Um Verschwörungstheorien durchzusetzen, arbeiten ihre Verbreiter hart an der Delegitimierung von Wissenschaft, Politik und Medien. In Bezug auf die Medien greifen sie dabei gern auf das Kampfwort «Mainstreammedien» zurück.
Dazu werden alle etablierten Medien weitgehend unabhängig von ihrer politischen Positionierung und ohne Berücksichtigung von Qualitätsunterschieden zu einem Einheitsbrei verwurstet. Dieser homogen fantasierte Mainstreammedien-Brei wird dann als Feindbild aufgestellt, von dem man sich mit gehöriger Empörung abgrenzen kann. Das ermöglicht Populisten und Verschwörungsgläubigen, sich als einzige Verbreiter der Wahrheit zu inszenieren. Dieser Reflex ist in Verschwörungstheorien sehr repetitiv: Was immer auch die «Mainstreammedien» melden – das Gegenteil wird unbesehen als Wahrheit «erkannt». Dieses simple Muster der «Wahrheitserkennung lässt sich patenterweise auf fast jedes Thema anwenden:
☛ Die «Mainstreammedien» berichten von Forschungsergebnissen zur Klimaerwärmung: Je mehr darüber berichtet wird, desto stärker steht für Verschwörungsgläubige die «Klimalüge» im Raum.
☛ Die «Mainstreammedien» berichten über wirksame Impfungen gegen Covid-19: Das zeigt, dass sie von der Pharmaindustrie gekauft sind.
☛ Die «Mainstreammedien» berichten vom Angriffskrieg Russland gegen die Ukraine: Sie verschweigen, dass eigentlich die Amerikaner dahinterstecken! (Siehe dazu als Beispiel: Daniele Ganser zum Ukraine-Krieg)
Die Delegitimierung auch von Qualitätsmedien mit journalistischem Anspruch dient Populisten und Verschwörungsgläubigen vor allem dazu, möglichst viele Menschen an die eigenen «Alternativmedien» zu binden. Hier erzählen dann Populisten und Verschwörungsgläubige ungehindert von Faktenchecks ihre eigenen Geschichten. Die Etablierung des Begriffs «Mainstreammedien» steht am Anfang dieser Desinformation.
Der Kampfbegriff «Mainstreammedien» als Ausgangspunkt für Desinformation
Daniel Ryser und Basil Schöni schreiben zu diesem Vorgehen im Online-Magazin «Republik»:
«Es ist ein ständiges In-Zweifel-Ziehen, bis alles nur noch in einem dicken Nebel verschwindet. In einem Grundrauschen der Desinformation.
Die Methode, alles in Zweifel zu ziehen, lässt sich mit einem Begriff aus dem Marketing beschreiben: FUD. Das steht für fear, uncertainty and doubt. Also Angst, Unsicherheit und Zweifel. Die Idee dahinter: Vom Klimawandel über Corona bis zum russischen Angriffskrieg ist nichts mehr sicher. Alles ist eine Frage des Standpunkts.
Es ist eine Methode, auf der inzwischen ein ganzes mediales Ökosystem basiert, dessen Nährboden sich während der Pandemie stark verbreitert hat. Wenn auch viele der Leute, die zu diesem Ökosystem gehören, schon vor der Pandemie auf verschiedenen Kanälen, mit verschiedenen Arten von Medien, verschiedenen Ansätzen und völlig unterschiedlicher Wirkungsmacht eine neue Geschichte erzählt haben. Eine Geschichte davon, wie die Welt angeblich funktioniert.
In erster Linie ist es eine Opfererzählung. Die Leute, die sie erzählen, sind Opfer einer Weltpolitik, die den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht machen lassen will. Sie sind Opfer von Gesundheitsmassnahmen der Regierung. Sie sind Opfer der ‘Cancel-Culture’. Opfer der Wissenschaft. Opfer von Big Tech. Opfer der Massenmedien.»
Quelle des Zitats:
Nichts ist wahr und alles ist möglich (Republik)
Neben einem harten Kern von Rechtspopulisten, Linkspopulisten, Rechtsextremen und weiteren Verschwörungsgläubigen, die mit dem Kampfbegriff «Mainstreammedien» eine politische Agenda verfolgen, wird er zunehmend auch unreflektiert von Menschen verwendet, die ausserhalb von extremistischen Strömungen stehen.
Taucht der Begriff zum Beispiel in Alltagsgesprächen auf, sollte man immer konsequent Differenzierung verlangen. Welche Medien meinst Du genau? Siehst du Unterschiede zwischen einzelnen Medien, einzelnen Artikel, bestimmten Medienleuten, bestimmten Themen? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?
Ausserdem:
☛ Kritik an Medien ist nicht nur erlaubt, sondern oft auch nötig. Die Verwurstung aller Qualitätsmedien zum einem Mainstreammedien-Einheitsbrei hat aber nichts mit Kritik zu tun. Kritik differenziert. Siehe auch: Lob der Kritik – was unterscheidet kritisches von unkritischem Denken
☛ Misstrauen gegen Medien ist nicht grundsätzlich schlecht, sondern oft auch nötig. Es gibt allerdings ein gesundes Misstrauen und ein toxisches Misstrauen. Wer mit dem Kampfbegriff «Mainstreammedien» hantiert, dürfte eher zum toxischen Misstrauen neigen. Siehe dazu auch: Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen
Als Beispiel für toxisches Misstrauen gegenüber «Mainstreammedien»: Daniele Ganser: Medienkritik mit ideologischer Schlagseite
☛ Mit dem Kampfbegriff «Mainstreammedien» verwandt ist der Kampfbegriff «Lügenpresse». Siehe dazu: Lügenpresse als Einbildung – Medienkrise als Realität.
Die Reduzierung und Pauschalisierung auf diese Kampfbegriffe ist eine Komplexitätsreduktion. Stattdessen wäre es sinnvoll, sich fundiert mit der gegenwärtigen Medienkrise auseinanderzusetzen. Siehe dazu beispielsweise:
Wie Medien via Aufmerksamkeitsfalle den Populismus fördern
☛ Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang:
Triumph der Meinung über Fakten, Wahrheit und Fachwissen – das kann nicht gut gehen!
☛ Die „Liebe“ zum Begriff „Mainstreammedien“ ist eine Gemeinsamkeit von Populismus und Verschwörungstheorien. Mehr zu diesen Gemeinsamkeiten hier: