Verschwörungsideologien erfüllen wichtige Funktionen für Individuen und Gruppen, die ihnen anhängen. Sie werden zu einem wichtigen Bestandteil der eigenen Identität. So ist es nicht erstaunlich, dass sowohl Individuen als auch Gruppen Gegenstrategien entwerfen, um kritische Interventionen von aussen abzuwehren. Sie immunisieren sich gegen Kritik. Dabei kommt eine ganze Reihe von Immunisierungsstrategien zum Einsatz.
Hier ein paar Beispiele solcher Immunisierungsstrategien:
☛ Wer kritische Einwände vorbringt, wird als Teil der Verschwörung abgestempelt. Dem Kritiker wird vorgeworfen, mit den Verschwörern unter einer Decke zu stecken. So muss die Kritik nicht mehr ernst genommen werden.
☛ Der Kritiker oder die Kritikerin wird als naiv und unwissend abgestempelt. Die Rede von den «Schlafschafen», die die Wahrheit gar nicht kennen wollen, gehört zu den beliebtesten Immunisierungsstrategien.
☛ Kritiker_innen werden als gekauft diffamiert: «Wie viel hat dir die Pharmaindustrie für diesen Betrag gezahlt?»
☛ Die Beweislast wird umgekehrt: Die Verschwörungsgläubigen bemühen sich nicht darum, echte Belege für die Realität ihrer Verschwörungsideologie zu liefern. Stattdessen fordern sie Kritiker auf, zu beweisen, dass die Verschwörungsideologie nicht wahr ist. Das ist ein bequemer Trick, denn eigentlich ist klar: Wer eine Behauptung aufstellt, steht in der Pflicht, sie mit Belegen und Argumenten glaubwürdig zu machen. Fragt man Verschwörungsgläubige nach Belegen für ihre Überzeugung, machen sie es sich mit der Umkehr der Beweislast sehr einfach. Sie fordern dann zum Beispiel auf, man solle doch einfach selber «googeln».
☛ Tatsächliche oder vermeintliche Fachleute werden nur dann ernst genommen, wenn sie die Überzeugungen der Verschwörungsgläubigen teilen oder ihnen zu mindestens in Teilen nahekommen. Dagegen wird Expertinnen oder Experten, die die Verschwörungsideologie in Frage stellen, ihr Expertenstatus abgesprochen. Das können dann gar keine richtigen Experten sein, oder dann sind sie eben gekauft….
☛ Statistiken werden selektiv ausgewertet und nur in den Teilen anerkannt, die der Verschwörungsideologie nahekommen oder sie zu bestätigen scheinen. Statistiken, die der Verschwörungsideologie entgegenstehen, gelten grundsätzlich als gefälscht. Dazu reicht schon der altbekannte aber dümmliche Spruch, man solle nur Statistiken glauben, die man selbst gefälscht hat. Dieser Rundumschlag gegen Statistiken wird vor allem von Leuten eingesetzt, die von Statistik keine Ahnung haben. Wer von Statistik etwas versteht, unterscheidet zwischen qualitativ guten und schlechten Statistiken.
☛ Die etablierten Qualitätsmedien werden als «Lügenpresse» diffamiert, weil sie die Sichtweise der Verschwörungsgläubigen nicht teilen. Dagegen wird einer ganzen Reihe von obskuren Alternativmedien kritiklos geglaubt, weil sie die eigene Weltsicht bestätigen. Erscheint aber in den «Mainstreammedien» mal ein Artikel, der den Verschwörungsgläubigen in den Kram passt, wird er gerne herumgereicht und als Bestätigung verwendet.
☛ Verschwörungsideologen stehen der Wissenschaft zu mindestens in den Bereichen, die ihre Auffassungen betrifft, in der Regel ablehnend gegenüber. Finden sie aber irgendwo ein wissenschaftliches Zitat, das sich für die eigenen Zwecke nutzen lässt, wird es gerne verwendet, auch wenn es dazu aus dem Zusammenhang gerissen werden muss. Dann schmückt man die eigenen Ansichten gerne mit Doktoren- oder Professorentiteln.
Fazit:
Mit solchen Immunisierungsstrategien stabilisieren Verschwörungsideologen die eigene Weltsicht und schotten sie gegen kritische Einwände ab. Diese Abschottung begünstigt auch Radikalisierungsprozesse.
Zu den erwähnten Funktionen, die Verschwörungstheorien bzw. Verschwörungsideologien für Individuen und Gruppen erfüllen, siehe auch:
Verschwörungsideologien und ihre Funktionen für Individuen und Gruppen