Erich Ludendorff war im Ersten Weltkrieg Generalquartiermeister und Stellvertreter Paul Hindenburgs, sowie Chef der Dritten Obersten Heeresleitung. Der General hatte grossen Einfluss auf die deutsche Kriegsführung und Politik. Er legte eine steile Karriere hin. Doch den Fehlschlag der Deutschen Frühjahrsoffensive von 1918, mit der der deutsche Sieg errungen werden sollte, musste er allein verantworten. Von diesem Zeitpunkt an ging sein Einfluss schrittweise zurück.
In den Zwanzigerjahren der Weimarer Republik entwickelte Erich Ludendorff in seinem Denken wahnhafte Züge. Aus seiner völkisch-antisemitischen Weltsicht entstand nach und nach ein Gespinst aus Verschwörungstheorien. Das ermöglichte ihm, die Verantwortung für sein Scheitern auf Sündenböcke abzuschieben. Wir sehen diesen Mechanismus heute eindrücklich bei Ex-Präsident Donald Trump, der seine Wahlniederlage nicht eingestehen kann, und zur Abfederung eine grosse Verschwörungstheorie vom Wahlbetrug kreiert und bewirtschaftet. Erich Ludendorff ist ein früheres Beispiel für diesen Mechanismus. Verschwörungstheorien bekommen hier die Funktion eines Balsams für verletzte Egos.
Erich Ludendorff und die Dolchstoss-Legende
Erich Ludendorff war massgeblich beteiligt an der Verbreitung der Dolchstosslegende. Mit der Dolchstoßlegende hatte die deutsche Oberste Heeresleitung (OHL) eine Verschwörungstheorie in die Welt gesetzt, die die Schuld an der von ihr verantworteten militärischen Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg vor allem auf die Sozialdemokratie, andere demokratische Politiker und das „bolschewistische Judentum“ abwälzen sollte. Die «Dolchstosslegende» besagte, das deutsche Heer sei im Weltkrieg „im Felde unbesiegt“ geblieben und habe erst durch oppositionelle „vaterlandslose“ Zivilisten aus der Heimat einen „Dolchstoß von hinten“ bekommen. Antisemiten verknüpften „innere“ und „äußere Reichsfeinde“ darüber hinaus zusätzlich mit dem Trugbild vom „internationalen Judentum“.
Mit der Dolchstosslegende konnte sich Erich Ludendorff vom Eingeständnis seines Scheiterns als Militärführers entlasten. Auch die massive Kränkung durch seine Entlassung am 26. Oktober 1918 liess sich dadurch wohl abmildern.
In der Weimarer Republik betätigte sich Erich Ludendorff in der völkischen Bewegung. Er beteiligte sich 1920 am Kapp-Putsch und 1923 am Hitler-Putsch, war kurzzeitig Reichstagsabgeordneter der Deutschvölkischen Freiheitspartei und Mitbegründer des Tannenbergbunds. Bei den Reichstagswahlen am 29. März 1925 liess er sich als Kandidat der Völkischen für die Wahl zum Reichspräsidenten aufstellen, erreichte jedoch nur 1,1 % der Stimmen.
Verschwörungstheorien im Multipack
Erich Ludendorff zog sich nach diesem schlechten Ergebnis aus der Parteipolitik zurück. Das Scheitern seiner in Aussicht genommenen Karriere als Reichspräsident erklärte er wiederum verschwörungstheoretisch mit dem „Wirken überstaatlicher Mächte“. Damit meinte der Ex-General den Jesuitenorden, die „Rom-Kirche“, die Freimaurerei, die kommunistische Internationale, das Umfeld um den tibetischen Dalai Lama (als dessen Beauftragten er 1937 Josef Stalin verdächtigte) und insbesondere das Weltjudentum. Alle diese Mächte hätten sich zusammengetan – so wähnte Erich Ludendorff – um Deutschland zu demütigen und zu knechten und schlussendlich die Weltherrschaft zu erringen. Zu diesem Zweck hätten sie unter anderem bereits im Jahr 1914 das Attentat von Sarajevo inszeniert, dann die russische Revolution, den Kriegseintritt der USA, die Novemberrevolution und den Versailler Vertrag. Damit zeigt Ludendorff sehr deutlich einen Grundsatz, der sich oft in Verschwörungstheorien finden lässt: Alles ist mit allem verbunden. Es sind aber Verbindungen, die vom Verschwörungsgläubigen entsprechend seinem Weltbild konstruiert werden. Wenn man eine geschichtliche Figur sucht, an der sich Struktur und Funktion von Verschwörungstheorien illustrieren lassen, dann ist Erich Ludendorff ein guter Kandidat.
Antisemitismus und Germanentum
Erich Ludendorff heiratete 1926 die völkisch gesinnte Nervenärztin Mathilde Spiess, eine Verbindung, die zur Radikalisierung seiner Vorstellungen beitrug. Die beiden Eheleute bestärkten sich gegenseitig in ihrer ganz eigenen Dämonologie. In seinen Polemiken gegen vermeintliche jüdische Komplotte forderte Erich Ludendorff zwar keine direkten politischen Aktionen gegen das Judentum. Die zusammen mit seiner Frau herausgegebenen Schriften zeichneten aber derart bedrohliche und ängstigende Feindbilder, dass daraus doch der Ruf nach konkreten antisemitischen Aktionen herausgelesen werden konnte. Auch das kennt man von anderen Verschwörungstheorien. Diejenigen, die die Feindbilder populär machen, sind nicht unbedingt auch diejenigen, die zuschlagen. Aber Worte oder Schriften können den Boden bereiten für Gewalt. Der konservative Publizist Winfried Martini schrieb bereits im Jahr 1949, Erich und Mathilde Ludendorffs «jahrzehntelange und hemmungslose Hetze» habe «in vorderster Linie zu der Schaffung jener Atmosphäre beigetragen, die schliesslich sechs Millionen Juden das Leben kostete».
Erich Ludendorff und Adolf Hitler – eine verzwickte Beziehung
In der deutschen Bevölkerung fand die Ludendorff-Bewegung durchaus Resonanz. Vom Nationalsozialismus und von Adolf Hitler wurde sie jedoch abgelehnt. Im Jahr der Machtübernahme 1933 verboten die Nationalsozialisten den Tannenbergbund und das Deutschvolk. Dem lag zum einen die Grundsatzentscheidung zugrunde, die völkischen Kräfte in der NSDAP zu bündeln, zum anderem der seit 1930 hitzig und öffentlich geführte Kampf des Hauses Ludendorff gegen Hitler. In seinen letzten Jahren unterstellte Ludendorff nämlich, dass auch Faschismus und Nationalsozialismus Teile der «überstaatlichen Mächte» seien, von welchen Deutschland verfolgt würde. Die fantasierte Verschwörung scheint immer grösser geworden zu sein.
Ab diesem Zeitpunkt richtete Erich Ludendorff seine Veröffentlichungen auch gegen Hitler und die NSDAP. Auch nach der Machtergreifung griffen Ludendorff und seine Frau Hitler und die NSDAP scharf an. Grund dafür war aber nicht eine antinationalsozialistische Gesinnung, sondern die Rivalität zwischen Gleichgesinnten. In einer 1931 publizierten Aufsatzsammlung «Hitlers Verrat der Deutschen an den römischen Papst» unterstellte er Hitler eine Fremdsteuerung durch die katholische Kirche.
Trotz dieser Vorwürfe war der Umgang der Nationalsozialisten mit den «Ludendorffern» vergleichsweise milde. Sie wurden auch nicht an der Veröffentlichung ihrer Schriften gehindert.
Adolf Hitler wusste um den Nimbus Ludendorffs als General des Ersten Weltkriegs, verstiess ihn nie und warb sogar wiederholt um ihn. Im Jahr 1937, wenige Monate vor Ludendorffs Tod, kam es zur Versöhnung. Nach seinem Tod wurde Erich Ludendorff mit einer pompösen Trauerfeier für die nationalsozialistische Sache vereinnahmt.
Quellen:
Die Stellung Halten, Beitrag von Alexander Gallus in: ZEIT Geschichte Nr.3 / 2020
Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff, Beitrag von Helmut Reinalter in: Helmut Reinalter (Hg.), Handbuch der Verschwörungstheorien, Salier Verlag 2018
Siehe auch:
Antisemitismus und Verschwörungstheorien