Verschwörungsgläubige verspüren häufig einen starken Missionierungsdrang. Er äussert sich darin, dass die jeweilige Überzeugung zum Dauerthema gemacht wird. Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungstheorien belästigen beispielsweise Arbeitskollegen mit Bekehrungsversuchen, beschimpfen sie als «Schlafschafe» und setzen sie unter Druck, dass sie doch jetzt endlich aufwachen und aktiv werden sollten. In Beratungsgesprächen mit Angehörigen von Verschwörungsgläubigen wird oft geschildert, dass der Missionierungsdrang das private Umfeld massiv unter Druck setzen kann. In solchen Situationen kann es notwendig werden, den Missionierungsversuchen Grenzen zu setzen.
Missionierungsdrang setzt soziales Umfeld unter Druck
Wer zum Schluss kommt, dass eine Aufrechterhaltung der Beziehung nur möglich sein wird, wenn die Missionierungsversuche eingestellt, oder zumindest auf ein Minimum zurückgefahren werden, sollte das Problem ansprechen. Manchmal kann in solchen Situationen ein klärendes Gespräch helfen, bei dem man sich auf klare Grenzen einigt. Dabei ist es nicht sinnvoll, die andere Person mit Vorwürfen zu attackieren. Vielmehr sollte die emotionale Beziehungsebene angesprochen werden.
Katharina Nocun / Pia Lamberty (2021) schlagen als Formulierung vor: «Ich merke, dass dich dieses Thema gerade sehr beschäftigt. Du bedeutest mir viel. Ich möchte mich nicht mit dir streiten. Deshalb wäre ich froh, wenn wir einen Weg finden würden, damit anders umzugehen.»
Im besten Fall hat die Person schlichtweg nicht realisiert, wie das penetrante Verbreiten der eigenen Überzeugungen auf andere wirkt, und ist durchaus offen für eine Veränderung des Verhaltens – weil sie die Beziehung zum Umfeld ebenfalls nicht beschädigen möchte.
Woher kommt der Missionierungsdrang?
Verschwörungstheorien sind oft verbunden mit ausgeprägten Feindbildern und teilen die Welt scharf in Gut und Böse. Wer sich als Verschwörungsgläubiger mit dem «guten Lager» identifiziert, wird durch alle, die seine Haltung nicht teilen, verunsichert. Kritik wird auf diesem Hintergrund zudem rasch als Angriff empfunden. Missionierungsbemühungen sind ein Mittel, diese Verunsicherung zu bekämpfen. Sie festigen die Identifikation mit dem Lager der Guten und wehren vermeintliche Angriffe ab.
Der Missionierungsdrang wird aber wohl auch verstärkt durch die Vorstellung, jetzt und sofort die Welt vor einer gefährlichen globalen Elite retten zu müssen. Damit verbundene Wut und Angst können Radikalisierungsprozesse beschleunigen. Verschwörungsgläubige suchen dann manchmal verstärkt Anschluss an radikale Online-Gruppen und werden dort in ihren Ansichten weiter bestärkt. Das Internet bietet dem Missionierungsdrang fast unbegrenzte Möglichkeiten. Jeder Missionar, jede Missionarin in Verschwörungssachen findet hier ein Publikum.
Quelle:
TRUE FACTS – Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft, von Katharina Nocun und Pia Lamberty, Quadriga Verlag 2021 (Seite 98/99)
Ergänzung:
Ein starker Missionierungsdrang bzw. ein missionarischer Aktivismus kennzeichnet auch die Gnosis. Diese christlich geprägten religiösen Bewegungen aus dem 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. zeigen viele Gemeinsamkeiten mit Verschwörungstheorien. Unter anderem findet sich bei Gnostikern ebenfalls eine grosse Bereitschaft als Prophet aufzutreten und sein Erlösungswissen der Menschheit zu verkünden. Siehe dazu: