Eliten und Elitenkritik spielen eine wichtige Rolle in vielen Verschwörungstheorien. Martin Tschiderer beschreibt dieses Phänomen in der «Wiener Zeitung»:
«Alle Reichen und Mächtigen dieser Erde, ob Konzernchefs, Politikerinnen, Banker oder Medienmogule, stecken unter einer Decke. Und verschwören sich für ihre gemeinsamen Interessen gegen den Rest der Menschheit.
Dass es nicht nur völlig unplausibel ist, dass all diese „Eliten“ die gleichen Interessen haben könnten, sondern deren Interessen einander offenkundig in vielen Bereichen diametral entgegenstreben, tut der Popularität der flockigen Erzählungen allerdings keinen Abbruch.»
Festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang, dass Elitenkritik nicht pauschal als Verschwörungstheorie diffamiert werden darf.
Elitenkritik ist wichtig. Sie sollte aber präzis sein und auf Fakten basieren.
Genau das bietet Elitenkritik im Kontext von Verschwörungstheorien kaum.
Um nötige differenzierte Elitenkritik leisten zu können ist es hilfreich, mehr über den Eliten-Begriff und seine interessante Geschichte zu wissen.
Der Eliten-Begriff – wo kommt er her?
Das Wort „Elite“ kommt erstmals im 17. Jahrhundert auf (urspr. vom lateinischen eligere bzw. exlegere, franz. élire; = „auslesen“).
Die Elite ist also von der Wortbedeutung her die Auswahl, die Auslese.
Zunächst wurde der Begriff «Elite» zur Bezeichnung von hochwertigen und teuren Waren verwendet, insbesondere von Stoffen („Elitegarn“). Erst allmählich wurde der Begriff dann auch auf soziale Zusammenhänge angewendet. Während der Französischen Revolution wurden mit élite Menschen bezeichnet, die sich (im Gegensatz zu Adel und Klerus) ihre gesellschaftliche Position selber verdient hatten.
Im Verlauf der Industrialisierung wurde der Begriff dann im Bürgertum zur Abgrenzung von der Masse der Ungebildeten und Unselbständigen (den Arbeitern und Angestellten) eingesetzt.
Inzwischen steht der Begriff aber auch für einen in sich geschlossenen Zirkel, der exklusiv jenen vorbehalten ist, die etwas zu sagen haben.
Der Soziologe und Elitenforscher Michael Hartmann umschreibt den Eliten-Begriff so:
«Eliten sind für mich wie für alle Elitenforscher (ungeachtet sonstiger Differenzen) jene Personen, die qua Amt oder qua Eigentum in der Lage sind, gesellschaftliche Entwicklungen massgeblich zu beeinflussen. Es sind also Regierungsmitglieder, Topmanager, Eigentümer grosser Unternehmen, hohe Richter und Verwaltungsbeamte, Intendanten von Fernsehsendern et cetera. Bekanntheit ist kein Kriterium für Elitenzugehörigkeit, sondern Macht.»
Es lassen sich verschiedene Arten von Eliten unterscheiden, zum Beispiel Leistungseliten, Funktionseliten, Machteliten, Positionseliten, Bildungseliten, ökonomische Eliten.
Zur Geschichte der Eliten-Verschwörungstheorien
Der Literaturwissenschaftler und Amerikanist Michael Butter hat darauf hingewiesen, dass gegen Eliten gerichtete Verschwörungsvorwürfe vor allem seit den 1960er Jahren virulent geworden sind. In den Jahrhunderten zuvor seien hingegen eher solche Vorwürfe die Regel gewesen, die von Obrigkeiten oder Regierungen gegenüber marginalen Akteuren und Gruppen (wie beispielsweise Hexen, Juden oder Freimaurern) erhoben worden waren (Butter 2018: 173).
Die verbreitete Eliten-Skepsis lässt sich mit guten Gründen als ein historisch neuartiges Phänomen zu begreifen, das mit dem Strukturwandel moderner Gesellschaften seit den 1970er Jahren verbunden ist. Dazu gehören nicht nur eine wachsende ‚Ökonomie der Ungleichheit‘ oder eine Abschließung sozialer Milieus, die Abstiegsängste oder ein Gefühl mangelnder politischer Repräsentation ausgelöst haben. Auch die Veränderungen der Medienkultur sind daran entscheidend beteiligt. Sie fördern offenbar die Kultivierung ‚alternativer Wahrheiten’ und tragen zu einer Verunsicherung über das Verhältnis von Fakten und Fiktionen, sowie von Aufrichtigkeit und Heuchelei, bei.
Gegenwärtige Elitenkritik im Kontext von Verschwörungstheorien
Die derzeit wohl verbreitetste Eliten-Verschwörungstheorie liefert die QAnon-Sekte. Anhängerinnen und Anhänger dieses Kultes fantasieren von Kindern, die entführt und in unterirdischen Höhlen und Tunnelsystemen gefangen gehalten und gefoltert werden. Durch ihre Angst sollen sie einen Stoff namens Adrenochrom produzieren, der ihnen abgezapft werde. Und weshalb? Damit die reichen und mächtigen Eliten dieser Erde daraus ein Verjüngungsmittel herstellen können, das ihr Leben verlängert.
Auch im Zuge der Corona-Verschwörungstheorien wurden Behauptungen verbreitet, dass politische und gesellschaftliche Eliten die Pandemie dazu nutzen, um geheime, schon von langer Hand geplante Ziele in die Tat umzusetzen. Solche Ziele seien die Errichtung einer Weltregierung (Neue Weltordnung), die Zerstörung der Weltwirtschaft (Great Reset) oder auch der Umbau der deutschen Demokratie zu einer Diktatur. Das Impfprogramm der Gates-Stiftung wird dabei von Verschwörungsgläubigen als hinterlistiges Mittel denunziert, mit dem die Menschen gefügig gemacht werden sollen. Bill Gates gilt ihnen dementsprechend als Mastermind und als heimlicher Profiteur der ‚Corona-Verschwörung‘.
Elitenkritik ist nicht selten mehr oder weniger explizit antisemitisch eingefärbt. Das kann sich in Code-Wörtern äussern wie «Hochfinanz», womit denn die Juden gemeint sein können.
Siehe dazu: Antisemitismus und Verschwörungstheorien
Im Kontext von Verschwörungstheorien läuft Elitenkritik in der Regel ins Leere. Sie ist viel zu pauschal und sie geht von unrealistischen Voraussetzungen aus:
- Es gibt nicht einfach die Elite, die vollkommen homogene Interessen verfolgt. Verschwörungstheorien wie die «Neue Weltordnung» (NWO) oder «The Great Reset» setzen aber voraus, dass «die Elite» über lange Zeiträume am gleichen Strick zieht. In einer Elite gibt es jedoch immer verschiedene Branchen, verschiedene Hierarchiestufen, verschiedene nationale Hintergründe etc. – ganz abgesehen von persönlichen Animositäten und Vorlieben.
- Die Vorstellung, dass eine «Elite» über längere Zeit alle Fäden in der Hand hat und alle wesentlichen Vorgänge wie ein Puppenspieler steuert, setzt ein sehr mechanistisches Welt- und Menschenbild voraus. Geschichtliche, politisch und ökonomische Prozesse sind jedoch nicht so vollumfänglich kontrollierbar. Eine ganze Reihe von Einflüssen wie Dummheit, Unfähigkeit, Zufälle, Irrtum und Verrat lassen sich nicht so einfach eliminieren. Verschwörungstheoretiker gehen in der Regel von Bosheit aus, während oft Dummheit, Unfähigkeit, Zufälle, Irrtum und Verrat zur Erklärung von unerwünschten Ereignissen ausreicht (siehe dazu: Hanlons Rasiermesser).
Notwendige Elitenkritik
Natürlich stellt sich die Frage, wie eine sinnvolle und effektive Elitenkritik aussehen müsste. Dieses weite Feld kann hier nur in Ansätzen skizziert werden.
Klar ist, dass man nicht schon von einer Verschwörung ausgehen sollte, wenn Eliten sich mehr oder weniger schamlos bereichern. Für eine Verschwörung braucht es einen Plan und eine Gruppe von Leuten, die ihn zum Schaden anderer im Geheimen ausführt.
Klar ist auch, dass Elitenkritik so genau wie möglich benennen sollte, was als kritikwürdig angesehen wird: Was genau läuft schief? Wer hat wo, was, wie gemacht oder unterlassen?
Konstruktive Elitenkritik wird nicht «die Elite» pauschal als Einheit phantasieren, sondern zur Kenntnis nehmen, dass in «der Elite» neben gemeinsamen Interessen auch viele Differenzen und Interessensgegenschäften bestehen. Sie wird fragen, wer von denen, die ‘da oben’ sind, nur auf sich schaut – und inwiefern. Ein solcher Zugriff liesse nach Ansicht der Politphilosophin Katja Gentinetta immerhin die Möglichkeit offen, dass es ‘da oben’ auch Menschen geben kann, die nicht sich bedienen, sondern ihren Dienst an der Gesellschaft leisten: «Erst damit würde anerkannt, dass es auch eine anständige Elite geben kann. Eine solche Kritik wäre sachlich begründete Elitenkritik. Es wäre eine Elitenkritik, die nicht ‘die Elite’ kritisiert, sondern bestimmte Exponenten dieser Elite, aufgrund ihres spezifischen moralischen oder eben unmoralischen Verhaltens, je nachdem, ob sie dienen oder sich bedienen.»
Demokratie und Eliten
Die Philosophin Isolde Charim stellt fest, dass Demokratie nicht Herrschaftsfreiheit bedeutet, sondern eine Gesellschaftsordnung, die Macht institutionell begrenzt. Insofern gebe es auch in der Demokratie Eliten, auch politische Eliten, ohne dass dieses Faktum undemokratisch wäre. Allerdings sei es nur dann demokratisch, wenn die Macht dieser Eliten eingehegt ist, sozusagen gezähmt durch Begrenzung:
«Begrenzt durch die Verwandlung von Machthabern in Amtsträger (was zumindest prinzipiell jedem offensteht). Begrenzt durch die Wähl- und Abwählbarkeit dieser Amtsträger. Begrenzt durch Kontrolle, Transparenz, Responsivität, Verantwortung. Zumindest der Möglichkeit nach.»
Wenn es jedoch Eliten gebe, schreibt Charim, dann sei für den Zustand der Demokratie das Verhältnis von Eliten und Nicht-Eliten entscheidend.
Bezogen auf die politischen Eliten sei dieses Verhältnis demokratisch, wenn sie die politischen Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler vertreten und zugleich eine Vorstellung vom Gesellschaftsganzen, vom Gemeinwohl, definieren und durchzusetzen versuchen.
Das Verhältnis von Eliten und Nicht-Eliten sieht Isolde Charim geprägt von einem abgrundtiefen Abstand. Sie konstatiert, dass sich die ökonomischen Eliten für eine Abspaltung entscheiden und von ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen und Verantwortungen und damit vom Gemeinwohl zurücktreten. Sie kündigen damit den Gesellschaftsvertrag einseitig auf. Als Beleg dafür verweist Charim auf die sogenannten Panama Leaks – das Bekanntwerden der Daten eines weltweiten Steuerbetrugssystems. An diesem Punkt kann beispielsweise präzise und notwendige Elitenkritik einsetzen.
Charim beschreibt die «Sezession der Reichen» so:
«Sie verabschieden sich aus der gemeinsamen Welt. Ihr Aufkündigen des Gesellschaftsvertrages, ihr Aufkündigen noch der allgemeinsten Vorstellung von Gleichheit bedroht aber die gesamte Gesellschaft. Denn es erzeugt nicht nur Ungleichheit. Es erzeugt auf Frustration. Und Misstrauen…Das zersetzt die gesamte Gesellschaft……Dieser Auszug aus der Verantwortung, ja aus der Gesellschaft, ist auch ein Auszug aus der Begrenzung, die für die Demokratie konstitutiv ist. Denn er bedeutet eine Entgrenzung in jeder Hinsicht: finanziell, sozial, kulturell, räumlich. Es ist dies das Entstehen einer Oligarchie. Aus einer ungesunden Nähe zu diesem ersten geht das zweite Gesicht dieser Sezession hervor: das politische Gesicht.
Dieses trägt die Züge eines oligarchischen Systems – einer Herrschaft der Wenigen, einer Elitenherrschaft, die vorwiegend den Eigennutz der Herrschenden und weniger das Gemeinwohl im Auge hat….
Diese fortschreitende Oligarchisierung bedeutet eine zunehmende Verflechtung von ökonomischen und politischen Eliten…..Dies zeichnet sich durch mehrere Sonderstellungen aus: Neben der bereits erwähnten Tendenz zur Steuerflucht zeigt sich diese Verflechtung auch in etwas anderem: im unterschiedlichen Verhältnis zu Regeln.
Demokratische Gesellschaften basieren darauf, dass Regeln, dass Gesetze für alle in gleicher Weise gelten. Die heutigen Privilegien bestehen in dem Vorrecht, sich diesem Grundsatz zu entziehen. Regeln gelten nur für manche. Andere stellen sich ausserhalb der Regeln – das ist das ‘Adelsvorrecht’ unserer Zeit. Solche Sonderstellungen untergraben aber das Fundament unseres Zusammenlebens. Sie erzeugen ein Gefühl von Ungleichheit.»
Isolde Charim konstatiert nun, dass die politischen Eliten kein Gegengewicht mehr bilden zum Rückzug der ökonomischen Eliten. Heutige politische Eliten seien nicht mehr aufs Gemeinwohl verpflichtet und deshalb auch keine ethischen Autoritäten mehr:
«In der Politik wurde der tonangebende, visionäre Staatsmann abgelöst durch jene, deren Autorität auf ästhetischen Erfahrungen – wie etwa Verführung – beruht: Idole, exemplarische Personen, die dem Starprinzip entsprechen – bindungslos und ungebunden. Hervorragende Einzelne, Singularitätsdarsteller, in denen man sich nicht mehr als Gruppe mit seinen Interessen wiedererkennt – sondern sich als Einzelner (in einer instantanen Gemeinschaftserfahrung) wiederfindet. Diese Einzelne sind nicht so sehr gewählt (selbst wenn sie aus Wahlen hervorgehen,), sondern ausgesondert, wie es bei Durkheim heisst: ‘Wenn die Gesellschaft sich für einen Menschen begeistert, in dem sie die wesentlichen Sehnsüchte zu entdecken glaubt, die sie selbst bewegen, und die Mittel, um sie zu befriedigen, dann sondert sie ihn aus.’»
Im populistischen Politikmodell soll diese ausgesonderte Figur Teil des Volkes sein, «einer von uns». Das bedeutet, es geht um die Illusion einer Elitenlosigkeit, um die Illusion einer Identität zwischen Herrschenden und Beherrschten. Die «Alten Eliten» hingegen werden von Populisten als nicht zum Volk gehörig dargestellt. Die Kluft zwischen Elite und Volk wird gezielt vertieft und bewirtschaftet. Dazu können auch Verschwörungstheorien dienen. Zwischen Populismus und Verschwörungstheorien gibt es viele Gemeinsamkeiten. Sie treffen sich unter anderem in ihrer pauschalen, undifferenzierten Elitenkritik. Populisten sind aber genau genommen nicht grundsätzlich gegen Eliten. Sie finden nur, dass die falschen Eliten an der Macht sind. Kommen sie selber in Machtpositionen, zeigen sie ganz und gar nicht selten eine hohe Anfälligkeit für Korruption. Beispiele dafür gibt es im Umfeld von Viktor Orban in Ungarn oder von Jair Bolsonaro in Brasilien. Auch die Ibiza-Affäre mit dem damaligen österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache zeigt die potenzielle Käuflichkeit eines Rechtspopulisten. Viele weitere Beispiele wären leicht hinzufügbar.
Fazit:
Die Themen «Elite & Demokratie» sowie «Elitenkritik» brauchen also Aufmerksamkeit, aber nicht im destruktiven und verengten Kontext von Verschwörungstheorien und Populismus.
Quellen:
Philosophicum Lech: Die Werte der Wenigen – Eliten und Demokratie, von Konrad Paul Liessmann (Hsg.), Paul Zsolnay Verlag 2020.
Daraus folgende Beiträge:
– Isolde Charim, Politische Eliten – Repräsentation oder Usurpation?
– Katja Gentinetta, Wem dienen sie? Warum eine sachliche Elitenkritik nottut.
– Michael Hartmann, Wie die Eliten die Demokratie gefährden.
Verschwörungstheorien als Elitenkritik: Über die langen Traditionen eines aktuellen Phänomens, von den Historikern Dr. Marcel Bubert, Prof. Dr. Wolram Drews und PD Dr. André Krischer vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster.
Verschwörungstheorien als Elitenkritik: Über die langen Traditionen eines aktuellen Phänomens, von den Historikern Dr. Marcel Bubert, Prof. Dr. Wolram Drews und PD Dr. André Krischer vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster
( L.I.S.A. Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung)
VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN: Wenn das Geimpfte aufgeht (Wiener Zeitung)
Beitrag zum Thema «Elite» auf Wikipedia.
Philosophie-Zeitschrift Hohe Luft 2/2020: Prädikat Elite, von Christina Geyer.