Eine Studie aus England hat drastisch aufgezeigt, wie weit verbreitet Extremismus und Verschwörungstheorien in Schulen sind. Lehrer könnten oder wollten häufig nichts dagegen tun, so die Untersuchung.
Durchgeführt wurde die Untersuchung laut britischen Medien am University College London (UCL) von dortigen Institute of Education. Total 96 Lehrkräfte seien dafür befragt worden. Die Tendenzen, die sich dabei zeigten, erregen in England viel Aufsehen in den Medien und dürfte Eltern und Lehrkräfte alarmieren.
Die befragten Lehrkräfte berichteten in der Untersuchung, dass in Englands Schulen extreme Ansichten in den vergangenen Jahren zugenommen haben. Viele Schülerinnen und Schüler sollen – zum Teil auch komplett absurden – Verschwörungstheorien aus dem Internet Glauben schenkten, ohne diese zu hinterfragen.
Die Untersuchung begrenzt sich ausdrücklich auf England. Die Situation dürfte allerdings in anderen Teilen Großbritanniens und weltweit ähnlich sein: Kinder sind oft im Internet unterwegs und lesen und hören dort Inhalte, die sie nur ungenügend einordnen oder differenziert betrachten können.
Laut der Studie geben die Schulen kein gutes Bild ab: Sie würden häufig nichts oder zumindest nur sehr wenig dagegen tun, stellen die befragten Lehrerkräfte fest. Die Bekämpfung von Extremismus an englischen Schulen sei hauptsächlich darauf ausgerichtet, Schüler, die sich radikalisieren, herauszufiltern und den Behörden zu melden.
Was Schulen besser machen könnten….
Schulen sollten den Kindern und Jugendlichen die Mechanismen radikalen Denkens aufzuzeigen und sie damit zu befähigen, selbst diese Tendenzen zu erkennen und radikales Denken zu hinterfragen. Die Diskussionen an Schulen über solche Themen seien häufig viel zu oberflächlich und erreichten nicht das Ziel, dass sich die Kinder kritisch mit solchen Inhalten auseinandersetzen, stellt die Studie fest. Gegenwärtig würde an Schulen kaum etwas unternommen, um Desinformation aus dem Internet oder hasserfüllte Inhalte zu bekämpfen.
Kamal Hanif, einer der Initiatoren der Untersuchung, hält die Studie für einen Weckruf:
„Wir müssen sicherstellen, dass jeder Schüler und jede Schülerin lernt, wie man extremen Ansichten und Ideologien widersteht“, erklärt der Experte, der sich hauptsächlich damit auseinandersetzt, wie gewalttätiger Extremismus an Schulen unterbunden werden kann.
Laut dem „Guardian“ kommt die Studie zum Schluss, dass rund die Hälfte der befragten Lehrerinnen und Lehrer bereits einmal rechtsextreme Ansichten in ihren Klassen gehört hätten. Dreiviertel seien Zeugen von frauen- oder islamfeindlichen Aussagen gewesen, und beinahe jeder Lehrkraft seien auch schon rassistische Sprache im Klassenzimmer zu Ohren gekommen. Etwa 90 Prozent habe bereits einmal mitbekommen, dass Schüler und Schülerinnen an völlig aus der Luft gegriffene – und im Internet verbreitete – Verschwörungstheorien glaubten, beispielsweise an diejenige, wonach „Bill Gates Menschen mithilfe von Mikrochips in Covid-Impfstoffen kontrolliere“.
Es komme allerdings selten vor, dass Kinder und Jugendliche eine insgesamt radikalisierte Weltsicht hätten, fand die Studie heraus. Radikale Tendenzen und extreme Ansichten zu einzelnen Themen seien aber recht oft anzutreffen.
Woran mangelt es den Schulen in England?
Leider hapere es in den Schulen häufig daran, solche radikalen Meinungen zu widerlegen, stellt die Studie fest. Lehrerinnen und Lehrer erklärten, sie hätten Angst, gewisse Themen anzusprechen aus Furcht, etwas falsch zu machen, insbesondere, wenn es um Hautfarben gehe. Ein Fünftel der Lehrkräfte fühle sich nicht ausreichend sicher, Verschwörungstheorien oder Rechtsextremismus im Unterricht zu thematisieren.
Im „Guardian“ kommentierte Geoff Barton die Studie. Er ist Generalsekretär der „Association of School and College Leaders“, einer Vereinigung für Führungskräfte an Schulen und Colleges. Barton hält es für problematisch, dass Schulen hin und hergerissen sind zwischen vollgestopften Stundenplänen und Budgetsorgen – und das zu seiner Zeit, in der die Gesellschaft einen grundlegenden Wandel erlebt, in der die digitale Revolution Menschen dazu befähigt, hasserfüllte Inhalte per Knopfdruck zu verbreiten.
Becky Taylor vom UCL, eine der Initiatorinnen der Studie, erklärt auf „Sky News“:
«Diese Studie zeigt, dass manche Schulen nur oberflächlich an den Themen Gewalt, Extremismus und Radikalisierung kratzen.»
Die Studie empfiehlt bessere Trainings für Lehrerinnen und Lehrer damit sie in der Lage sind, mit ihren Klassen über Extremismus zu sprechen – und damit etwas in den Köpfen der Kinder und Jugendlichen zu bewegen.
Quelle:
An Englands Schulen blühen extreme Ansichten und Verschwörungstheorien (Stern)
Ausserdem:
Zum Umgang mit Verschwörungstheorien in Schulen siehe auch:
Medienkompetenz für die Schule: Verschwörungstheorien
Verschwörungstheorien: Materialien für den Unterricht
Zum Umgang mit Verschwörungstheorien im Unterricht
Verschwörungstheorien & Jugendliche – was Lehrpersonen und Eltern tun können