Miguel Serrano (1917 – 2009) ist ein Beispiel dafür, wie sich ein Mensch in einem Gespinst von nationalsozialistischer Ideologie, Antisemitismus, Esoterik, Verschwörungstheorien und Gnosis verfangen kann. Der chilenische Diplomat wurde bekannt als Propagandist eines «esoterischen Hitlerismus» sowie als Antisemit und Holocaustleugner.
Er begann zuerst für linksgerichtete Zeitschriften zu schreiben, wechselte aber rasch die Seiten und äusserte 1939 erstmals öffentlich seine Sympathien für die chilenische Nazi-Partei. Nach dem Einmarsch der Deutschen in die Sowjetunion im Jahr 1941 verschrieb er sich ganz und gar der nationalsozialistischen Propaganda.
Als Miguel Serrano im Herbst 1941 zum ersten Mal von der «jüdischen Weltverschwörung» hörte, verstärkte das seine Neigung, an politische Verschwörungen zu glauben. Als er die fiktiven, antisemitischen «Protokolle der Weisen von Zion» in die Hände bekam, reichte die einmalige Lektüre dieses Pamphlets, ihn ganz und gar zu überzeugen, dass die Juden die Hintermänner einer weltweiten Verschwörung waren. Er wurde zum inbrünstigen Antisemiten. Später, in seinem gnostischen Hitler-Kult, fixierte Serrano die Idee der jüdischen Weltverschwörung in der Gestalt des bösen Demiurgen, des Herrn der Dunkelheit, der unseren gefallenen Planeten beherrscht. Näheres zu diesem Mythos hier: Gnosis und Verschwörungstheorien.
Miguel Serrano und die Esoterik
Miguel Serrano reicherte jedoch seine nationalsozialistische Ideologie nicht nur mit solchem apokalyptischen Antisemitismus an, sondern auch mit Elementen aus Esoterik, Hinduismus und Kundalini-Yoga. Ende 1941 nahm er den Gedanken auf, dass der Krieg auch auf anderen, inneren Bewusstseins- und Seinsebenen ausgetragen werden könnte. Er trat im Februar 1942 einem chilenischen Esoterikorden bei, der angeblich einer geheimnisvollen brahmanischen Elite aus dem Himalaja Gefolgschaft geschworen hatte, und von einem eingewanderten Deutschen gegründet worden war. Der Orden setzte seine esoterische Spiritualität direkt in Bezug zu Hitler und dem Nationalsozialismus. Er praktizierte rituelle Magie sowie tantrisches und Kundalini-Yoga. Der Meister des Ordens verkündete die grosse Bedeutung des feinstofflichen Körpers beziehungsweise des Astralleibs, der durch Rituale und spirituelle Übungen geweckt und aktiviert werden könne.
Mittels yogischer Meditationen werde die Schlangenkraft (kundalini) von der Wurzel der Wirbelsäule her durch die Energiezentren (chakras) des Organismus hindurch hin zum Scheitelpunkt des Kopfes gezogen, um dort das Höhere Selbst zu erwecken. Diese yogische «Erfahrung des Aufsteigens» setzte der Meister des Ordens in Beziehung zum nitzscheanischen Willen zur Macht sowie zu faschistischem Aktivismus. Miguel Serrano zeigte sich von der «esoterischen Weisheit» dieses sowohl mystischen also auch kriegerischen Ordens schwer beeindruckt.
Für Miguel Serrano ist Hitler ein Eingeweihter und Erlöser
Die Vorstellung von in weiter Ferne weilenden, brahmanischen Anführern des Ordens galt als deutliches Anzeichen für den vedisch-arischen Ursprung seiner Lehren. Die Mitglieder vereinte aber auch die glühende Bewunderung Adolf Hitlers, den sie als Eingeweihten und Retter und Erlöser der arischen (indo-europäischen) Rasse sahen.
Nach dem Ende des Krieges «begegnete» der Meister des Ordens Adolf Hitler tief im Innern der Erde. Für ihn und seine Anhänger ein unanfechtbarer Beweis dafür, dass der Führer überlebt hatte. Auch Miguel Serrano konnte die reale Niederlage des «Dritten Reiches» offensichtlich nicht verwinden und verstieg sich zunehmend in eine für ihn besser passende Fantasiewelt. Er war überzeugt, dass Hitler aus dem zerbombten Berlin entkommen und in der Antarktis Zuflucht gefunden hatte. Siehe dazu: Neuschwabenland – Mythos und Verschwörungstheorie
Hitler-Besessenheit
Der Chilene war von Hitler wie besessen und schloss sich 1947/48 als Journalist sogar einer Antarktisexpedition der chilenischen Armee an. In dieser Zeit studierte er zudem die Bücher von C. G. Jung über das kollektive Unbewusste und sann über die (gefühlte) Nähe zu seinem Idol Hitler nach.
Im Jahr 1951 machte er eine erste Europareise. Er besuchte die Ruinen des Führerbunkers in Berlin, wo Hitler von der Bühne der Weltgeschichte abgetreten ist, stand stundenlang vor den Mauern des Spandauer Gefängnisses, wo der Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess und andere führende Nazis inhaftiert waren und streifte durch die Ruinen von Hitlers Berghof in Bayern.
Kontakte mit Hermann Hesse und C. G. Jung
Die Europareise verschaffte Miguel Serrano aber auch neue Kontakte. In der Schweiz begegnete er dem berühmten, modern-romantischen Schriftsteller Hermann Hesse und schloss Freundschaft mit ihm. Später traf er auch C. G. Jung, worauf sich zwischen den beiden eine intellektuelle Freundschaft und ein reger Ideenaustausch entwickelte, der insbesondere die Themen Mythen und Archetypen betraf.
Im Jahr 1953 trat er einer Familientradition folgend in den chilenischen diplomatischen Dienst ein mit der Absicht, nach Indien entsandt zu werden. Dort blieb er bis 1962 und brachte es bis zum Botschafter. Er nutzte die Zeit in Indien für die Suche nach dem geheimen Brahmanenorden, von dem sein chilenischer Meister gesprochen hatte, reiste zu entlegenen Anbetungsstätten im Himalaya und traf sich mit vielen Gurus.
Dank seiner Rolle als Diplomat begegnete Miguel Serrano einer ganzen Reihe führender Persönlichkeiten und schloss enge Freundschaften mit Nehru, Indira Gandhi und dem Dalai Lama. Er pflegte aber auch weltweite Kontakte zu Alt- und Neofaschisten, nicht nur in seiner Indienzeit.
Miguel Serrano im Exil in der Schweiz
Nach seinem Indienaufenthalt hatte er weitere diplomatische Ämter inne. Ende der 70er-Jahre wurde er von Salvador Allende, dem neugewählten marxistischen Präsidenten Chiles, aus dem diplomatischen Dienst entlassen. Er ging ins Exil in die Schweiz und mietete eine Wohnung im Casa Camuzzi in Montagnola (Kanton Tessin), wo auch Hermann Hesse von 1919 bis 1931 gelebt hatte. Fortan lebte er als freier Schriftsteller, machte Bergwanderungen und kümmerte sich um die literarische Verarbeitung religiöser Mythen.
Die Tatsache, dass in seinem Heimatland die Linken an die Macht gekommen waren und das abrupte Ende seiner diplomatischen Karriere führten aber auch dazu, dass Miguel Serrano sich erneut dem Nazismus zuwandte.
Während seiner Zeit in der Schweiz befasst er sich zudem verstärkt mit dualistischen Vorstellungen. Während er in seinem dichterischen Werk ein Loblied auf spirituelle Einheit und Integration sang, verfiel er selbst immer mehr der dualistischen Wahnidee von einander entgegengesetzten Archetypen des Lichts und der Dunkelheit.
Seine Inspiration dazu bezog Miguel Serrano aus der Ideologie des chilenischen Nationalsozialismus, dem er immer noch verbunden war, aus den Protokollen der Weisen von Zion, aus dem Gedankengebäude seines Brahmanenordens, aus dem Jung’schen Konzept der Projektion des ‘Schattens’ und aus gnostischen Vorstellungen aus dem Katharismus. Die Katharer waren eine radikale Strömung im mittelalterlichen Christentum, die vom 12. bis 14. Jahrhundert vor allem im Süden Frankreichs sowie in Italien, Spanien und Deutschland verbreitet war. Sie vertraten einen radikalen Dualismus, der theologische Parallelen aufwies zu den Traditionen der Gnosis und des Manichäismus. Aus diesen Bestandteilen baute er eine eigene gnostische Religion, die als «Esoterischer Hitlerismus» bekannt wurde.
Esoterischer Hitlerismus
Miguel Serranos Werke machen in den folgenden Jahren einen wichtigen Zweig der New-Age-Industrie aus und stehen exemplarisch für eine ganze Reihe ähnlicher Veröffentlichungen unter dem Namen „Esoterischer Hitlerismus“.
Nach dem Militärputsch im September 1973 kehrte Serrano aus dem Exil nach Chile zurück. Innerhalb des Pinochet-Regimes stiessen seine Ideen allerdings auf wenig Gegenliebe. In der Folge lebte Serrano sein Nazitum in Interviews, Publikationen und auf Veranstaltungen aus. Er richtete sich dabei an die alten Nazis in Lateinamerika, versuchte aber auch ein junges Publikum für seine Ideen einzunehmen und dort mit seinem esoterisch aufgeladenen Nationalsozialismus anzudocken. Entsprechend seinen dualistischen Konzepten setzte er seinen esoterischen Hitlerismus scharf gegen einen modernen Liberalismus ab, den er als korrupt und übersättigt darstellte.
Ebenso malte er ein dualistisches Bild mit einerseits arischer Mystik, altgermanischen Göttern, verlorenem Heimatland und ausserirdischen Gottheiten, und andererseits jüdische «Schwarze Magie», die sich auf die Macht des Geldes, auf wirtschaftliche Ausbeutung, auf Atomkraft und Umweltverschmutzung stützen soll. So machte sich Miguel Serrano anschlussfähig an moderne Themen und bot die scharfe Trennung in Licht und Schatten, Gut und Böse. Diese Komplexitätsreduktion ist auch in der modernen Welt attraktiv für Menschen, die darin Orientierung und Halt suchen, obwohl es sich um einen Irrweg handelt.
Problematischer Dualismus und Antisemitismus
Dieser krasse Dualismus kann zu Polarisierung und Gewalt führen.
Nicholas Goodrick-Clarke schreibt dazu:
«Für Serrano geht alle Sünde, alles Leiden und alles Chaos auf das Konto der Juden, die eifrig das Ziel verfolgen, die Erde und all ihre Kreaturen zu versklaven und letztendlich zu zerstören. Damit offeriert der Chilene eine Art nazistische Mystik, welche die Wirklichkeit des Dritten Reichs – Tyrannei, Folter und Unterdrückung – ausblendet und stattdessen lieber ein Netz von Mythen spinnt über SS-Helden, phantastische Städte und ein magisches, arisches Millennium. Dieser Mythos zieht dem gnostischen Weltekel, der alle Schuld und Sünde auf einen verhassten Feind projiziert, eine New-Age-Maske über und wirkt gleichzeitig als ein potenziertes Destillat nazistischer Ideologie auf beeinflussbare junge Geister ein.»
Quelle:
Im Schatten der Schwarzen Sonne – Arische Kulte, Esoterischer Nationalsozialismus und die Politik der Abgrenzung, Nicholas Goodrick-Clarke, marixverlag 2009.
Beitrag zum Thema «Miguel Serrano» auf Wikipedia.
Beitrag zum Thema «Katharer» auf Wikipedia.
Anmerkungen:
☛ Die Biografie des Miguel Serrano zeigt eindrücklich, wie ein Mensch sich ein geschlossenes Weltbild von nationalsozialistischer Ideologie, Esoterik, Antisemitismus und Verschwörungstheorien schaffen kann, das ein Leben lang dicht bleibt. Sie zeigt auch wie problematisch dualistische Weltbilder sind und wie wichtig im Gegensatz dazu die Entwicklung von Ambiguitätstoleranz. Siehe dazu:
Demokratie braucht Ambiguitätstoleranz – Verschwörungstheorien meiden sie
☛ Siehe auch verwandte Themen:
Antisemitismus und Verschwörungstheorien
Esoterik & Verschwörungstheorien
Gnosis und Verschwörungstheorien
Manichäismus & Verschwörungstheorien