Um den Unfalltod des rechtsgerichteten österreichischen Politikers Jörg Haider (1950 – 2008) existieren eine Reihe von Verschwörungstheorien.
In der Nacht zum 11. Oktober 2008 gegen ein Uhr nachts starb der betrunkene und alleine fahrende Jörg Haider bei einem Verkehrsunfall mit stark überhöhter Geschwindigkeit. Zuvor hatte der Politiker mehrere Veranstaltungen und Gaststätten besucht und war stark alkoholisiert. Zuletzt hielt sich Jörg Haider in der Schwulenkneipe „Stadtkrämer“ auf und wurde dort fotografiert. Sein Blutalkoholwert betrug 1,8‰. Zum Unfallzeitpunkt herrschte Nebel. In einer 70 km/h-Zone führte Haider einen Überholvorgang mit 142 km/h durch und kam im Bereich einer Baustelle von der Straße ab. Der von ihm gesteuerte Dienstwagen (VW Phaeton) prallte dabei an einen Betonpfeiler und der Wagen überschlug sich. Als Jörg Haider ins Krankenhaus eingeliefert wurde, konnte dort nur noch sein Tod durch die Unfalleinwirkung festgestellt werden.
Kult um Jörg Haider
Haider polarisierte als Politiker. Seine politische Laufbahn war von Skandalen und Kontroversen geprägt. Von seinen Anhängerinnen und Anhängern wurde er allerdings sehr verehrt. Nach seinem Tod steigerte sich das zum Teil bis zur Verklärung und zum «Haiderkult».
Jörg Haider’s Tod war Anlass für eine ganze Reihe von spekulativen Verschwörungstheorien. Dabei wurden unter anderem der israelische Geheimdienst Mossad, die Freimaurer, die EU, eine ominöse «Hochfinanz», die Gewerkschaften, die Deutsche Bank oder die Deutsche Bahn verantwortlich gemacht. Der Bestseller-Verschwörungsautor Gerhard Wisnewski behauptete in einem Buch, das im einschlägigen Kopp-Verlag erschien, dass Jörg Haider einem Attentat durch nicht näher genannte Geheimdienste zum Opfer fiel.
Wie Jörg Haider’s Unfalltod auch in jüngerer Zeit politisch instrumentalisiert werden kann, zeigte der ehemalige FPÖ-Chef und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Er witterte 2019 eine Verschwörung, weil die Blut- und Gewebeproben von Jörg Haider nicht mehr vorhanden sind. Haiders Familie hatte im Oktober 2018 die Herausgabe der Blut- und Gewebeproben verlangt, aber keine bekommen. Auf Facebook ereifert sich Heinz-Christian Strache:
„Was ist mit den Proben passiert? Warum wurden sie nicht aufgehoben, wie dies eigentlich rechtlich notwendig gewesen wäre? Ein unfassbarer Skandal!“ Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Klagenfurt, welche die Ermittlungen zu früh eingestellt habe, müsse „untersucht werden“.
Tatsächlich existieren die Proben laut Auskunft der Behörden nicht mehr. Allerdings ist das kein Skandal, wie Strache schreibt, sondern so üblich. Laut einer internationalen Vereinbarung der gerichtsmedizinischen Institute bzw. Labore werden Proben zwei Jahre lang fachgerecht aufbewahrt und dann entsorgt, sagte dazu Walter Rabl, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin. Das hält den Rechtpopulisten mit rechtsextremen Wurzeln nicht davon ab, mit dem Thema sein Süppchen zu kochen. Strache und die FPÖ sind durch und durch verschwörungstheoretisch eingefärbt. Skandalisierung ist dabei ein Teil der Strategie. Zwischen Populismus und Verschwörungstheorien gibt es zudem eine Reihe von Gemeinsamkeiten.
Siehe dazu: Verschwörungstheorien und Populismus.
Beispiel für Proportionality Bias
Die Verschwörungstheorien zum Tod von Jörg Haider sind wohl auch ein Beispiel für den Proportionality Bias (Verhältnismässigkeits-Fehlschluss). Der «Proportionality Bias» beschreibt die Annahme, dass «grosse Ereignisse» auch grosse Ursachen haben müssen. Es handelt sich um eine systematische Verzerrung (bias = Verzerrung, Fehlannahme, Fehlschluss, Vorurteil), die bei der Entstehung von Verschwörungstheorien oft eine wichtige Rolle spielt.
Der «Proportionality Bias» legt nahe: Eine derart prominente und zum Teil abgöttisch verehrte Figur wie Jörg Haider kann nicht einfach durch einen banalen Unfall im Suff und bei überhöhter Geschwindigkeit in einen Betonpfeiler rasen und dabei ums Leben kommen. Da muss etwas Besonderes dahinterstecken, ein Komplott, eine Verschwörung, eine Geheimoperation….
Realität ist aber: Auch wenn ein Ereignis besonders gross, einschneidend oder historisch ist oder so empfunden wird, kann es ganz alltägliche, banale und zufällige Ursachen haben. Ein vergleichbares Beispiel für den «Proportionality Bias» ist der Unfalltod von Prinzessin Diana (Lady Di) im Jahr 1997.
«Zurechtbiegen der Realität»
Der Psychologe Klaus Ottomeyer war im Jahr des Unfalls Professor für Sozialpsychologie an der Universität in Klagenfurt. Er kommentierte die entstehenden Gerüchte und Verschwörungstheorien zu Haiders Unfalltod im österreichischen «Standard» aus psychologischer Sicht:
«Die Verschwörungstheorie biegt Fakten zurecht, damit der Glaube – in den ich sehr viel investiert habe – erhalten bleiben kann und auch mein Selbstwertgefühl in keine Krise kommt.» In Fachkreisen spreche man von der «Reduktion einer kognitiven Dissonanz».
Das Phänomen tritt laut Ottomeyer dann auf, wenn Menschen, die im psychologischen Sinn eine große Investition getätigt haben, plötzlich mit unerwarteten Fakten konfrontiert werden und bemerken, dass sie an ein „irreführendes Projekt“ geglaubt haben. „Da beginnt das Zurechtbiegen der Realität“, erklärt der Psychologe.
Artikel zu Jörg Haider auf Wikipedia.
Artikel zum Unfalltod von Jörg Haider auf Psiram.
Haider-Unfalltod: Verschwörungstheorien rund um Unfalltod boomen im Internet (Der Standard)
Jörg Haiders letzte Stunden: Das Protokoll einer Verschwörung (Profil)
„EILT“: Strache wittert Verschwörung um Haider-Tod (Kurier)
Faktencheck: Warum es von Haider keine Blutproben mehr gibt (Kurier)