Emotionale Beweisführung ist eine kognitive Verzerrung, die bei Verschwörungstheorien eine Rolle spielen kann. Dabei betrachtet man die eigenen Gefühle als Beweis für die Richtigkeit der eigenen Behauptungen. Ich fühle Misstrauen, also ist klar, dass etwas faul sein muss. Zweifel und Reflexion haben keinen Platz. Die Verbindung zwischen dem Gefühl des Misstrauen und dem Schluss, dass da etwas faul ist, bleibt direkt und geschlossen. Dadurch können keine korrigierenden Erfahrungen gesammelt werden, die bisherige Überzeugungen infrage stellen.
Die Emotionale Beweisführung legt den Boden für Verschwörungstheorien.
Bei der Emotionalen Beweisführung (Emotionales Schlussfolgern, Emotional Reasoning) handelt es sich um eine kognitive Verzerrung. Sie wurde erstmals beschrieben durch den US-Psychiater und Psychotherapeuten Aaron T. Beck (*1921). Er gilt als Vater der Kognitiven Verhaltenstherapie, in welcher die Emotionale Beweisführung eine grosse Rolle spielt. Dabei sollen Denkmuster, welche in negativen Emotionen resultieren, durch Hinterfragen aufzeigt und bewusst macht werden, um sie anschließend durch Denkmuster zu ersetzen, welche in positiven Emotionen resultieren.
Weitere Beispiele für Emotionale Beweisführung
☛ Ich fühle mich wütend, das beweist, dass etwas schiefläuft und jemand verantwortlich sein muss.
☛ Ich fühle mich nicht wohl mit einer Maske, folglich ist sie schädlich.
☛ Ich fühle mich schlecht, deshalb muss ich etwas falsch gemacht haben.
☛ Wenn ich beunruhigt bin, muss es einen tatsächlichen Anlass dafür geben.
☛ Ich fühle mich schuldig, also habe ich etwas falsch gemacht und habe Schuld.
☛ Ich bin wütend auf eine andere Person, also hat sie etwas falsch gemacht.
☛ Wenn mein Gefühl sagt, etwas ist gut, dann ist es auch gut, und wenn es sagt, etwas ist schlecht, dann ist es auch schlecht.
☛ Ich habe Angst vor der Impfung, also muss die Impfung gefährlich sein.
Die «Emotionale Beweisführung» sagt also: Ich fühle es, deshalb ist es so! Sie zieht Schlussfolgerungen auf der Basis der eigenen Emotionen und nicht auf der Basis von Fakten.
Gefühle sind zwar fraglos wichtig in unserem Leben, aber sie eignen sich nicht als Beweis für die Richtigkeit unserer Gedanken.
Was tun?
Was kann unternommen werden, wenn man bei sich oder anderen eine Neigung zu Emotionaler Beweisführung feststellt? Anzustreben wäre, einen Schritt zurückzutreten und über diese fraglose, direkte Verbindung von Gefühl und Gedanken zu reflektieren. Beispielsweise beim für Verschwörungstheorien wichtigen Zusammenhang von «Ich fühle Misstrauen» und «da ist was faul» stellt sich die Frage, ob es auch alternative Deutungen gibt. Statt eine bösartige Verschwörung zu unterstellen könnte zum Beispiel auch als Erklärung Hanlon’s Rasiermesser ausreichend sein. Hanlon’s Rasiermesser sagt:
«Geh nicht von Böswilligkeit aus, wenn Dummheit, Schlamperei, Inkompetenz, Fehleinschätzung oder Irrtum zur Erklärung ausreichen.»
Damit wird nicht automatisch die bösartige Verschwörung als Erklärung gesetzt.
Die Emotionale Beweisführung ist ein wichtiger Wirkfaktor in Verschwörungstheorien, weil Gefühle über soziale Medien ansteckend wirken können. Emotionale Posts werden zum Beispiel stärker geteilt und geliket. Und die Algorithmen der Social-Media-Plattformen bevorzugen Posts, die intensiv geteilt und geliket werden. Sie werden weiter verbreitet und mehr Leuten gezeigt.
Die fraglose, direkte Verbindung von Gefühl und Gedanke trägt aber auch zur Radikalisierung bei. Wenn «ich fühle Misstrauen» automatisch den Schluss auf eine Verschwörung zur Folge hat, bleibt kein Spielraum für Zweifel, Einwände oder die Reflexion über alternative Erklärungsmöglichkeiten.
Quellen:
Wie die Blitzradikalisierung der Corona-Leugner funktioniert, von Sascha Lobo (Spiegel online)
Artikel über Emotionale Beweisführung auf Wikipedia.
Artikel über Kognitive Verzerrung auf Wikipedia.