Wie tiefgreifend eine Verschwörungstheorie die Demokratie zersetzen kann, zeigt sich gerade in den USA. Dort hat die Fraktion der Republikaner im Repräsentantenhaus die einflussreiche Abgeordnete Liz Cheney ihres Amtes in der Fraktionsführung enthoben.
Die Tochter des früheren Vizepräsidenten Dick Cheney hatte sich wiederholt gegen die Verschwörungstheorie Trumps gestellt, nach der er im November nur durch gross angelegten Betrug um seinen Wahlsieg gebracht worden sei. Sie warf Donald Trump zudem vor, er habe seine Anhänger vor deren Sturm auf das Kapitol im Januar aufgestachelt. Danach votierte sie als eine von nur wenigen republikanischen Abgeordneten für das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump.
Cheney verurteilte vor kurzem zudem einen „gefährlichen und anti-demokratischen Personenkult um Trump“ in ihrer Partei, in der der Ex-Präsident seine Macht zuletzt weiter festigen konnte.
Cheney sagte nach ihrer Abwahl, sie werde weiterhin versuchen, ihre Partei davon abzubringen, Trump weiter zu folgen. Vor Reportern erklärte die Abgeordnete, sie werde alles tun, „um sicherzustellen, dass der frühere Präsident nie wieder auch nur in die Nähe des Oval Office kommt“.
Es wird allgemein erwartet, dass als Nachfolgerin Cheneys die Trump-Anhängerin Elise Stefanik den Posten bekommt.
Verschwörungstheorie als neue Partei-Doktrin
Cheney ist die einzige prominente Abgeordnete der Republikanischen Partei, die sich deutlich zu sagen traut, dass der Ex-Präsident die Wahl verloren hat. Sie stellt damit die Verfassung über die Lügen Trump’s.
USA-Korrespondent Hubert Wetzel schreibt dazu im «Tages-Anzeiger»:
«Die Republikaner erheben dadurch Donald Trumps “Big Lie“ zum neuen Dogma der Partei – die grosse, gefährliche, zerstörerische Lüge des geschlagenen Präsidenten, ihm sei der Sieg bei der Wahl im vergangenen November gestohlen worden. Liz Cheney wurde nicht geschasst, weil ihre Ansichten über Steuern oder Abtreibung von der Parteilinie abweichen. Im Gegenteil: Sie ist, anders als Stefanik, eine orthodoxe Konservative. Rausgeworfen wurde Cheney, weil sie die einzige Republikanerin von Rang ist, die sich traut, Trumps Lüge öffentlich und laut zu widersprechen.»
Das könne man nicht einfach als innerparteiliches Gezerre der Republikaner abtun, schreibt Wetzel weiter:
«In der Praxis wird die Demokratie in den USA von zwei Parteien getragen, den Demokraten und den Republikanern. Trumps Lüge jedoch, an die alle Republikaner jetzt glauben und die sie alle nachplappern müssen, trifft direkt ins Herz der Demokratie. Sie beschädigt die Legitimität jenes Verfahrens, durch das in einer Demokratie politische Macht friedlich verteilt wird und ohne das es keine Demokratie gibt – Wahlen.»
Wetzel sieht die USA vor einer Frage, die weit über Personalien hinausgeht:
«Wenn in einer Demokratie eine von zwei Parteien den demokratischen Konsens aufkündigt, wenn sie die geltenden Regeln ablehnt, weil sie nicht gewinnt, wenn sie sich an diese Regeln hält – kann dann die Demokratie überleben?»
Wetzel zieht ein ernüchterndes Fazit:
«Trump wurde abgewählt, aber das Gift, das er verspritzt hat, bleibt. Es frisst sich weiter durch die Gesellschaft und die politischen Institutionen in Amerika.»
Quellen:
Trump-Kritikerin Cheney abgewählt (Tagesschau)
Analyse zu Liz Cheneys Rauswurf: Trumps Gift wirkt (Tages-Anzeiger)
Anmerkungen:
☛ Wir sehen hier ein Lehrbeispiel dafür, wie eine Verschwörungstheorie die Glaubwürdigkeit von demokratischen Wahlen untergraben kann und dadurch die Demokratie unterminiert.
☛ Dass Trump mit seinem übergrossen Ego seine Niederlage nicht eingestehen kann und deshalb zur Grossen Lüge und zur Verschwörungstheorie von Wahlbetrug greift, ist schon tragisch genug. Noch erschreckender ist aber, dass sehr grosse Teile seiner Partei dieses Lügengespinnst und diese Verschwörungstheorie übernehmen.
☛ Höchst bedenklich ist zudem, wenn Politikerinnen und Politiker auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz den Demokratie-Feind Trump trotz all seiner Machenschaften gut finden. Solche Trump-Fans sind demokratiepolitisch zweifelhaft und dürften keine Stimme bekommen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Figuren aus den rechtspopulistischen Parteien AfD, FPÖ und SVP. Die Neigung zu Verschwörungstheorien ist ein gemeinsames Merkmal rechtspopulistischer Parteien. Siehe dazu: Verschwörungstheorien und Populismus
☛ Zum Thema «Verschwörungstheorie & Demokratie» siehe auch in der Enzyklopädie:
Wahlbetrug / Wahlmanipulation als Unterstellung und Verschwörungstheorie
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften?