Die Online-Welt der Verschwörungstheorien wird häufig als Kaninchenbau beschrieben. Dieses sprachliche Bild stammt aus «Alice im Wunderland». In diesem erstmals im Jahr 1865 erschienenen Kinderbuch von Lewis Carroll folgt die Titelheldin Alice eines Tages einem Kaninchen in seinen Bau. Das junge Mädchen findet sich daraufhin in einer vollständig verdrehten Welt wieder, die immer absurder wird, je tiefer es sich hinein bewegt.
In Bezug auf Verschwörungstheorien stellt sich die Frage, weshalb Menschen so rasch in den Kaninchenbau geraten und weshalb sie häufig nur noch schwer wieder hinausfinden.
Wieso geraten Verschwörungsgläubige so rasch in den Kaninchenbau?
Oft ist es sehr eindrücklich, wie rasch Menschen in die Online-Welt der Verschwörungstheorien versinken, dort nicht selten quasi gefangen bleiben und manchmal sogar eine rasante Radikalisierung an den Tag legen. Weshalb Menschen in den Kaninchenbau gehen, kann individuell ganz unterschiedliche Gründe haben.
Klar ist jedoch, dass Verschwörungstheorien für Verschwörungsgläubige unbestreitbare Vorzüge besitzen, die sich vielfältig einsetzen und instrumentalisieren lassen. Solche Vorzüge und Instrumentalisierungen gibt es auf individueller, wirtschaftlicher und politischer Ebene. Verschwörungstheorien erfüllen jedenfalls für Individuen und Gruppen eine ganze Reihe von Funktionen.
Siehe dazu:
Die Vorzüge und Instrumentalisierungen von Verschwörungstheorien
Verschwörungsideologien und ihre Funktionen für Individuen und Gruppen
Und warum kommt man so schwer wieder hinaus?
Dass der Ausgang aus dem Kaninchenbau so schwer zu finden ist, hat kann ebenfalls eine ganze Reihe von Gründen haben. Hier dazu ein paar «Knackpunkte»:
☛ Verschwörungsgläubige ziehen sich oft immer mehr von Qualitätsmedien zurück und konsumieren nur noch selbsternannte «Alternative Medien», von denen sie in ihrem Verschwörungsdenken laufend bestärkt werden. Eine fragwürdige Rolle spielen dabei YouTube-Videos. Hintergrund dieser Entfremdung von Qualitätsmedien ist oft die Verschwörungstheorie von der «Lügenpresse».
☛ Zur «Gefangenschaft» im Kaninchenbau tragen zudem psychologische Mechanismen bei, die zu einer sehr einseitigen Aufnahme und Verarbeitung von Informationen führen. Zu denken ist dabei vor allem an den Bestätigungsfehler und an das Motivierte Denken.
Mit «Bestätigungsfehler» (Confirmation bias) ist die Neigung gemeint, Informationen, die eine vorhandene Überzeugung zu bekräftigen scheinen, zu bemerken, zu akzeptieren und zu speichern, und im Gegensatz dazu Informationen, die offenbar im Widerspruch zu einer vorhandenen Überzeugung stehen, zu ignorieren, zu verzerren, wegzudiskutieren oder zu vergessen. Siehe dazu in der Enzyklopädie den Beitrag zum Bestätigungsfehler.
Als «Motiviertes Denken» (Motivated Reasoning) wird ein Verzerrungsprozess beschrieben, durch den wir eine Position, Ideologie oder Überzeugung verteidigen, die mit starken Emotionen besetzt ist. Man kann diesbezüglich auch von Interessengeleitetem Denken reden. Siehe dazu in der Enzyklopädie den Beitrag über Motiviertes Denken.
Die Reise der Verschwörungsgläubigen in den Kaninchenbau und allenfalls wieder hinaus ist also wohl genauso komplex wie die Reise der Alice im Wunderland.
Siehe auch:
VERSCHWÖRUNGSGLAUBE: Die Metapher vom Kaninchenbau-Syndrom (Spektrum der Wissenschaft)