuitismus, Deutsches Christentum’ (1921) und ‘Pest in Russland’ (1922). Im Jahr 1923 gab Rosenberg einen Kommentar zu den ‘Protokollen der Weisen von Zion’ heraus, einer fiktiven, antisemitischen Hetzschrift, für deren Verbreitung er sich bereits seit seiner Ankunft in Deutschland eingesetzt hatte und die zwei Jahre später in ‘Mein Kampf’ (1925/1926) von Hitler mehrfach zitiert wurde.
Alfred Rosenberg verband Motive eines religiösen und eines rassistisch motivierten Judenhasses. Darin unterschied er sich von Adolf Hitler, der in seinem Antisemitismus ausschliesslich biologistisch argumentierte.
Antisemitische Propaganda im Nationalsozialismus
Mit zwei propagandistischen Grossprojekten versuchte das NS-Regime, den Antisemitismus als rassistische Doktrin und die Verschwörungstheorie von der jüdischen-bolschewistischen Weltverschwörung im Alltag des «Dritten Reiches» zu verankern. Es handelte sich um eine Ausstellung und eine Film-Trilogie.
Die Ausstellung ‘Der ewige Jude’ wurde ab November 1937 in München und anschliessend in Wien, Berlin und anderen deutschen Städten gezeigt. Es handelte sich um eine Materialschlacht antisemitischer Bilder, Texte und Objekte. Vermittelt wurde damit die verschwörungstheoretische Denkfigur eines einheitlichen und geschlossenen, jedoch bösartigen und aggressiven Judentums als Bedrohung der nicht-jüdischen Welt. Damit verbunden ist die Botschaft, dass diese Gefahr zur Rettung der eigenen Existenz abgewehrt werden müsse.
Die Ausstellung stellte die drei gängigen Verschwörungsphantasien des Nationalsozialismus über Jüdinnen und Juden dar:
1) Als Herren des internationalen Finanzsystems (Kapitalismus).
2) Als unerbittliche Ausüber politischer und wirtschaftlicher Macht (Weltherrschaft).
3) Als Pioniere kommunistischer Lehre und Herrschaft (Bolschewismus).
Der Widerspruch, dass die Juden sowohl hinter dem Kapitalismus stecken als auch hinter seinem Gegenpol, dem Kommunismus, scheint hier keine Rolle zu spielen. Die Ausstellung transportiert auch Verschwörungstheorien zu den Freimaurern. Schon in den Gründungsjahren der NSDAP, als Erich Ludendorff noch Einfluss auf die Hitlerbewegung hatte, waren neben den Juden Freimaurer und Jesuiten als ‘überstaatliche Mächte’ in das Bedrohungsszenario der Völkischen integriert. Adolf Hitler sah die Freimaurer als Instrument des Judentums im Streben nach Weltherrschaft. Sie galten ihm als Schrittmacher jüdischer Macht. «Der Jude» verfolge unter dem Deckmantel religiöser Toleranz mithilfe der Freimaurer sein Ziel.
Die antisemitische Film-Trilogie wurde 1940 lanciert. In ihr wurden die Juden nicht mehr wie bisher in der Filmpropaganda des Nationalsozialismus üblich als komische Figuren dargestellt, sondern als gefährliche ‘Untermenschen’:
– ‘Der ewige Jude’ gilt als aggressivster antisemitischer Propagandafilm. Adolf Hitler und sein Propagandaminister Joseph Goebbels nahmen starken Einfluss auf seine Form und seinen Inhalt. Der Film besteht aus einer Aneinanderreihung von Szenen, in denen Juden als sozial niedrigstehendes, kulturloses, parasitisches Volk präsentiert werden. Die Bilder stammen weitestgehend aus Ghettos in Polen, die als „Pestherd… der die Gesundheit der arischen Völker bedroht“, dargestellt werden. Dabei wurden bewusst Personen ausgewählt, die ärmlich gekleidet, teilweise zahnlos und verschmutzt in die Kamera grinsen.
Der Film zeigt Örtlichkeiten, die dreckig sind und von Schädlingsinsekten befallen. Dabei wird die bildlich dargestellte Wanderung der Juden aus Osteuropa wird mit der Wanderung von Ratten verglichen. Jüdische Menschen werden dadurch mit zu vernichtendem Ungeziefer gleichgestellt. Mit diesem Film sollte denn auch die deutsche Öffentlichkeit auf die geplante „Endlösung der Judenfrage“ eingestimmt werden. Deshalb ist es ein Warnsignal, wenn in der Politik politische Gegnerinnen und Gegner als Ungeziefer dargestellt werden.
– ‘Jud Süss’ lehnt sich an die historische Figur des Joseph Süß Oppenheimer (1698–1738) an, der als «Finanzienrat» am Hof des Herzogs Alexander von Württemberg (1684–1737) tätig war und nach dem Tod Alexanders als Sündenbock für dessen Verfehlungen büssen musste. Als Opfer eines Justizmordes aufgrund judenfeindlicher Anschuldigungen wurde er hingerichtet und sein Leichnam sechs Jahre lang in einem Käfig zur Schau gestellt. Der NS-Propagandafilm entspricht jedoch nicht den überlieferten Quellen. Oppenheim wird als geschäfts- und herrschaftssüchtiger, moralloser und sexuell verkommener Vergewaltiger dargestellt. Der Film mobilisiert sexuelle Ängste und Aggressionen und nutzt sie für antisemitische Hetze. Er nimmt dabei Bezug auf die ‘Nürnberger Rassegesetze’ (1935) mit ihrem Sexualverbot zwischen Juden und Nichtjuden.
– ‘Die Rothschilds’ (1940) befasst sich in antisemitischer Weise mit dem Aufstieg der jüdischen Bankiersfamilie Rothschild. Der Film baut auf die Verleumdungen über den Aufstieg des Hauses Rothschild auf, die bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert in Umlauf sind. Siehe dazu: Rothschild – Bankiersfamilie als Ziel antisemitischer Verschwörungstheorien. ‘Die Rothschilds’ vereint verschiedene Stereotype des nationalsozialistischen Antisemitismus. So wird Juden unterstellt, dass sie keine Staatstreue gegenüber den Ländern empfinden würden, in denen sie leben, und dass sie vom Leid anderer Menschen ausschliesslich profitieren würden. Auch stellt der Film jüdische Personen entsprechend dem nationalsozialistischen Klischee vom „schmierigen Juden“ dar.
Aussenpolitik und Verschwörungstheorien im Nationalsozialismus
Die Aussenpolitik des «Dritten Reiches» scheint die Darstellung der Verschwörungstheorien beeinflusst zu haben. Am 23. August 1939 unterzeichneten das Deutsche Reich und die Sowjetunion einen Nichtangriffspakt. Der Literaturwissenschaftler Viktor Klemperer, der die offizielle Sprache des «Dritten Reiches» aufmerksam beobachtete, bemerkte im Juni 1940, dass «der Ausdruck Bolschewismus» ganz aus der Propaganda verschwunden sei. Man höre stattdessen «nur noch Plutokratie». Damit erfasste Klemperer passend die Hauptstossrichtung der antijüdischen Propagandakampagne in der Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs. Mit dem Kampfbegriff «Plutokratie» unterstellte das NS-Regime die Herrschaft des grossen Geldes in den westlichen Demokratien und verband damit eine Herrschaft des internationalen «jüdischen Finanzkapitals». Auf dem Hintergrund des Nichtangriffspaktes nahm das NS-Regime also die antibolschewistische Propaganda zurück, obwohl die Sowjetunion von Anfang an der weltanschauliche Hauptgegner des Nationalsozialismus war. Stattdessen schoss sich zur Zeit des Westfeldzugs die Propaganda auf die «plutokratischen» westlichen Demokratien ein.
Das änderte sich nach dem Bruch des Nichtangriffspaktes mit dem Start des Unternehmens «Barbarossa», dem Feldzug gegen die Sowjetunion, im Juni 1941. Nun wurde das Feindbild von der «jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung wieder reaktiviert. Diese Verschwörungstheorie lieferte Hitler die Rechtfertigung für seinen Vernichtungskrieg im Osten. Sie führte aber auch dazu, dass der «Führer» die militärische Stärke der Sowjetunion krass unterschätzte. Weil sich die Sowjetunion in der Hand der Juden befinde, sei sie in ihrer «rassischen Substanz» entscheidend geschwächt: «Das Riesenreich im Osten ist reif zum Zusammenbruch. Und das Ende der Judenherrschaft in Russland wird auch das Ende Russlands als Staat sein.»
Zudem hatten in Hitlers Vorstellung slawische Untermenschen gegen arische Übermenschen von vorneherein keine Chance. Wir haben hier ein eindrückliches Beispiel dafür, wie Verschwörungstheorien und Rassenwahn die Realitätswahrnehmung drastisch verzerren und in den Abgrund führen.
Nach dem Kriegseintritt der USA änderte sich die Stossrichtung der NS-Propaganda erneut. Noch am 8. November 1941 bezeichnete Hitler vor «alten Kämpfern» in München Stalin als «grössten Diener des Judentums». Schon in seiner Reichstagsrede vom 11. Dezember, in der er den USA den Krieg erklärte, richtete sich seine antisemitische Wut aber gegen den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt: «Es war der Jude in seiner ganzen satanischen Niedertracht, der sich um diesen Mann scharte, und nach dem dieser Mann aber auch griff.» Die beiden ideologischen Stränge – der «jüdische Bolschewismus» und die «jüdische Plutokratie» – vereinigten sich nun in der wahnhaft verzerrten Gedankenwelt des «Führers» zu einer einzigen Hassformel, der «jüdisch-kapitalistisch-bolschewistischen Weltverschwörung».
Zum ersten Mal verwendete Hitler diese an sich absurde Formel in seinem Neujahrsaufruf vom 1. Januar 1942. Er wiederholte sie danach in seinen seltener werdenden öffentlichen Auftritten mit obsessiver Besessenheit. In einer Proklamation vom 24. Februar 1943, nur wenige Wochen nach dem Untergang der 6. Armee in Stalingrad, hiess es zum Beispiel, Deutschland stehe in einem «erbitterten Ringen gegen die von den Bankhäusern in New York und London gemeinsam mit den bolschewistischen Juden in Moskau angezettelte Weltgefahr». Die Koalition zwischen «ausbeuterischem Kapitalismus und menschenvernichtendem Bolschewismus» habe es auf die «völlige Ausrottung des deutschen Volkes» abgesehen. Es gehe also um einen «Kampf um Sein oder Nichtsein». Mit dieser Horrorvorstellung wollten Hitler und Goebbels den Widerstandswillen von Wehrmacht und Bevölkerung in den letzten Kriegsmonaten anstacheln.
Auch in den letzten Kriegsmonaten setzte der Nationalsozialismus auf die Mobilisationskraft der imaginierten «jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung». Weil «der Russe» vor Berlin stand, trat das internationale Finanzjudentum» als Propaganda-Feindbild wieder in den Hintergrund. Noch in seinem letzten Appell an die «Soldaten der Ostfront» vom 15. April 1945 verlangte Hitler, dem «jüdisch-bolschewistischen Todfeind» mit äusserstem Fanatismus entgegenzutreten. Selbst noch in seinem «politischen Testament», das er am 30. April kurz vor seinem Selbstmord diktierte, zeigen sich seine antisemitischen Hassvorstellungen ungebrochen. Es sei unwahr, log Hitler, dass er «den Krieg im Jahr 1939 gewollt» habe: «Er wurde gewollt und angestiftet von jenen internationalen Staatsmännern, die entweder jüdischer Herkunft waren oder für jüdische Interessen arbeiteten.» – Der Täter stellte sich als Opfer dar bis zum Schluss. Diese Opfermentalität zeigt sich regelmässig bei den Bewirtschaftern von Verschwörungstheorien.
Die Endphase des Krieges illustriert aber auch, mit welchem Fanatismus Menschen, die mit Verschwörungstheorien und Propaganda des Nationalsozialismus bis in jede Faser imprägniert wurden, auch in vollkommen sinnloser Lage noch zum Kampf bereit sind. Hitlerjungen, die ihr ganzes bewusstes Leben im «Dritten Reich» aufgewachsen waren, und nun als Minderjährige im «Volkssturm» verheizt wurden, boten in dieser Hinsicht erschreckende Beispiele.
Mit dem Ende des «Dritten Reiches» kam leider nicht auch das Ende des Nationalsozialismus als Ideologie. Sie lebte in verschiedenen Variante weiter, beispielsweise als esoterischer Hitlerismus bei Miguel Serrano oder als Mythos vom Neuschwabenland, wonach Hitler und seine Gefolgsleute in der Antarktis oder in der Hohlen-Erde überlebt haben sollen.
Quellen:
– «Ausnahmslos Hebräer», von Volker Ullrich, in: Zeit Geschichte «Vorsicht Verschwörung!» Nr. 3/2020.
– «Ketzer, Chemtrails und Corona – die mysteriöse Welt der Verschwörungstheorien und Geheimbünde, von Ingo Grabowsky, HEEL Verlag 2020.
– Verschwörungstheorien früher und heute, Katalog zur Sonderausstellung der Stiftung Kloster Dalheim, LWL 2020.
– Beitrag «Alfred Rosenberg» auf Wikipedia.
– Beitrag zum Film «Der ewige Jude» auf Wikipedia.
– Beitrag zum Film «Jud Süss» auf Wikipedia.
– Beitrag zum Film «Die Rothschilds» auf Wikipedia.
Siehe auch:
Antisemitismus und Verschwörungstheorien
Stalinismus als weitere totalitäre Weltanschauung
Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien – ein enger Zusammenhang