Die Freimaurer sind weder ein Volk noch eine Religionsgemeinschaft. Die Freimaurerei ist eine internationale Bruderschaft. Zu ihren Grundsätzen zählen Toleranz und die Achtung der Menschenwürde. Wie konnte eine solche Bewegung zum Ziel unzähliger Verschwörungstheorien werden?
Um das besser zu verstehen, müssen ein paar Elemente aus der Geschichte der Freimaurerei erzählt werden.
Die Wurzeln der Freimaurerei
Die Freimaurerei hat in Europa, vor allem in England, eine lange Tradition. Ihre Anfänge sowie ihr Brauchtum, ihr Ritual und die verwendeten Symbole gehen auf die Steinmetzbruderschaft und deren Bauhütten zurück. Bauhütten entwickelten sich aus dem romanischen Kirchenbau durch Mönche hin zum organisierten Bauablauf gotischer Kathedralen, zu dem unterschiedlichste Handwerke gehörten. Die Bauhütten waren damals zuständig für die Durchführung geplanter Bauwerke und schulten die in ihnen tätigen Steinmetzen als Baumeister und Bildhauer in geometrischen Gesetzen. Da dieses Wissen geheim war, ist nur wenig überliefert ist, wie zum Beispiel Werkmeisterbücher oder Skizzenbücher. Die Maurer und Baumeister wanderten damals von einer Dombaustelle zur anderen. Sie entwickelten deshalb geheime Erkennungszeichen, um sicher zu sein, dass ein neuer Mitarbeiter auf einer Baustelle wirklich Mitglied ihrer Bruderschaft war.
Die übernational organisierten Bauhütten litten unter der sinkenden Bautätigkeit an den gotischen Kathedralen im 16. Jahrhundert und wurden zunehmend von den Zünften verdrängt. In der Folge wurden im 17. Jahrhundert insbesondere in Schottland und England mehr und mehr auch Menschen aus anderen Berufsgruppen aufgenommen, die als Fördermitglieder die Existenz der Bauhütten mit Geldspenden sicherten.
Es gibt also einen Übergang von wirklich handwerklichen Maurern (Werkmaurer) zu Mitgliedern, die sich vielleicht eher im geistigen Sinn als Maurer und Erbauer empfanden (spekulative Freimaurerei). In England nannten sich diese Zusammenschlüsse Lodges, zu deutsch Logen. Interessant ist hierbei die Frage, weshalb nun reiche Bürgerliche, neugierige Adelige oder interessierte Intellektuelle Mitglied von Maurerlogen wurden. Anziehend war wohl eine Aura des Geheimnisvollen. Es wurde gemunkelt von uralten Geheimnissen der Baukunst und anderen verborgenen Weisheiten.
Es gab aber auch Vermutungen und Gerüchte, dass die Maurerlogen ein Hort der Brüderlichkeit und Toleranz jenseits von Religionsstreitigkeiten und Standesschranken seien. Für die damalige Zeit war das ausgesprochen ungewöhnlich und zahlreiche Bürgerliche und Adelige traten in die Logen ein, um genau solchen Grundsätzen zu folgen. Zwar gab es keine Berufsgeheimnisse mehr zu verteidigen. Dennoch mussten die Freimaurer bei ihrer Aufnahme in die Loge den Eid schwören, die Geheimnisse der Freimaurerei zu bewahren und weder mündlich noch schriftlich zu verraten.
Die Geheimhaltung provozierte rasch verschiedenste Gerüchte. Schon in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts erschienen reichlich antifreimaurerische Pamphlete. So genannte Verräterschriften publizierten die geheimen Rituale, wodurch die Freimaurerei noch interessanter wurde.
Die «Logen» behielten gewisse handwerkliche Traditionen bei. So wird bis heute ein neues Mitglied als «Lehrling» bezeichnet, das später zum «Gesellen» aussteigen kann. An der Spitze einer Loge steht der «Meister vom Stuhl».
Ausschlaggebend für die Aufnahme in eine Loge waren nicht Geburt und Stand, sondern die individuelle Eignung. Der Adel und das Bürgertum begegneten sich auf gleicher Ebene, was zum Abbau der Unterschiede beitrug.
Globale Verbreitung der Freimaurer
Am 24. Juni 1717 schlossen sich in London vier Werkmaurerlogen zu einer ersten Grossloge zusammen, der Premier Grand Lodge of England (PGLoE). Dieser Zeitpunkt gilt im Allgemeinen als Beginn der weltumspannenden Ausbreitung der Freimaurerei. Von England aus gelangte sie rasch in viele Regionen Europas und mit britischen und französischen Militärs auch in die Kolonien.
Vielerorts wurden die Logen von der Obrigkeit mit Misstrauen betrachtet und es wurden in den 30er Jahren erste Logenverbote erlassen (1735 in Holland und Friesland, 1736 Genf, 1737 in Paris, im Kirchenstaat und in der Toskana, 1738 in Hamburg und Schweden. In Preussen und in England wurden die Logen dagegen nicht an ihrer Tätigkeit gehindert. Friedrich II. von Preussen gehörte selbst zu den Freimaurern.
Auch die katholische Kirche reagierte mit Argwohn und begann einen verbissenen Kleinkrieg gegen die Freimaurer. Die Päpste Clemens XII. (1738) und Benedikt XIV. (1751) erliessen Bullen gegen die Freimaurerei. Sie warfen darin den Freimaurern vor, Menschen aller Religionen und Sekten zu vereinigen. Die Päpste verboten für Katholiken die Mitgliedschaft in den Logen bei Strafe der Exkommunikation. Am konsequentesten ging die spanische und portugiesische Inquisition gegen die Freimaurerei vor.
Aufklärung, Französische Revolution und Freimaurerei
Die Freimaurer bewegten sich im Dunstkreis der Aufklärung. Sie traten für eine freie Entwicklung der Persönlichkeit und für Toleranz ein. Die Mischung von Heimlichtuerei und politischem Anspruch liess sie im 18. Jahrhundert zum bevorzugten Feindbild reaktionärer Kräfte werden. Die suchten nach einem Schuldigen und Sündenbock für den geistigen Aufbruch, der die alte Ordnung bedrohte, und fanden ihn in den Logen der Freimaurer. Der Ausbruch der Französischen Revolution (1789) bestätigte die schlimmsten Befürchtungen aller Gegner der Freimauerei.
Die Freimaurer strebten tatsächlich eine bessere und insbesondere tolerantere Weltordnung an. Allerdings sollte dies mehr durch die Erziehung und Überzeugung ihrer Mitglieder bei den geheimen Versammlungen geschehen, bei denen Gleichheit und Toleranz auch tatsächlich praktiziert wurde. Und nicht durch die Vorbereitung und Anzettelung einer Revolution.
Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen fühlte sich das Ancien Régime und vor allem seine Hauptstütze, die Kirche, durch die Freimaurer herausgefordert. Insbesondere die katholische Kirche betrachtete die aufklärerisch gesonnenen und antiklerikal eingestellten Freimaurer als die eingeschworenen Feinde der von ihr verteidigten und verkündeten geistlichen und weltlichen Ordnung.
Die Französische Revolution wurde dann zur entscheidenden Wegmarke für die Entwicklung einer konservativen, gegen die Freimaurer gerichteten Verschwörungstheorie. Nach 1789 galt die Französische Revolution als Werk der geheimen Logen. Vor allem die Freimaurer und die 1785 in Bayern gegründeten Illuminaten wurden für den Umsturz verantwortlich gemacht.
Im 19. Jahrhundert wurden die Verschwörungstheorien über die Freimaurer verstärkt mit antisozialistischen und antisemitischen Elementen durchsetzt. Nach und nach etablierte sich die Fiktion einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung, wie sie im 20. Jahrhundert in den Protokollen der Weisen von Zion beschrieben wurde. Das war nur schon deshalb grotesk, weil den im 18. Jahrhunderten entstandenen Logen kaum Juden angehörten. Sie wurden erst später von einigen Freimaurerlogen zugelassen.
Erster Weltkrieg und Weimarer Republik
Starken Auftrieb bekamen die antisemitisch-freimaurerischen Verschwörungstheorien wegen und nach dem Ersten Weltkrieg. Der Ausbruch und das für Deutschland demütigende Ende dieses Krieges wurden auf die geheimen Machenschaften von Freimaurern und Juden zurückgeführt. Die Niederlage Deutschlands sei die Folge eines von Juden und Freimaurern geführten «Dolchstosses» in den Rücken des kämpfenden Heeres gewesen (Dolchstosslegende).
In der Weimarer Republik fiel der Antimasonismus deshalb auf fruchtbaren Boden. Als Antimasonismus wird die Ideologie bezeichnet, die sich überwiegend aus politischen und religiösen Gründen gegen die Freimaurerei richtet.
So entwickelte sich zum Beispiel der deutsche Kaiser Wilhelm II. in seinem holländischen Exil zu einem fanatischen Antimasonisten (Antisemit war er schon längst). Er machte die Freimaurer neben dem «internationalen Judentum» für den Verlust des Krieges und seines Thrones verantwortlich. Sein Ex-Feldherr Erich Ludendorff stellt ihn dabei noch in den Schatten. Sein 1927 erschienenes Machwerk «Vernichtung der Freimaurerei durch Enthüllung ihrer Geheimnisse» erreichte eine Auflage von beinahe 200 000 Exemplaren. Er schreibt, hinter der «Freimaurerei» stünde «überall der Jude», der nicht nur für die Niederlage im Ersten Weltkrieg wie für den Krieg überhaupt verantwortlich sei, sondern der durch Unterwanderung der Logen eine «Rassenumwandlung des Ariers» anstrebe.
Solche antimasonistischen Verschwörungsideologien fielen in der Weimarer Republik auch deshalb auf fruchtbaren Boden, weil einige ihrer führenden Politiker Freimaurer waren. Dazu zählte Aussenminister Gustav Stresemann, der aus seiner Logenzugehörigkeit keinen Hehl machte. Der bekannteste und gleichzeitig verhassteste Freimaurer war jedoch der von Rechtsradikalen ermordete Reichskanzler und Aussenpolitiker Walther Rathenau. Die Freimaurer waren in der Weimarer Republik neben den Juden bevorzugte Objekte rechtsextremer Agitation.
Freimaurer im «Dritten Reich»
Nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 passten sich die damaligen Freimaurer den Bestimmungen der neuen Staatsführung an, um einem Verbot zu entgehen.
1934 erliessen die Machthaber weitere Bestimmungen für die Freimaurerei: Sie hatte die „Orden“ arisch zu halten. Ausserdem sollten NS-Parteifunktionäre zu allen Arbeiten und rituell–symbolischen Tempelarbeiten Zutritt haben.
In einer Brandrede bezeichnete Propagandaminister Joseph Goebbels die weltumspannende Verschwörung aus Judentum, internationaler Freimaurerei und internationalem Marxismus als Hintergrund der Bedrohung Deutschlands.
Im Vorfeld des endgültigen Verbots der Freimaurerei bemühten sich die Nationalsozialisten darum, halbwegs den legalen Schein zu wahren und sorgten für eine förmliche Auflösung der Logen-Vereine. Am 17. August 1935 erliess Innenminister Frick das Verbot der Freimaurerei in Deutschland.
Zahlreiche Logenhäuser wurden nun in „Logenmuseen“ oder „Freimaurermuseen“ umgewandelt, in denen nationalsozialistische Ideologen die Freimaurerei als Grundübel und als Zersetzer des deutschen Volkes darstellten.
Verschwörungsmythen gedeihen in Krisenzeiten
Helmut Reinalter schreibt:
«Was die Französische Revolution mit der Krisenzeit nach 1918 in Deutschland verbindet, ist die enorme Verunsicherung, das Tempo des gesellschaftlichen Wandels. Die Geschichte der Komplottvorwürfe gegen die Freimaurer zeigt, dass Verschwörungsmythen keine historischen Selbstläufer sind, die zu allen Zeiten dieselbe Verbreitung finden. Sie gedeihen vor allem in Phasen radikaler Umbrüche, in denen der Bedarf an Sündenböcken besonders gross ist. Eine Rolle, die den Freimaurern über drei Jahrhunderte hinweg in Krisenzeiten immer wieder zugewiesen wurde.»
Quellen:
Beitrag «Geschichte der Freimaurerei» auf Wikipedia.
Beitrag «Bauhütte» auf Wikipedia.
Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer, von Thomas Grüter, Fischer Tb 2016.
Weishaupts Gespenster: Geheime Gesellschaften und Verschwörungstheorien im Umfeld der Französischen Revolution, von Marian Füssel, in: Verschwörungstheorien früher und heute, Katalog zur Sonderausstellung der Stiftung Kloster Dalheim, LWL-Landesmuseum 2020.
Agenten des Bösen, Verschwörungstheorien von Luther bis heute, von Wolfgang Wippermann, be.bra Verlag Berlin 2007.
Das Imperium schlägt zurück, von Helmut Reinalter, in: Zeit Geschichte Nr. 3/2020