Als Antiamerikanismus bezeichnet Wikipedia «eine „ablehnende Haltung gegenüber der Politik und Kultur der USA“, eine „Anfeindung der Interessen der Vereinigten Staaten“ oder eine feindliche oder entgegen gerichtete Gesinnung gegenüber „den Vereinigten Staaten von Amerika, ihrer Bevölkerung, ihren Prinzipien oder ihrer Politik“».
Antiamerikanismus kommt in verschiedenen Intensitäten und Formen vor. Oft handelt es sich dabei einfach um Ressentiments. In diesen Fällen kann man noch nicht von einer Verschwörungstheorie sprechen. Dazu braucht es noch zusätzliche Elemente, zum Beispiel die Vorstellung eines geheimen Plans im Hintergrund oder die Vorstellung, dass «die Amerikaner» mehr oder weniger alles insgeheim steuern, was auf der Welt passiert.
Wichtig ist zudem, dass Kritik an politischen Entscheidungen oder Handlungen der USA nicht einfach mit dem Etikett «Antiamerikanismus» vom Tisch gewischt wird. Kritik muss allerdings konkrete Missstände benennen – Wer, Was, Wann, Wo, Wie – und Argumente und Belege dazu liefern. Siehe dazu: Lob der Kritik
Gegen solche konkret formulierte Kritik kann sich die Gegenseite wiederum mit Argumenten wehren. Kritik unterscheidet sich deshalb fundamental von antiamerikanischen Ressentiments, die oft sehr pauschal und vage daherkommen, und auch von antiamerikanischen Verschwörungstheorien, die zum Beispiel daran glauben, dass eine Neue Weltordnung (NWO) im Hintergrund die Fäden zieht.
Bei der Beurteilung des Antiamerikanismus spielt auch die Grundhaltung der Kritiker eine Rolle:
Solange Kritiker die auch in der US-Verfassung festgelegten Grundsätze von Demokratie und Menschenrechten teilen, so der Politologe Armin Pfahl-Traughber, könne nicht von Antiamerikanismus gesprochen werden.
Ressentiment gegen das liberale westliche Gesellschaftsmodell
Antiamerikanismus ist oft verbunden mit Ressentiments gegen das liberale westliche Gesellschaftsmodell. Die USA werden dabei als Symbol für dieses liberale, kapitalistische Gesellschaftsmodell gesehen, dieser Mischung aus Marktwirtschaft und weitgehenden persönlichen Freiheiten.
In diesen Ressentiments treffen sich radikal rechte und radikal linke Kräfte in ihren Weltbildern an einem gemeinsamen Punkt. Sie unterscheiden sich allerdings in den Inhalten ihres Antiamerikanismus.
Antiamerikanismus im rechten Spektrum
Der Antiamerikanismus von Rechtsextremen ist eng verknüpft mit Antisemitismus und Globalisierungsfeindlichkeit. Sie halten die USA für ein „Werkzeug“ des Judentums und die Globalisierung gilt ihnen als Instrument, um die Weltherrschaft zu erlangen. Den vermeintlichen Werteverfall in Deutschland, den angeblichen Niedergang der deutschen Sprache oder auch Drogensucht und Kriminalität lasten sie allesamt den USA an.
Für gegenwärtige Neonazis sind die USA ein Hort des Bösen. Die Ursache für diese Ansicht sehen sie in der US-Rolle bei der Niederschlagung des Nationalsozialismus.
Die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse und die anschliessende Demokratisierung bzw. Liberalisierung Westdeutschlands gelten Neonazis als „Siegerjustiz“ und „Gehirnwäsche“. Die liberale, multikulturelle und pluralistische US-Gesellschaft widerspricht jedoch auch der völkischen Ideologie der Neonazis.
Reichsbürgerinnen und Reichsbürger behaupten, dass Deutschland kein souveräner Staat sei, sondern eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung («BRD GmbH»). Sie halten alle staatlichen Organe der BRD deshalb für feindliche Marionetten der „eigentlichen Unterdrückungsmacht“ oder „der globalen Elite“. Daraus folgt ein Antiamerikanismus und nicht selten auch ein Antisemitismus. Denn schlussendlich kommt man, wenn man nach den angeblichen „Hintermännern“ oder „Drahtziehern“ dieser Macht fragt, fast immer bei den jüdischen Rothschilds oder „der Ostküste“ an, einer Umschreibung für die Eliten der USA und einer angeblich dort ansässigen jüdisch/zionistischen Lobby
Antiamerikanismus im linken Spektrum
Auch im linken Spektrum kommt es vor, dass Verschwörungstheorien genutzt werden, um den Zusammenhalt des eigenen Lagers zu stärken. Antiamerikanismus ist dabei ein gern genutztes Element und hat eine lange Tradition. Im Kern geht es dabei um eine verkürzte Kritik an Kapitalismus und Imperialismus, um ein Welterklärungsmodell, in dem die USA für alles Leid der Welt verantwortlich gemacht werden, während komplexere Analysen ausbleiben.
Boris Schumatsky schreibt:
«Wer an allem schuld ist, ist für das ehemals linke Milieu derart unumstritten, dass es keiner Diskussionen bedarf und keine zulässt. Es gibt einen einzigen Schuldigen, doch sein Name ist Legion, wie man vor einigen Jahrhunderten zu sagen pflegte. Der Satan dieser Leute, die sich immer noch links nennen, ist das neoliberale Wirtschaftssystem, vertreten auf Erden durch den – das ist des Teufels zweiter Name – US-Imperialismus, sowie durch die von diesem kolonialisierten Länder der – und das ist sein dritter Name – NATO. Natürlich hat das Böse noch viel mehr Namen, von der ‘EU’ bis zum ‘Westen’.»
Rechte und linke Feindbilder fliessen zusammen
Dass in Verschwörungstheorien unterschiedliche politische Lager zusammenfliessen können, hat sich unter anderem bei Corona-Verschwörungstheorien gezeigt. Im Antiamerikanismus zeigt sich ein ähnliches Phänomen.
Boris Schumatsky schreibt:
«Die wohl stärkste Strömung in dieser Szene ist aus dem linken Antiimperialismus gewachsen, und die andere, ebenfalls weit verbreitete, entsprang dem fremdenfeindlichen Nationalismus. Doch die Unterschiede zwischen links und rechts sind verwaschen.»
In der Ablehnung der liberalen westlichen Welt treffen sich radikale rechte und radikale linke Kräfte an einem gemeinsamen Punkt in ihrem Weltbild. Und an diesem Punkt kommt nicht selten auch eine geteilte Putin-Vergötterung auf. Putin’s antiliberales und antiwestliches Russland wird zum unkritisch imaginierten Sehnsuchtsort linker und rechter Kreise. Rechtspopulisten aus AfD und FPÖ, aber auch aus der SVP (zum Beispiel Roger Köppel) treffen sich in dieser hoch fragwürdigen Affinität zum russischen Tyrannen mit Teilen der ehemaligen SED-Partei «DIE LINKE».
Dass der Antiamerikanismus zu ausgesprochen putinnahen Positionen führt, zeigt sich aber auch ausserhalb des Parteienspektrums an einzelnen Personen wie Daniele Ganser. Fest in antiamerikanischen Feindbildern verankert, decken sich seine Positionen in der Regel perfekt mit denen der Kreml-Propaganda.
Boris Schumatsky schreibt:
«Wie die Liebe zu Putin, so wächst auch der Amerikahass meist aus einem tiefer sitzenden Ressentiment gegen die gesamte rechtsstaatliche Tradition des Westens. Für wen der Westen zu kompliziert und zu anstrengend, zu langsam oder einfach zu unsexy ist, für den gibt es seit jeher eine wunderbare Zuflucht. Etwa den Glauben daran, dass die Welt insgeheim von einer Gruppe von Bankern, Militärs, Politikern und Adeligen regiert wird, die sich regelmässig bei den Bilderberg-Konferenzen treffen. Oder dass die geheime Weltregierung die jüdische Lobby in Washington ist. Oder die Ausserirdischen, die vom Weissen Haus aus die Welt regieren und die Erdbevölkerung mit Chemikalien vergiften, die Verkehrsflugzeuge über uns streuen….
Der pauschale Antiamerikanismus ist ebenso eine Verschwörungstheorie wie die Chemtrail-Verschwörung, bloss nicht ganz so peinlich.»
Der Kern des Antiamerikanismus
Boris Schumatsky schildert den Kern und die typischen Merkmale des Antiamerikanismus:
«Der Kern des Antiamerikanismus ist die Gewissheit, dass es nur eine Quelle des politischen Bösen in unserer Welt gibt. Dieses Böse ist der Ursprung aller Probleme, Konflikte und Kriege, aller politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Missstände, und es ist folglich auch für die persönliche Misere der Gläubigen verantwortlich. Dabei, und hier liegt der grosse Unterschied zu traditionellen Kulten und totalitären Ideologien des vergangenen Jahrhunderts, muss das neue Böse nicht klar definiert werden. Zwar herrscht in der Szene Einigkeit darüber, dass es mehrere grosse und kleine Teufel gibt, von den USA bis Israel.
Dann aber verliert sich der Kult in Widersprüchen. Für die vielleicht meisten residiert das Böse unserer Welt in Washington, aber nur die wenigsten von ihnen würden den Präsidenten oder den Kongress der USA als solches bezeichnen. Hinter diesen vermutet man wiederum andere, noch mächtigere Kräfte, etwa die Lobbys, von den jüdischen bis zu den industriellen. Es gibt dann auch zahlreiche Theorien, die das Böse in Europa sehen, oder solche, die es in keinem einzelnen Land verorten. Man glaubt an weltweite Netzwerke, die insgeheim die Welt regieren, oder gibt die Schuld den unpersönlichen Kräften des globalen Finanzmarktes. Doch auch die abstrakten Mächte agieren durch Personen oder Eliten.»
Wirklich bemerkenswert sei an dieser antiwestlichen, amerikafeindlichen Szene, dass sie sich nicht dafür zu interessieren scheint, wie das globale Böse genau wirkt, schreibt Schumatsky. Ähnlich habe die Propaganda unter Hitler oder Stalin gearbeitet:
«Sie klammerte die schwer vermittelbaren Zusammenhänge der Rassen- oder Klassentheorie aus und beschränkte sich auf wenige Feindbilder. Das überzeugte. Die modernen Verschwörungsideologien kümmern sich meist ebenfalls nicht darum, wie die Verschwörung im Detail funktioniert. Genau deshalb sind sie so mächtig.»
Fazit
Der Antiamerikanismus als Ressentiment und Verschwörungstheorie entsteht natürlich nicht im luftleeren Raum. Er nährt sich immer wieder an realen kritikwürdigen Faktoren wie dem Vietnamkrieg und dem auf Lügen aufgebauten Irakkrieg. Bei aller hier und da gerechtfertigten Kritik ergibt sich daraus aber keine gerechtfertigte Basis für pauschale antiamerikanische Ressentiments oder Verschwörungstheorien. Die USA sind als Land und Gesellschaft vielfältiger als einzelne Personen und Institutionen, die kritisiert werden können und müssen, wie es in einer Demokratie üblich und nötig ist.
Quellen:
Boris Schumatsky, «Der neue Untertan – Populismus, Postmoderne, Putin», Residenz Verlag 2016 (Artikel zu Boris Schumatsky auf Wikipedia).
Liane Bednarz / Christoph Giesa, «Gefährliche Bürger – die Neue Rechte greift nach der Mitte», Hanser Verlag 2015.
Glossar: «Antiamerikanismus» der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)
Beitrag zum Thema «Antiamerikanismus auf Wikipedia.
«Reichsbürger, Mondlandung, Reptiloide, Flacherde». Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB).