Das Ziel von Verschwörungstheorien wie auch von jeder extremistischen Propaganda ist es, Verschwörungen aufzudecken und die durch die Verschwörer geschaffenen Verblendungszusammenhänge sichtbar zu machen. Sprachlich zeigt sich das mittels Entlarvungsvokabular / Entlarvungsrhetorik.
Dabei werden Ausdrücke verwendet, die darauf verweisen, dass hinter der offiziellen Darstellung – etwa der Medien oder der Politiker – eine verborgene Wahrheit liegt. Die Botschaft, die mit den verwendeten Ausdrücken transportiert wird: Die Dinge erscheinen nicht als das, was sie in Wirklichkeit sind.
Zum Entlarvungsvokabular gehören zum Beispiel Formulierungen wie „Klartext sprechen“, „endlich sagen, was wirklich Sache ist“ oder «die Wahrheit erkennen».
Es kommen Adjektive, Verben und Adverbien zur Anwendung wie angeblich, offenbar, vermeintlich, wohl, sogenannt, tatsächlich, vorgaukeln, suggerieren, behaupten, verschweigen, unterstellen.
Mit solchen relativierenden Ausdrücken unterstellen Verschwörungsgläubige, dass hinter offiziellen Darstellungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen eine verborgene Wahrheit liegt.
Zu diesem Zweck tauchen in Verschwörungstheorien auch häufig Metaphern aus dem Theater auf. Dann kommt zum Beispiel der Rat, man solle mal hinter den Vorhang oder hinter die Kulissen schauen. Oder es wird darauf hingewiesen, dass irgendwer im Hintergrund die Fäden zieht wie bei einer Marionette. Dazu passt auch ein Aufruf, dem Theater jetzt ein Ende zu machen. Metaphern sind wirksame Mittel, um Verschwörungserzählungen plausibel erscheinen zu lassen. Sie strukturieren unsere Wahrnehmung stark, indem sie uns sozusagen Sachverhalte in Begriffen anderer Sachverhalte verstehen lassen. Ihre Bildhaftigkeit wirkt dabei eingängig und überzeugend.
Studien zum Entlarvungsvokabular
An der Universität Trier gehen Dr. David Römer und Dr. Sören Stumpf dem Phänomen Entlarvungsvokabular / Entlarvungsrhetorik aus einer neuen wissenschaftlichen Perspektive auf den Grund. Die beiden Germanisten analysieren die sprachliche Konstruktion von Verschwörungstheorien.
Sie interessieren sich nicht für die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Verschwörungstheorien. Auch Fragen, ob heute mehr Menschen als früher an Verschwörungstheorien glauben, können sie als Linguisten nicht beantworten. Was sie als Linguisten untersuchen können und wollen, ist die Frage, welchen Beitrag die Sprache dazu leistet, dass innerhalb einer Gesellschaft Verschwörungstheorien für wahr gehalten werden.
Sie gehen davon aus, dass der Glaube an Verschwörungstheorien sprachlich konstruiert ist. In ihrem Projekt untersuchen sie daher die spezifischen sprachlichen Mittel, die an dieser Konstruktion von Glaubwürdigkeit beteiligt sind. Sie fragen nach bestimmten Wörtern oder Redewendungen, nach Metaphern oder Argumentationsmustern und wie diese von Verschwörungstheoretikern eingesetzt werden, um ihre Vorstellungen als die richtige Version der Wirklichkeit zu legitimieren.
Obwohl Verschwörungstheorien durch das Medium Sprache vermittelt werden, liegen bisher keine Untersuchungen vor, die sprachliche Aspekte von Verschwörungstheorien systematisch in den Blick nehmen.
Dabei sind Verschwörungstheorien als aktuelles und relevantes Thema fester Bestandteil der modernen Mediengesellschaft. Sie entfalten konkrete Handlungsfolgen, wie zum Beispiel Angriffe auf Journalisten aufgrund des Lügenpresse-Vorwurfs zeigen. Und sie gewinnen politisch an Einfluss, etwa durch den Populismus. Verschwörungstheorien und Populismus funktionieren auf ähnliche Art: Beide vereinfachen die Wirklichkeit, zum Beispiel durch Gegenüberstellungen wie „Die da oben – Wir hier unten“ oder „Eliten gegen das Volk“.
Daher ist es sinnvoll, besser zu verstehen, wie Verschwörungstheorien auf der sprachlichen Ebene funktionieren.
Fallanalyse zum Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt
In einer ersten Fallanalyse haben sich die Trierer Wissenschaftler mit Verschwörungstheorien rund um den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 befasst. Dazu haben sie etwa 1.800 Kommentare zu YouTube-Videos, in denen Verschwörungstheorien dargestellt werden, mit Hilfe etablierter Verfahren der Text- und Diskurslinguistik sowie der Korpuslinguistik untersucht. Dabei identifizierten sie ein spezifisches Vokabular („Entlarvungsvokabular“), das dazu dient, offizielle Versionen infrage zu stellen (z. B. sogenannte, vermeintlich, angeblich). Auch Wortbildungen wie zum Beispiel «Fakeanschlag» und Redewendungen (Phraseme) wie zum Beispiel «etwas stinkt zum Himmel» dienen dazu, Begrifflichkeiten der offiziellen Version zu diskreditieren und der Wirklichkeitsansicht der Verschwörungstheorie anzupassen. Der Gebrauch gewisser Metaphern (z. B. das Bild der Marionette) unterstützt diese Effekte.
David Römer und Sören Stumpf beschreiben ihren wissenschaftlichen Auftrag in diesem Projekt so: „Mit unserer Arbeit können wir einen Beitrag zu einer sprachlich-kommunikativen Aufklärung leisten, indem wir zeigen, wie Sprache in Verschwörungstheorien eingesetzt wird, um Überzeugungen zu schaffen. Das kann und sollte man hinterfragen.“
Sie werden die Forschung an diesem Thema in den kommenden Monaten und Jahren weiter vorantreiben.
Verschwörungstheorien an der Sprache erkennen
David Rohde wird im Interview mit dem Deutschlandfunk gefragt, ob man eine Verschwörungstheorie an der Sprache erkennen kann. Er hält das nicht für unmöglich. Es sei aber nicht ihre Absicht, ein Modell zu entwickeln, an dem man dann feststellen könne: «okay, das und das und das kommt vor in den Texten, also ist das eine Verschwörungstheorie.»
Rohde sagt im Interview jedoch auch, dass die sprachlichen Mittel, die sie herausgearbeitet haben, starke Indizien für das Vorliegen einer Verschwörungstheorie sein können, wenn sie häufig vorkommen. Er warnt aber auch davor, daraus zu schliessen, dass jeder, der zum Beispiel eine Inszenierungsmetapher verwendet oder von Puppenspielern spricht, Verschwörungstheoretiker oder Verschwörungstheoretikerin sei.
Quellen:
Sprache in Verschwörungstheorien: «Relativierende Ausdrücke sollen Zweifel säen» (Deutschlandfunk)
Wie Sprache Verschwörungstheorien wahr erscheinen lässt (idw)
Ebling, Sarah / Joachim Scharloth / Tobias Dussa / Noah Bubenhofer (2012): Gibt es eine Sprache des politischen Extremismus? In: Frank Liedtke (Hrsg.): Sprache, Politik, Partizipation. Bremen: Hempen.
Nachtrag:
Im Umgang mit Verschwörungstheorien ist es nützlich, über Entlarvungsvokabular & Entlarvungsrhetorik Bescheid zu wissen. David Rohde weist aber zu Recht auf die Grenzen hin:
Man kann nicht jedes Mal, wenn jemand ein Wort wie «angeblich» verwendet, auf eine Verschwörungstheorie schliessen. Aber wenn Entlarvungsvokabular gehäuft auftritt, ist das ein Hinweis. Dann sollte man die Aussagen auf weitere Merkmale für Verschwörungstheorien untersuchen.
Siehe dazu:
Wodurch zeichnen sich Verschwörungstheorien aus? Merkmale, Charakteristika