Wer Verschwörungsgläubige einfach als geistig minderbemittelt hinstellt, macht es sich zu einfach. Das zeigt sich nur schon darin, dass sich immer wieder auch sehr gebildete Personen in den Kaninchenbau der Verschwörungstheorien verlieren. Intelligenz schützt offenbar nicht vor Verschwörungstheorien. Doch weshalb ist das so? Die Germanistin Eva Horn ist Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Wien. Gegenüber dem TV-Sender MDR sagt sie:
«Intelligenz schützt überhaupt nicht vor Verschwörungstheorien. Im Gegenteil. Ich glaube, eine bestimmte Art von Intellektualität besteht darin, dass man es immer besser weiß. Das heißt, man ist Arzt, aber hat eigentlich keine Ahnung von Corona. Corona war eine Krankheit, die so neu ist, dass selbst die Virologen sich erstmal hinsetzen und forschen mussten. Das heißt, in einer Situation, wo viel Unsicherheit da ist, gibt es dann die selbsternannten Experten die sagen, ich weiß aber Bescheid. Und dafür müssen sie ein bisschen was wissen, dafür müssen sie eine Bildung und eine Vorkenntnis über die Materie haben, damit das ihnen geglaubt wird.
Einerseits weil sie als Autoritäten auftreten können und andererseits, weil sie so kleine Partikel, Fachwörter, Erklärungsmuster einstreuen, die wissenschaftlich klingen. Ein anderes Beispiel sind Impfgegner. Das sind häufig relativ gebildete Leute, die glauben, sie wissen es besser als Ärzte oder Forscher. Sie haben Angst, dass ihre Kinder geschädigt werden könnten, wenn sie geimpft werden. Dass ihre Kinder viel schlimmer geschädigt werden können, wenn sie nicht geimpft sind, ist kein Gedanke, den sie zu fassen im Stande sind. Aber das ist nicht ein Mangel an Bildung und Intelligenz, sondern wiederum dieses seltsame Misstrauen gegenüber plausiblen Wahrheiten.»
Intelligenz kann dabei helfen, eigene Verschwörungstheorien zu verteidigen
Intelligenz und Bildung bieten nur geringen Schutz vor Irrungen, Wirrungen und Verschwörungstheorien. Ein wacher und schneller Geist kann unter gewissen Umständen die Anfälligkeit für Verirrungen sogar erhöhen. Wer schlau ist und viel weiss, kann sich manchmal erst recht in seiner Weltsicht verrennen. Intelligenz kann mithelfen, fast jede Aussage so zu interpretieren oder zu verbiegen, dass sie die persönliche Weltanschauung stützt. Auch sprachliche Fertigkeiten erleichtern es, sich tiefer in der eigenen Weltanschauung zu verschanzen.
So sagt denn auch der US-amerikanische Statistiker Nate Silver:
«Sobald jemand seinen Doktor gemacht hat, ist er zehnmal so schwer zu überzeugen, dass er falschliegen könnte.»
Dazu passen Resultate, die der Psychologe David Perkins von der Harvard University vor längerer Zeit veröffentlicht hat. Der Wissenschaftler liess die Studienteilnehmer Position zu verschiedenen strittigen Fragen beziehen, beispielsweise, ob Abrüstung die Gefahr eines nuklearen Krieges vermindere oder erhöhe. Rational wäre es in dieser Situation, Argumente für beide Möglichkeiten gegeneinander abzuwägen. Das machten jedoch die besonders klugen Teilnehmer ebenso wenig wie die weniger Klugen. Die Klugen waren nur geschickter darin, ihren einseitigen Standpunkt zu verteidigen.
Der Psychologe Dan Kahan von der Yale University legte einmal Versuchspersonen Zahlen zu den Auswirkungen von Waffenkontrollgesetzen vor, die wegen der Darstellung leicht fehlzuinterpretieren waren. Wer mit Zahlen gut umgehen konnte, erkannte jedoch schon auf den zweiten Blick, was diese wirklich aussagen. Das passierte jedoch nur, wenn dieses Fazit auch zur eigenen Weltsicht passte. Mathematisch begabte Republikaner lasen die Zahlen dann korrekt, wenn diese die Wirkungslosigkeit der Waffenkontrolle belegten. Bei den Anhängern der Demokraten war es genau umgekehrt.
Kritisches Denken scheint also vor allem dann aktiv zu werden, wenn das Ergebnis zum eigenen Weltbild passt.
Intelligenz kann zu trügerischen Selbstvertrauen führen
Wer überdurchschnittlich mit Intelligenz ausgestattet ist, merkt das in Verlauf der Zeit an Indikatoren wie guten Schulnoten, Resultaten von IQ-Tests, akademischen Weihen, beruflichem Erfolg etc. Das kann eine narzisstische Überheblichkeit fördern. Die klügsten Köpfe trauen ihrem Urteil dann vielleicht mehr als angemessen ist, und das möglicherweise auch auf Gebieten, in denen sie gar nicht so kompetent sind.
Selbst die klügsten Köpfe können sich also in komplett abwegige Meinungen verrennen. Doch wieso kommt das?
Die kühle, empirische Beobachtung, die rationale Analyse und damit die Intelligenz stehen nicht oder nur sehr selten am Ursprung einer Meinung.
Vielmehr dürfte wohl eher das Modell zutreffen, das unter anderen der Psychologe Jonathan Haidt formuliert hat. Die Meinung keimt auf der Grundlage emotionaler, gefühlsbetonter Reaktionen. Erst danach folgt die Begründung dieser Haltung – und dabei sind schlaue Menschen, wie schon ausgeführt, im Vorteil. Sie sind in der Lage ihre Ansichten anderen und sich selbst gegenüber besser zu verkaufen.
Eine Haltung, eine Meinung kann auch schlicht attraktiv sein, weil es dafür Applaus gibt. Meinungen gleichen Statussymbolen, schreibt der Wissenschaftsautor Will Storr in seinem lesenswerten Buch «The Status Game. On Social Position and How We Use It».
Vertreten angesehene Personen eine Haltung, passen sich viele Menschen gern an.
Gerade gebildete Eliten grenzen sich gegenüber den Ansichten unterer Schichten oder auch gegenüber dem «Mainstream» in ihrem Fach ab, aus Prinzip, weil man anders und besonders sein möchte. Dabei geht es nicht um Wahrheit, sondern hauptsächlich um Anhänger, um Status und Anerkennung.
Wer schlau sei, tanze die tollste Meinungsakrobatik, schreibt Sebastian Herrmann im «Tages-Anzeiger»: «So sind intelligente Menschen gemäss einer aktuellen Studie im Fachblatt «Evolutionary Psychology» besser darin, pompösen Bullshit von sich zu geben. Genau dafür hat die Evolution nach einer Lesart die besondere Intelligenz des Homo sapiens erschaffen: Diese diene nicht zuvorderst dem klaren Blick auf die Phänomene der Welt, sondern der erfolgreichen Navigation durch das Leben in grossen, sozialen Verbänden.»
Quellen:
«Intelligenz schützt nicht vor Verschwörungstheorien» basiert auf:
☛ Aluhut & Co.: Wie Verschwörungstheorien entstehen
(MDR.de, Interview mit Eva Horn)
☛ Intelligenz ist kein Schutz vor Verschwörungs-Abgründen
(Tages-Anzeiger, Artikel von Sebastian Herrmann, Abo)