Verschwörungstheorien gehören als unerlässlicher Bestandteil zum politischen Extremismus. Die Forschung zur Deradikalisierung kann daher einige nützliche Erkenntnisse darüber liefern, wie Verschwörungstheorien bekämpft werden können.
Die Radikalisierung verändert eine Person manchmal so stark, dass sie kaum noch wiederzuerkennen ist. Menschen, die vorher ruhig und zurückhaltend waren, treten plötzlich laut und zornig auf; Hobbys und Freundschaften, die vorher wichtig waren, verschwinden oft komplett in den Hintergrund; wer vorher reflektiert und kritisch war, sieht plötzlich nur noch Verschwörung und dunkle Mächte. Andauernd wird gepredigt und «aufgeklärt», häufig in einem abwertenden und aggressiven Tonfall. Familie, Freundinnen und Freunde missverstehen das oft als persönliche Kränkung. Es ist jedoch „nur“ Ausdruck eines inneren Konflikts. Denn die Radikalisierung funktioniert wie eine künstliche Identität, die sich über die eigentliche Persönlichkeit legt und diese zu unterdrücken versucht. Die Psychologie von Radikalisierungsprozessen ist dabei immer die gleiche, egal ob es auf Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus oder sonst etwas vergleichbares hinausläuft. Deshalb gibt es auch bei der Deradikalisierung eine Reihe von gemeinsamen Punkten, die zu beachten sind.
Worauf kommt es bei der Deradikalisierung an?
☛ Je tiefer jemand im Kaninchenbau der Verschwörungstheorien steckt, desto schwieriger ist die Person noch erreichbar für Argumente. Es lohnt sich deshalb, frühzeitig zu reagieren, wenn sich Anzeichen für Radikalisierung zeigen.
☛ Vertrauenswürdige Boten können bei der Deradikalisierung eine entscheidende Rolle spielen. Gegenstimmen, die von ehemaligen Mitgliedern einer extremistischen Gemeinschaft („Aussteiger“) kommen, werden positiver bewertet und bleiben länger in Erinnerung als Mitteilungen, die aus anderen Quellen stammen.
☛ Annäherungen sollten einfühlsam geschehen und sich bemühen, ein grundsätzliches Verständnis für dieGegenpartei aufzubauen. Der Erfolg einer Intervention hängt davon ab, ob es gelingt die Aufgeschlossenheit der Verschwörungstheoretiker zu stärken. Wer dies erreichen will, muss deshalb mit gutem Beispiel vorangehen. Abwertung und lächerlich machen sind keine guten Strategien, um jemanden von extremen Ansichten abzubringen. Erfolgversprechender sind Wertschätzung und Respekt, jedenfalls gegenüber der Person (nicht in jedem Fall gegenüber den geäusserten Ansichten).
☛ Menschen, die Verschwörungstheorien vertreten, sehen sich selbst oft als kritische Denker, die sich nicht von einem offiziellen Bericht der Dinge in die Irre führen lassen. Diese Selbsteinschätzung lässt sich bei der Deradikalisierung nutzen, indem man den Wert des kritischen Denkens zwar betont, die kritische Überprüfung der Dinge dann jedoch auf die Verschwörungstheorie umlenkt.
☛ Fragen stellen.
Verschwörungstheorien sind oft so konstruiert, dass sie sich in den Augen ihrer Anhänger gar nicht oder nur schwer widerlegen lassen. Für jeden kritischen Einwand gibt es eine oder mehrere Ausreden und nötigenfalls werden alle Gegenbelege als gefälscht abgewertet und der Kritiker zum Lager der Verschwörer gezählt. Anstelle von Widerlegungsbemühungen ist deshalb oft das Stellen von Fragen erfolgversprechender. Am besten wirkt freundliches, wohlwollendes und zugleich ausdauerndes Nachfragen. Damit kann man auf der inhaltlichen und auf der persönlichen Ebene ansetzen.
Inhaltlich: Der Verschwörungsgläubige soll seinen Glauben erklären. Dabei ist es oft nützlich, genau nach den Quellen zu fragen: Woher hast du das? Ist das eine vertrauenswürdige Quelle? Wie kommst du darauf, dass das eine vertrauenswürdige Quelle ist? Gibt es andere Quellen mit gleichen oder widersprechenden Aussagen zum selben Sachverhalt?
Persönlich: Die persönliche Ebene darf bei der Deradikalisierung nicht zu kurz kommen. Fragen können zum Beispiel auf folgende Punkte abzielen: Wie geht es dieser Person mit diesen Überzeugungen und im Leben überhaupt? Wie ist sie in diese Szene hineingekommen? Hat sie Kontakte zu der Szene? Ist sie Mitglied einer Gruppe geworden? Welche Stellung hat sie dort? Welche Bedürfnisse deckt diese Überzeugung? Hat sich sonst etwas im Leben dieser Person verändert beruflich oder privat?
☛ Konfrontation auf der Metaebene.
Wie erwähnt, ist die widerlegende Konfrontation auf der inhaltlichen Ebene für die Deradikalisierung oft nicht erfolgreich. Das gilt vor allem, wenn man sich auf Auseinandersetzungen um Details der betreffenden Verschwörungstheorie einlässt. Verschwörungsgläubige kennen ihr Terrain oft sehr gut und es braucht oft solides Wissen, um sie dort herauszufordern. Erfolgversprechender ist deshalb häufig ein «Angriff» auf der Metaebene. Dabei werden Schwachpunkte «ins Feld geführt», die vielen Verschwörungstheorien gemeinsam sind.
Beispiele solcher Angriffspunkte:
– Verschwörungstheorien basieren oft auf ausgeprägtem Schwarz-Weiss-Denken, Sie bewirtschaften Feindbilder, suchen nach Sündenböcken und teilen die Menschen ziemlich arrogant in «Aufgewachte» und «Schlafschafe» ein. Diese dualistische Struktur lässt sich gut in Frage stellen. Auch Verschwörungsgläubige sehen manchmal ein, dass die Welt sich nicht so einfach in Gut und Böse einteilen lässt. Dann kann man unter Umständen zusammen Zwischentöne, Differenzierungen und Ambivalenzen erforschen.
– Verschwörungstheorien gehen oft von Bösartigkeit aus, wo Dummheit, Irrtum oder Unfähigkeit zur Erklärung menschlichen Fehlverhaltens ausreicht. Diese Fixierung auf Bösartigkeit lässt sich mit Hanlon’s Rasiermesser kritisieren.
– Viele Verschwörungstheorien setzen eine unrealistisch grosse Anzahl von Mitwissern voraus, was eine Geheimhaltung über längere Zeit praktisch ausschliesst. Auf diesen Einwand wies schon Machiavelli hin.
– Verschwörungstheorien basieren oft auf der unrealistischen Vorstellung, dass Geschichte sich planen lässt und eine Gruppe von Verschwörern alles in der Hand hat. Geschichte ist aber oft durch Unvorhergesehenes und Zufälliges beeinflusst. Dadurch lassen sich Pläne kaum je 1:1 umsetzen, was gegen grossangelegte, langdauernde Verschwörungen spricht.
☛ Grenzen beachten.
Bei der Deradikalisierung ist es wichtig, persönliche und inhaltliche Grenzen festzulegen. Persönliche Grenzen können beispielsweise erreicht sein, wenn der Aufwand an Kraft und Zeit die eigenen Möglichkeiten überschreitet. Dann ist eine Grenzziehung als Selbstschutz nötig. Inhaltliche Grenzen können erreicht sein bei Aussagen, die gesellschaftliche rote Linien überschreiten, zum Beispiel bei Holocaustleugnung, Gewaltpropaganda und demokratiefeindlichen Äusserungen. Solche Aussagen sind oft nicht mehr diskussionswürdig. Sie können dann nur zurückgewiesen und ausgegrenzt werden.
☛ Hilfe holen
Allein kann ein Deradikalisierungs-Vorhaben rasch an Grenzen stossen. Darum lohnt es sich zu klären, welche Personen im Umfeld der betroffenen Person das Anliegen unterstützen könnten.
Steckt das Gegenüber tief im Kaninchenbau der Verschwörungstheorien, kann es zudem sinnvoll sein, professionelle Unterstützung bei Organisationen zu suchen, die sich auf Deradikalisierung spezialisiert haben. Das gilt insbesondere auch für Situationen, in denen Gewaltphantasien oder Gewaltdrohungen beteiligt sind. In solchen Fällen ist aber manchmal auch die Polizei die notwendige Anlaufstation, insbesondere wenn Gewaltdrohungen konkret und akut geäussert werden.
Beratungsstellen für Deradikalisierung:
● Deutschland:
EXIT-Deutschland: Ausstieg aus dem Rechtextremismus
Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin
Der goldene Aluhut (Beratung und Informationen zu Verschwörungstheorien)
HAYAT-Deutschland, Beratungsstelle Deradikalisierung Islamismus
● Österreich:
● Schweiz:
Prävention von Radikalisierung und Extremismus (Fach- und Anlaufstellen)
Quellen:
Leitfaden Verschwörungstheorien
Sechs Tipps gegen Hass und Verschwörungstheorien (Edition F, Dana Buchzik)
„Anleitung zum Widerspruch“, von Franzi von Kempis
Siehe ausserdem zum Thema Deradikalisierung / Prävention:
Zum Umgang mit Verschwörungstheorien
Verschwörungstheorien & Jugendliche – was Lehrpersonen und Eltern tun können