Viele Verschwörungstheorien bewirtschaften sehr erfolgreich Emotionen wie Angst, Wut oder Ekel. Die Emotionalisierung hilft hauptsächlich bei der raschen Verbreitung verschwörungstheoretischer Inhalte und bei der Manipulation von Empfängerinnen und Empfängern der Botschaft.
Holm Gero Hümmler schreibt in seinem Buch «Verschwörungsmythen» zum Thema «Emotionalisierung»:
«Ein grosser Teil der Kommunikation zu Verschwörungsbehauptungen dient nicht der Vermittlung der Inhalte, sondern der emotionalen Aufladung der eigenen Botschaft. Diese kann in besonders dramatischer Darstellung möglicher Konsequenzen der Verschwörung bestehen, in der Dämonisierung der behaupteten Verschwörer bis hin zur buchstäblichen Entmenschlichung als Reptiloiden oder andere Ausserirdische, oder in der Abwertung derjenigen, die offizielle Erklärungen akzeptieren, als “Schlafschafe” oder “Globeheads”. Über den Wahrheitsgehalt der aufgestellten Behauptungen machen solche Angriffe keine Aussage – höchstens über die Gesinnung derer, die sie verbreiten.»
Besonders wirksam ist Emotionalisierung, wenn Kinder im Spiel sind. Das zeigt sich beispielsweise eindrücklich schon bei den antijüdischen Ritualmordlegenden aus dem Hochmittelalter. Dort wurde Jüdinnen und Juden unterstellt, sie würden christliche Kinder entführen und töten oder sogar Kinderblut trinken. Aus derart aufgeputschten Emotionen gingen nicht selten Pogrome hervor. In modernisierter Form werden solche Verschwörungstheorien weitergeführt in der Pizzagate-Affäre und in den Behauptungen des QAnon-Kultes, dass liberale Eliten Kinder foltern, um aus ihrem Blut das angebliche Verjüngungsmittel Adrenochrom zu gewinnen. Satanismus-Verschwörungstheorien spielen auf der gleichen Klaviatur. Geht es um angeblich missbrauchte oder getötete Kinder, ist es besonders leicht, Wut und Empörung auszulösen.
Darüber hinaus bewirtschaften Verschwörungstheorien oft Weltuntergangsszenarien. Die angeblich kurz bevorstehende Apokalypse löst teilweise massive Ängste aus und bewirkt oft auch Handlungsdruck. In den Erzählungen vieler Verschwörungsgläubigen fällt überhaupt eine ausgeprägte Angstrhetorik auf, beispielsweise in der Chemtrail-Szene, deren Grundüberzeugung daraufhinaus läuft, dass wir alle vergiftet werden. Die Angstrhetorik als Manipulationsstrategie lässt sich auch gut beobachten bei Ken Jebsen, der sich in einem Video zur Corona-Pandemie als Tüpfchen auf dem i noch eine furchterregende Fratze ins Gesicht geschminkt hat.
Emotionalisierung als Verbreitungsbeschleuniger
Vor allem in den sozialen Medien erreichen negative Nachrichten, die die Angst und Verunsicherung schüren, mehr Resonanz und Verbreitung, als positive Aussagen oder faktenbasierte Beiträge. Emotionalisierung wird also belohnt. Dafür sind hauptsächlich zwei Gründe ausschlaggebend:
☛ Auf der psychologischen Ebene reagieren Nutzerinnen und Nutzer auf emotionalisierende Posts viel stärker mit Teilen und Liken. Nehmen wir eine potentielle Gefahr wahr, wollen wir andere warnen.
☛ Auf der Ebene der Algorithmen wird dieser Effekt noch verstärkt. Für die Social-Media-Konzerne sind Posts, die oft geteilt und gelikt werden, wertvoll, weil sie die Nutzerinnen und Nutzer als Werbekonsumenten länger auf den Plattformen halten. Deshalb belohnen die Algorithmen Beiträge, die oft geteilt werden und viele Likes bekommen. Sie werden deutlich stärker verbreitet. Das wurde zum Beispiel für Beiträge der QAnon-Verschwörungsideologie belegt.
Emotionalisierung als Basis für Manipulation
Wer emotional erregt ist, dessen Urteilskraft ist deutlich reduziert. So wird man empfänglicher für plakative Slogans, Gerüchte und Verschwörungstheorien. Emotionale Massenereignisse schweissen Menschen zusammen und fördern die Lagerbildung. Das kann in extremeren Fällen bis zum Stammesdenken führen. Siehe dazu: Tribalismus, digitaler: Problematik des Stammesdenken
Wachsam bleiben, wenn Emotionen geschürt werden
Es gilt daher wachsam zu bleiben gegenüber Emotionalisierung. Wenn eine Nachricht so gestaltet ist, dass sie vor allem Angst, Wut, Empörung oder Ekel auslöst, dann ist es wichtig, sie nicht sogleich weiterzuleiten. Vielmehr sollte man sich zuerst fragen, wer der Absender der Botschaft ist, welche Emotionen er auslösen will und welche Handlungsanweisungen damit möglicherweise verbunden sind.
Es gibt Nachrichten, die berechtigterweise Angst, Wut, Empörung oder Abscheu auslösen. Doch ist die Bewirtschaftung dieser Emotionen auch ein oft verwendetes Mittel von Demagoginnen und Demagogen aller Art. Falschnachrichten und Verschwörungstheorien kommen zu diesem Zweck oft zum Zug. Siehe auch: Demagogie & Verschwörungstheorien
Emotionalisierung gehört auch zum Standardrepertoire von Rechtsextremen. Auch sie malen Bedrohungsszenarien aller Art an die Wand. Das zeigt sich zum Beispiel an der Verschwörungstheorie vom «Grossen Austausch». Der Rechtsextremismus setzt wie viele Verschwörungstheorien auf Emotionalisierung. Siehe auch:
Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien – ein enger Zusammenhang.
Siehe auch:
Verschwörungstheorien profitieren von Stimmungsmache im Netz
Quelle des Zitats:
„Verschwörungsmythen. Wie wir mit verdrehten Fakten für dumm verkauft werden“ von Holm Gero Hümmler
(Hirzel Verlag 2019)