Verschwörungstheorien haben den grossen Vorteil, dass sie sehr gut ohne Beweise auskommen. Für Verschwörungsgläubige ist nämlich die völlige Abwesenheit jeglicher «Beweise» kein Grund zur Besorgnis.
«Normale» Theorien über die Welt – ob im Alltag oder in der Wissenschaft – reagieren auf die Abwesenheit von Beweisen mit der Überprüfung ihrer Beobachtungen. Sie denken darüber nach, ob einzelne Behauptungen geändert werden müssen oder gar die Theorie insgesamt zu überarbeiten ist.
Verschwörungsgläubige dagegen schauen beherzt nach vorn und behaupten, die Abwesenheit von Beweisen sei doch der beste «Beweis» für ihre Theorie. Denn dass sich keine Beweise finden liessen, zeige doch eindrücklich, wie gross Macht und Einfluss der Verschwörer bei der Vertuschung ihres finsteren Tuns ist.
Gelingt es dann noch, alle Beobachtungen und Einwände, die gegen die verschwörungstheoretische Sicht der Dinge sprechen, zu entwerten, dann wird die Verschwörungstheorie beinahe unangreifbar.
Für die Entwertung widerständiger Beobachtungen oder Expertenmeinungen steht den Verschwörungsgläubigen eine Reihe einfacher Strategien zur Verfügung.
Sehr beliebt ist in diesem Zusammenhang der Hinweis darauf, dass die Zeugen der Gegenseite allesamt gekauft, böswillig, verblendet oder einfach nur dumm sind. Ihre «Beobachtungen» lassen sich dann leicht als falsch oder als irrelevant bei Seite schieben.
Ihre Interpretationen können als verzerrt dargestellt werden, so dass sie keine wirklichen Einwände sind.
«Wahr» kann schliesslich für Verschwörungsgläubige nur sein, was sich widerspruchsfrei in ihre verschwörungstheoretische Deutung einfügt und der Grundannahme einer geheimen Fremdsteuerung der Ereignisse nicht entgegensteht.
Quelle zu diesem Beitrag über «Beweise»:
Karl Hepfer, Verschwörungstheorie, in: Der Blaue Reiter – Journal für Philosophie, Ausgabe 45 (1/2020)
Karl Hepfer ist Privatdozent am Seminar für Philosophie der Universität Erfurt. 2015 erschien sein Buch «Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft»
Besonders beliebt ist es, Kritik an Verfahren der Alternativmedizin zu kontern durch die Unterstellung, die Kritikerin oder der Kritiker sei «gekauft von der Pharmaindustrie». «Wieviel hat dir Big Pharma dafür bezahlt?», heisst es dann zum Beispiel. Solche Diffamierungen gehören zum Spiel der «Pharmaverschwörung». Beweise für eine solche «Gekauftheit» braucht es dabei nicht. Die Unterstellung allein reicht aus, damit Verschwörungsgläubige davon ausgehen, sich nicht mehr mit vorgebrachten Argumenten auseinandersetzten zu müssen.
Wir haben es hier mit einem «argumentum ad hominem» zu tun. Dabei handelt es sich um ein Scheinargument, bei dem die Position oder These eines Streitgegners durch Angriff auf dessen persönliche Umstände oder Eigenschaften angefochten wird. Siehe dazu mehr auf Wikipedia.
Dazu kommt noch der Bestätigungsfehler (Confirmation bias). Dabei handelt es sich um die Neigung, Informationen so auszuwählen, zu ermitteln, zu interpretieren und zu erinnern, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen (bestätigen). Diese Neigung hat eindrückliche Konsequenzen im Alltag und für die Resistenz von Verschwörungstheorien. Der Confirmation bias betrifft aber alle Menschen, nicht nur Verschwörungsgläubige. Mehr zu diesem Phänomen gibt’ s in diesem Abschnitt:
Wodurch zeichnen sich Verschwörungstheorien aus? Merkmale, Charakteristika
Beliebt im Umgang mit Beweisen ist auch das Rosinenpicken (cherry picking):
Rosinenpicken (cherry picking) im Kontext von Verschwörungstheorien