Der Kalergi-Plan, gelegentlich auch als Coudenhove-Kalergi-Verschwörung bekannt, ist eine rechtsextreme, antisemitische, weißnationalistische Verschwörungstheorie. Sie behauptet, dass es ein Komplott zur Vermischung der weissen Europäer mit anderen „Rassen“ durch Einwanderung gäbe. Dieses Komplott soll von Richard Coudenhove-Kalergi konstruiert worden sein und werde durch aristokratisch-europäische Gesellschaftskreise gefördert.
Wer war Richard Coudenhove-Kalergi?
Richard Coudenhove-Kalergi (1894 – 1972) war ein japanisch-österreichischer Schriftsteller, Philosoph, Politiker. Er gründete 1922 die Paneuropa-Union, die im Sinne des europäischen Föderalismus für ein politisch und wirtschaftlich geeintes, demokratisches und friedliches Europa auf Grundlage des christlich-abendländischen Wertefundaments eintritt. Sie ist damit die älteste noch bestehende europäische Einigungsbewegung. Die nationalsozialistische Propagandazeitung «Völkischer Beobachter» hielt schon 1928 die Paneuropaidee für Landesverrat. Die Nationalsozialisten, die Richard Coudenhove-Kalergi nach ihrer Ideologie als „Mischling“ bezeichneten und ihn auch auf Grund der politischen Inhalte seiner Schriften 1938 zur Auswanderung zwangen, verboten die Paneuropa-Union im Jahr 1933. Auch die sozialistischen Diktaturen wie die DDR und die Sowjetunion bekämpften die Paneuropa-Bewegung.
Richard Coudenhove-Kalergi kam durch den Ersten Weltkrieg zur Politik. Er empfand ihn «als Bürgerkrieg zwischen Europäern: als Katastrophe erster Ordnung». Coudenhove-Kalergi war mit einer jüdischen Frau verheiratet und setzte sich dezidiert gegen Antisemitismus ein. Er veröffentlichte mehrere Schriften zu diesem Thema, zum Beispiel 1935 unter dem Titel «Judenhass von heute». Auszüge aus dem Werk gibt es hier auf antisemitismus.net.
Nach seiner erzwungenen Auswanderung lebte Richard Coudenhove-Kalergi bis 1940 in Bern und Genf. Anschliessend siedelte er in die USA um, wo er an der New York University unterrichtete. Im Juni 1946 kehrte er nach Europa zurück und lebte fortan in der Schweiz. Er starb in Schruns (Österreich).
Wie kam es zur Verschwörungstheorie vom Kalergi-Plan?
Die Ideen Coudenhove-Kalergi von einem freien, toleranten, friedlichen Miteinander in Europa waren und sind der Ideologie alter und neuer Nationalsozialisten diametral entgegengesetzt. Und immer wenn Nazis keine Argumente haben, bleibt ihnen als einfachste Lösung die Diffamierung, wozu eine Verschwörungstheorie sich bestens eignet.
Basierend auf alter nationalsozialistischer Propaganda gegen Coudenhove-Kalergi entstand Jahrzehnte später die rechtsrassistische Verschwörungstheorie, die als „Kalergi-Plan“ bezeichnet wird. Ursprung dieser Verschwörungstheorie ist ein österreichischer Schriftsteller und Neonazi, der 2005 ein Buch über das Thema schrieb.
Es gibt keinerlei Hinweise auf die Existenz eines solchen Kalergi-Plans. Das Konstrukt erinnert aber an die Verschwörungstheorie vom «Grossen Austausch», wonach Eliten unter Leitung von George Soros planen, die einheimische Bevölkerung durch Migrantinnen und Migranten zu ersetzen. «Kalergi-Plan» und «Grosser Austausch» reduzieren beide das gesellschaftlich, politisch und ökonomisch komplexe Thema der Migration auf die Ebene von gut überschaubaren Sündenböcken und Feindbildern. Und sie betreiben Personalisierung: Sie geben vor, dass einzelne Personen in der Lage sind, derart komplexe Prozesse wie die internationale Migration zu steuern.
Das US-amerikanische Southern Poverty Law Center hält die Verschwörungstheorie eines angeblichen Kalergi-Plans für ein eindeutig europäisches Narrativ weißer Nationalisten, die Kalergis Texte aus dem Kontext nähmen, um Europas Migrationspolitik als heimtückische Verschwörung gegen eine angebliche weiße „Rasse“ darzustellen. „Hope Not Hate“ (Hoffnung statt Hass), eine britische Antirassismus-Fürsprechergruppe, weist den angeblichen „Kalergi-Plan“ als rassistische Verschwörungstheorie zurück, die fälschlicherweise behaupte, dass Coudenhove-Kalergi die Absicht habe, die europäische Einwanderungspolitik zu beeinflussen, um eine „identitätslose Bevölkerung“ zu schaffen, die dann angeblich von einer jüdischen Elite regiert würde. Die italienische investigative Zeitung „Linkiesta“ nannte den Kalergi-Plan einen Schwindel, der mit der antisemitischen Erfindung der Protokolle der Weisen von Zion vergleichbar sei.
Man sieht an diesem Beispiel, dass Nazis und Neonazis immer wieder alten Kram in neuen Varianten rezyklieren. Offensichtlich ist es schwierig, in einer so engen Ideologie auf andere Gedanken zu kommen, und so bleibt es dann halt hartnäckig bei Sündenböcken und Feindbildern, die jeweils mehr oder weniger neu eingekleidet werden.
Quellen:
Beitrag zu Coudenhove-Kalergi auf Wikipedia.
Beitrag zur Paneuropa-Union auf Wikipedia.
Website der Paneuropa-Union.
Grossi, Verdiana: „Coudenhove-Kalergi, Richard“, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.08.2005, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027968/2005-08-16/, konsultiert am 01.02.2021.