Die Beschuldigung, eine Hexe zu sein, ist im Grunde gleichbedeutend mit der Beschuldigung, an einer Verschwörung beteiligt zu sein, sich mit dämonischen Kräften verschworen zu haben, um verdeckt Böses zu tun – um Schaden, Unglück und Krankheit zu bewirken. Es liegt auf der Hand, dass der Teufel seine vielfältigen Aufgaben nicht alleine erledigen kann. Deshalb hat er angeblich ein Heer von Helferinnen und Helfern. In erster Linie gerieten hier die «Hexen» unter Verdacht, Frauen (in selteneren Fällen Männer als Hexer), denen unterstellt wurde, mit dem Teufel im Bunde zu stehen.
Im Mittelalter galten Jüdinnen und Juden als «Kinder des Teufels». Weit verbreitet war jedoch auch der Glaube an Hexen, also an dämonische und mit dem Teufel verschworene Frauen mit magischen Fähigkeiten. Bei dieser «Verschwörung der Hexen» handelt es sich im Grunde um eine diabolische Verschwörungstheorie.
Die Kirche lehrte seit dem 13. Jahrhundert, dass Menschen Pakte mit dem Teufel schließen könnten, um dadurch die Möglichkeit zu bekommen, Schadenszauber anzuwenden – zum Beispiel das Schlechtwettermachen, das Anzünden von Gebäuden, das Verhexen von Kühen, die Vernichtung der Ernte, die Verbreitung von Krankheiten oder das impotent Machen von Männern.
Im 15. Jahrhundert entwickelte sich die zuvor hauptsächlich als Inhalt der Beichte relevante Hexerei zu einem Kapitalverbrechen. Es handelte sich dabei um ein neues Sammeldelikt, eine Art von «Superverbrechen», ein gemischtes Glaubens- und Kapitaldelikt, das eine Vielzahl von Einzeldelikten in sich vereinigte. Im Mittelpunkt stand dabei der schon erwähnte Schadenzauber.
Allerdings gab es selbst während der Hochzeit der Hexenverfolgung stets auch Zweifel und Kritik. Der Mut und die Klarheit dieser Widersprechenden verdienen Respekt. So hielt etwa Nicolas Oresme, einer der bedeutendsten Naturwissenschaftler und Philosophen des 14. Jahrhunderts und Berater des französischen Königs, Hexerei für Aberglaube. Er wies darauf hin, dass unter der Folter keine wahren Geständnisse abgegeben würden. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts setzten sich jedoch Fanatiker wie Heinrich Kramer durch, der in seinem Malleus maleficarum (lat. für Hexenhammer) das ganze Register der Vorwürfe gegen Hexen zusammenfasste. Er brachte auch eine deutliche frauenfeindliche Tendenz in den Hexereiglauben.
Hexenprozesse
Laut dem Historiker Wolfgang Wippermann handelt es sich bei dem Glauben an Hexen um eine Verschwörungsideologie, die sich aus dem Glauben an einen christlich geprägten Teufel und aus heidnischem Dämonenglauben zusammensetzt. Diese Verschwörungsideologie führte unter anderem im Zuge der Inquisitonsprozesse der katholischen Kirche zu Hexenverfolgungen, also zum Aufspüren und Verhaften, Foltern und zur Hinrichtung von Personen, von denen man annahm, sie wären mit dem Teufel im Bunde. Diese Hexenprozesse richteten sich insbesondere gegen Frauen und verschiedene Außenseiterinnen und Aussenseiter der Gesellschaft, aber gelegentlich auch, vermutlich aus Neid und Missgunst, gegen Angehörige der städtischen Oberschicht. Die Initiative für neue Hexenprozesse kam dabei oft nicht nur von der Kirche oder dem Staat, sondern aus der Bevölkerung.
Die phantasierte Hexen-Verschwörung war für die Zeitgenossen sehr beängstigend, weil sie als Vorbote des nahen Weltuntergangs galt. Derartige apokalyptische Vorstellungen waren im Spätmittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit sehr verbreitet. Begünstigt wurde diese gesellschaftliche Stimmung durch das vermehrte Auftreten von katastrophalen Ereignissen wie Kriege, Epidemien, insbesondere der Pest, und eine nachhaltige Klimaveränderung, die sogenannte Kleine Eiszeit (ca. 1350 – ca. 1850), die zu Missernten, Hungersnöten und Revolutionen führten. Die heute oft als mittelalterlich aufgefasste Hexenverfolgung war in Wirklichkeit hauptsächlich ein Phänomen der Frühen Neuzeit. Dabei kam es sowohl in protestantischen als auch in katholischen Regionen zu umfangreichen Hexenverfolgungen, weil sich die Konfessionen darin überboten, gegen religiöse Abweichung vorzugehen.
Den Hexen wurde unterstellt, einen Pakt mit dem Teufel, dem Widersacher Gottes, geschlossen zu haben. Der Teufelspakt soll den Verrat der Hexe am christlichen Glauben, die Ketzerei und den Abfall von Gott (Apostasie) dokumentieren und ihr gleichzeitig die Kräfte übertragen, um ihre Zaubereien zu praktizieren. Dazu kam noch die Vorstellung eines Geschlechtsverkehrs zwischen Hexe und Teufel, die sogenannte Teufelsbuhlschaft. Als Zentrum und Höhepunkt der Verschwörung der Hexen gegen die gesamte Menschheit, das Christentum und die Obrigkeit, galt der Hexensabbat, eine in der Tradition der Ketzervorstellungen stehende konspirative Versammlung der Hexen in Anwesenheit des Teufels. Während der Hexenprozesse wirkte sich die Vorstellung vom Hexensabbat verheerend aus, weil die angeblichen Hexen unter Folter gezwungen wurden, weitere Anwesende am Hexensabbat zu benennen. Das führte nicht selten zu einem raschen Anstieg der Anklagen.
Laut dem Historiker Rune Blix Hagenim kamen allein im 16. und 17. Jahrhundert in Europa mehr als 50.000 Personen auf dem Scheiterhaufen um, die im Verdacht standen, sich mit dem Teufel verschworen zu haben. Etwa 75 Prozent davon waren Frauen.
Von kirchlicher Seite griff der Jesuitenpater Friedrich Spee (1591 – 1635) in seinem 1631 erschienenen kritischen Werk Cautio criminalis (lat. für «Vorsicht in Kriminalsachen») die Folter bei Hexenprozessen an. Er hatte als Beichtvater angeblicher Hexen den Eindruck gewonnen, dass unter Folter falsche Geständnisse zustande kämen. Spee stellte offenbar sogar die Existenz der Hexerei grundsätzlich in Zweifel – eine Haltung, die damals gefährlich sein und Verfolgung nach sich ziehen konnte.
Sündenbockfunktion des Hexen-Glaubens
Der Glaube an eine Verschwörung der Hexen mit dem Teufel gegen die übrige Bevölkerung diente als Erklärung für erlittenes Leid und vermittelte Hoffnung, durch das Benennen und Eliminieren von Sündenböcken eine bessere Situation erlangen zu können (Sündenbockfunktion). Der Hexenglaube führte jedoch auch zur Legitimation grausamer und im Auftrag von Staat und Kirche ausgeführter Morde. Auch konnten unliebsame Zeitgenossinnen und Zeitgenossen durch den Vorwurf, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben, aus dem Weg geschafft werden. Darin zeigt sich die Funktion von Verschwörungsdenken als Machtmittel. Auch eine Mobilisierungsfunktion der Verschwörungstheorie ist hier zu erkennen, weil sich nicht selten die Bevölkerung als rechte Hand in der Hexenverfolgung betätigte.
In Europa bewirkten die Ideen der Aufklärung einen Rückgang der Hexerei-Vorstellungen. Es dauert allerdings bis ins 18. und sogar 19. Jahrhunderts, bis die Hexenprozesse wirklich endeten. Erst als die Aufklärung mit ihrer Betonung von Vernunft und Toleranz auch in die Kabinette und Gerichtsstuben Einzug hielt, nahte allmählich das Ende dieser dunklen Episode der europäischen Geschichte. Im 18. und 19. Jahrhundert kam es noch in zuvor verfolgungsarmen Ländern wie Italien und Spanien sowie in europäischen Kolonien unter dem Einfluss der Inquisition zu einer erneuten Zunahme der Hexenprozesse.
Die letzte «legale» Hinrichtung einer «Hexe», der Magd Anna Göldin, fand im Jahr 1782 im schweizerischen Glarus statt.
Der Glaube an eine Verschwörung von Hexen und Magiern, die mit dem Teufel im Pakt stehen, ist allerdings robust und in manchen Regionen eine finstere Realität: Insbesondere in Afrika, Mexiko, Indien, Indonesien und Malaysia ist diese Verschwörungstheorie hochaktuell und führt noch immer vielfach zu Verfolgung, Diskriminierung und Morden. Dies zeigt laut dem Historiker Werner Tschacher, «dass die Konstruktion von Sündenböcken, die Ausgrenzung und Bekämpfung von einzelnen Menschen oder Randgruppen gerade in Krisenzeiten ein übergreifendes historisches Phänomen menschlicher Gesellschaften darstellt. Die Wahrung von Menschenwürde, sozialem Frieden und Humanität stellt unter diesen Bedingungen eine besondere und dauerhafte Herausforderung für die Gegenwart und Zukunft dar.»
Schlussbemerkungen:
☛ Die Geschichte der Hexenprozesse zeigt eindrücklich, wie wichtig ein funktionierender Rechtsstaat ist. Angeschuldigte Frauen hatten in den Hexenprozessen sehr schlechte Chancen, ihre Unschuld zu beweisen.
☛ Es gibt rund um die Hexenverfolgung auch eine moderne Verschwörungstheorie. Sie besteht im Glauben, dass im Mittelalter die Kräuterhexen verbrannt wurden, die «Weisen Frauen» oder wie immer es dann heisst. Auch in populären Büchern über «Hexenkräuter» wird unterstellt, die Kirche habe in den Hexenprozessen vor allem das geheime Wissen von Heilerinnen und Hebammen eliminiert. Das lässt sich aber historisch nicht ansatzweise belegen. Im Zentrum der Hexenprozesse standen wie schon beschrieben Anklagen wegen Schadenzauber und Abfall vom Glauben. Siehe dazu:
Kräuterfrauen und Hebammen als Opfer der Hexenverfolgung – ein Mythos
Quellen:
Freimauertum, Zionismus und konspirative Eliten: Die Wirkung von Verschwörungstheorien auf demokratische Einstellungen (Masterarbeit von Marlene Schönberger)
Phänomene des Irrationalen. Wunderheiler, Hexen und Verschwörungsmythen
(Geschichte der Gegenwart)
Mit dem Teufel im Bunde: Verschwörungstheorien im hohen und späten Mittelalter, von Werner Tschacher, in: Verschwörungstheorien früher und heute, Stiftung Kloster Dalheim. LWL-Landesmuseum für Klosterkultur.
Ketzer, Chemtrails und Corona, Ingo Grabowsk, HEEL Verlag 2020.
Und hier noch als Ergänzung die Sendung Terra X mit dem Titel:
Eine kurze Geschichte der Hexenverfolgung