Der «Truther» und selbsternannte Friedensforscher Daniele Ganser verbreitet seit Jahren russische Propaganda. Dazu gehört die Unterstellung, dass der Volksaufstand auf dem Majdan-Platz und der darauffolgende Sturz des Regimes in der Ukraine durch die USA gesteuert und finanziert wurden. Ganser transportiert damit 1:1 russische Propagandalügen und Verschwörungstheorien, stützt sich auf Gerüchte und Unterstellungen. Belege legt er nicht vor. Viererlei ist dazu festzuhalten:
☛ Die Ukrainerinnen und Ukrainer kommen als handelnde Personen in den Schilderungen Daniele Gansers nicht vor. Sie sind nur gekaufte Marionetten der Amerikaner. Dass sie sich gegen ein durch und durch korruptes, russlandhöriges Regime wehrten und für ihr Land nach mehr Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Russland strebten, bleibt unerwähnt. Die Einseitigkeit von Gansers Darstellung ist atemberaubend.
☛ Details zur Desinformation, die Daniele Ganser zu den Ereignissen auf dem Majdan verbreitet, gibt es hier:
Daniele Ganser zum Ukraine-Krieg
Daniele Ganser: Manipulation durch verzerrte Maidan-Darstellung
☛ Daniele Ganser hat keine spezielle Expertise vorzuweisen bezüglich der Ukraine. Er hat nie zu diesem Thema wissenschaftlich geforscht. Hingegen gibt es viele Osteuropa-Historikerinnen und -Historiker, die sich auf jahrelange Forschung zur Ukraine und zu Russland stützen können. Und es gibt Korrespondentinnen und Korrespondenten, die vor, während und nach der Umsturzzeit vor Ort waren. Ihnen sollte man zuhören. Daniele Ganser hingegen interpretiert die Ereignisse nur aus dem engen Rahmen seines pauschalen Antiamerikanismus.
☛ Die eklatanten innenpolitischen Gründe in Russsland, die zur Dämonisierung des „Maidan-Aufstandes“ durch das Kreml-Regime führen, fallen bei Ganser unter den Tisch. Siehe dazu:
Sowjetunion: Verschwörungstheorien zu ihrem Zusammenbruch
Im Folgenden einige Statements von Kennerinnen und Kennern der Ereignisse:
☛ Osteuropa-Historiker Andreas Kappeler zu den Verschwörungstheorien rund um den «Euro-Majdan»:
Andreas Kappeler ist em. Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien und Mitglied der Österreichischen und der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften. Als einer der ersten Historiker im deutschsprachigen Raum begann er schon in den 1980er Jahren, sich mit der Geschichte der Ukraine zu befassen. Er schreibt:
«Es trifft zu, dass vom Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen in der Ukraine wie in zahlreichen anderen Ländern den Aufbau einer Zivilgesellschaft tatkräftig unterstützten. Der Vorwurf einer zielgerichteten Planung und Durchführung des Euro-Majdan durch die USA und die EU gehört aber ins Reich der Verschwörungstheorien. Der Euro-Majdan war im Kern eine basisdemokratische spontane Massenbewegung gegen eine autoritäre Regierung, die mit dem Zurückziehen der Unterschrift unter den Assoziierungsvertrag ihr Wort gebrochen und mit dem rücksichtslosen Einsatz von Gewalt ihre Legitimität eingebüsst hatte.»
Quelle:
Andreas Kappeler: „Russen und Ukrainer – ungleiche Brüder – vom Mittelalter bis zur Gegenwart“, C. H. Beck Verlag 2017, S. 220.
☛ Journalist und Ukraine-Kenner Steffen Dobbert:
«Es ist falsch, dass die Euromaidan-Revolution eine Inszenierung der USA oder des Westens war. Genauso wie es erfunden ist, dass die Menschen auf dem Maidan Anweisungen von Neonazis oder Rechtsradikalen folgten. Richtig ist: Der Euromaidan war eine ukrainische Volksbewegung, die sich zu einer Revolution entwickelte. Bereits Anfang Dezember 2013 behauptete Wladimir Putin, der Maidan sehe wie ein Pogrom aus. Die Revolution sei von Faschisten durchgeführt worden, log der ukrainische Ex-Präsident Wiktor Janukowytsch nach seiner Flucht aus Kyjiew.
Seitdem hat die russische Propaganda dieses falsche Narrative weltweit tausendfach wiederholt. Tatsächlich beteiligten sich grosse Teile der jüdischen Gemeinden in der Ukraine an den Maidan-Protesten, genauso wie Mitglieder der nationalistischen Swoboda-Partei und Mitglieder linker Parteien. Auf dem Maidan war der Querschnitt der ukrainischen Gesellschaft vertreten. Männer und Frauen unterschiedlichen Alters, verschiedener politischer Einstellung. Während des gesamten Maidans gab es keinen einzigen antisemitischen Vorfall, keine einzige Verfolgung einer Minderheit.
Falsch ist auch, dass die Sicherheit ethnischer Russen in der Ukraine bedroht war und Russland deshalb eine präventive militärische Operation gegen die Ukraine durchführen musste. Richtig ist: Bis zum Beginn der russischen Invasion haben in der Ukraine seit vielen Jahrzehnten ethnische Russen und Ukrainer friedlich miteinander in Familien-, Freundes- und Kollegenkreisen gelebt. Der Kreml konstruierte jedoch diese Lüge, für die eigene Argumentation.»
Quelle:
Steffen Dobbert: „Ukraine verstehen – Geschichte, Politik und Freiheitskampf“, Klett-Cotta 2022, S. 164/165.
Steffen Dobbert studierte im finnischen Vaasa (Diplom-Betriebswirt BA und Master of European Studies M.E.S.). Er ist seit 2007 Autor für ZEIT ONLINE und DIE ZEIT.
Mehr als 50 Recherchereisen führten ihn in verschiedene Teile der Ukraine. Im Jahr 2017 wurde er mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet. Steffen Dobbert kennt also die Ukraine – im Gegensatz zu Daniele Ganser, der seine einseitigen Interpretationen aus der Distanz zusammenbastelt.
☛ Moskau-Korrespondentin Katja Gloger zur Bedeutung des Majdan für die Ukraine
«Der Majdan des Jahres 2014 war vieles: ein Symbol geduldigen zivilen Widerstandes, Brutkasten einer neuen, ukrainischen Identität, Ort einer blutig eskalierenden Machtprobe. Aber der Majdan war kein ‘Staatsstreich’, und es kamen auch keine von den USA finanzierten ‘Ultranationalisten’, gar ‘Faschisten’ an die Macht. Vielmehr zeigten die Menschen auf dem Majdan, und das ist vielleicht ihre grösste Leistung: Geschichte muss nicht Schicksal sein.»
Quelle:
Katja Gloger: „Putins Welt – Das neue Russland, die Ukraine und der Westen“, Berlin Verlag 2015, S. 204.
Katja Gloger beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Russland, studierte Russische Geschichte, Politik und Slawistik in Hamburg und Moskau und ging Anfang der neunziger Jahre als Korrespondentin für das Magazin «Stern» nach Moskau. Sie erlebte dort den Zusammenbruch der Sowjetunion, interviewte Michail Gorbatschow, Boris Jelzin und Wladimir Putin. Seit 2009 arbeitet sie wieder in der Hamburger Redaktion des «Stern» mit den Schwerpunkten Russland, Internationale Politik und Sicherheitspolitik. 2010 bekam sie den Henri-Nannen-Preis, 2014 wurde sie als politische «Journalistin des Jahres» ausgezeichnet.
☛ Russland-Experte und Boris Reitschuster zur russischen Einflussnahme in der Ukraine:
Daniele Ganser schreibt viel über US-amerikanischen Einfluss auf die Ukraine. Einflussnahmen Russlands dagegen werden kleingeredet oder kommen nicht vor.
Der Journalist und Russland-Experte Boris Reitschuster zu den verschiedenen Einflussnahmen im Vorfeld der Maidan-Proteste:
«Seit Sowjetzeiten ist es Tradition in Moskau, hinter Unmut und Demonstrationen gegen die Machthaber nicht etwa Fehler derselben zumindest als mögliche Ursache in Erwägung zu ziehen, sondern immer einen Drahtzieher im Ausland ausfindig zu machen, vorzugsweise in den USA: Ebenso wenig wie die Sowjet-Funktionäre und ihre Führer konnten sich Putins Weggefährten und er selbst eingestehen, dass sie sich mit einer ungeschickten Politik in der Ukraine selbst ins Abseits manövriert hatten, dass sie es waren, die mit ihrer plumpen, massiven Einmischung dem pro-westlichen Kandidaten Juschtschenko erst zum Sieg verholfen hatten. Viel bequemer und viel aufbauender fürs Selbstwertgefühl war da die Verschwörungstheorie, der CIA hätte die Demonstranten allesamt bezahlt und auf die Strasse geschickt. Wie absurd diese Idee ist, wird deutlich, wenn man sie weiterstrickt: Könnte der CIA so einfach Hunderttausende auf die Strasse bringen und Regimes stürzen, so hätte er das in Moskau sicher längst gemacht.
Es ist nicht zu bestreiten, dass die USA auf die Entwicklung in der Ukraine massiv Einfluss genommen haben – wenn auch weitaus weniger aktiv und mit weitaus weniger Geld als Moskau. Washington unterstützte regimekritische Organisationen mit Geld und Knowhow, übte Druck auf die Regierung aus, die Proteste nicht mit Gewalt niederzuschlagen, unterstützte die ‘Revolutionäre’. Unbestätigten westlichen Berichten zufolge sollen über diverse Kanäle 65 Millionen US-Dollar zur Unterstützung der Revolution aus Amerika geflossen sein. Verschwörungstheoretiker führen die kolportiert Summe oft als Beleg dafür an, dass die USA die orange Revolution finanziert und organisiert haben. Das ist absurd, wären doch die 65 Millionen aus den USA, sollten sie tatsächlich geflossen sein, nur ein Klacks im Vergleich zu den Mitteln, die aus Moskau kamen: Allen die als ‘Wahlgeschenk’ für Kutschma und Janukowitsch kurz vor dem Urnengang beschlossenen Energiepreis-Senkungen durch den Kreml hatten einen Gegenwert von rund 800 Millionen US-Dollar.»
Quelle:
Boris Reitschuster: „Putins verdeckter Krieg – wie Moskau den Westen destabilisiert“, Econ Verlag 2016, S. 50/51.
Boris Reitschuster leitete als Journalist und Russland-Experte von 1999 bis 2015 das Moskauer Büro des Magazins «Focus». Er lebt heute wieder in Deutschland, bewegt sich inzwischen in der «Querdenker»-Szene und hat dort mit seiner russlandkritischen Sicht eine ungewöhnliche Position. Siehe dazu: Boris Reitschuster und der Ukraine-Krieg.
☛ Osteuropa-Historikerin Gwendolyn Sasse mit einer präzisen Analyse der «Farbrevolutionen»:
Im Gegensatz zu Daniele Ganser, der auch zu den Majdan-Protesten nur seine einseitigen antiamerikanischen Feindbilder abspult, bietet Gwendolyn Sasse eine kompakte, präzise Analyse der Wirkungen ausländischer Einflüsse.
«In Russland wurden die Farbrevolutionen, darunter auch die Orangene Revolution, als vom Westen, vor allem den USA, gesteuerte Umsturzversuche wahrgenommen. Auch in der westlichen Berichterstattung und Debatte ist die Balance zwischen internen und externen Akteuren kontrovers diskutiert worden. Die Tatsache, dass Demokratieförderung von aussen über einen langen Zeitraum erfolgte, die Massenproteste aber nur zu bestimmten Zeitpunkten stattfanden, hebt die Bedeutung interner gesellschaftlicher und politischer Dynamiken hervor, die letztendlich den Unterschied ausmachten. Die vergleichende Analyse der Farbrevolutionen zeigt, dass sie interne bzw. regionale Voraussetzungen benötigen, um ihre Wirkung zu entfalten. Demokratieförderung – bzw. Autoritarismusförderung – ist daher als eine Art Verstärker unter den richtigen innenpolitischen Bedingungen zu verstehen. Sowohl Oppositionskandidat Wiktor Juschtschenko als auch Kutschma-Favorit Janukowitsch erhielten 2004 finanzielle Unterstützung aus dem Ausland., der eine aus dem Westen, der andere aus Russland.»
Quelle:
Gwendolyn Sasse: „Der Krieg gegen die Ukraine – Hintergründe, Ereignisse, Folgen“, C.H.Beck Verlag 2022, S. 50.
Gwendolyn Sasse ist Politikwissenschaftlerin und Slawistin, Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) und Einstein-Professorin für Vergleichende Demokratie- und Autoritarismusforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Gwendolyne Sasse illustriert in diesem Zitat, was eine historisch fundierte Analyse der Farbenrevolutionen ausmacht. Sie geht von internen und externen Faktoren aufs. Als interner Faktore ist zum Beispiel das Engagement vieler Ukrainerinnen und Ukrainern für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und gegen Korruption und Abhängigkeit von Russland zu werten. Bei den äusseren Faktoren erwähnt Sasse sowohl die westliche als auch die russische Einflussnahme. Daniele Ganser dagegen reduziert die ganze Geschichte auf eine Intervention der USA. Siehe dazu: Komplexitätsreduktion durch Verschwörungstheorien
Die Wünsche der Ukrainerinnen und Ukrainer und auch die russischen Druck- und Erpressungsversuche lässt Daniele Ganser immer wieder unter den Tisch fallen. So geht Manipulation.
Gwendolyn Sasse bringt auch einen wichtigen externen Faktor ausführlicher auf den Punkt: Die Gefahr, die für den Machterhalt des Kreml-Regimes von einer demokratischen, sich entwickelnden, westlich orientierten Ukraine ausgeht.
Sasse schreibt:
«Eine demokratische, in westliche Institutionen integrierte Ukraine stellt für das autoritäre Russland unter Präsident Wladimir Putin eine Gefahr dar. Zum einen unterläuft die Ukraine den regionalen – und indirekt auch den globalen – Machtanspruch Russlands, der eine wichtige Legitimationsgrundlage des autoritären Systems ist. Zum anderen könnte dieses Modell der Ukraine auch für die russische Gesellschaft oder die Eliten zu einem Kristallisationspunkt der Hoffnung und Erwartungen werden, die das existierende russische Staatsmodell von innen in Frage stellen. Es geht im Kern um Russlands autoritären Systemerhalt samt seiner neo-imperialen Machtprojektion. Die Bereitschaft, für diesen Systemerhalt Krieg zu führen, unterstreicht das Ausmass und die Dringlichkeit der Gefahr, die von der Ukraine für Russland ausging. Dies ist der Kontext, in dem Putin als Schlüsselakteur in einem jeweils als opportun wahrgenommenen Zeitfenster zuerst den Befehl zur Annexion der Krim, dann zum Krieg im Donbas und schliesslich zum Frontalangriff auf die gesamte Ukraine gab.»
☛ Moskau-Korrespondentin Golineh Atai – die Augenzeugin auf dem Majdan:
Golineh Atai schreibt:
«Russische Staatsmedien verzerren die Demonstrationen in ein groteskes Bild: vom Westen finanzierte Hooligans würden Chaos in der Ukraine säen. Moderator Dimitrij Kisseljow beschuldigt westliche Regierungen, die Proteste in der Ukraine angezettelt zu haben. Die Demonstranten seien eine Minderheit, die das ganze Land in Geiselhaft hielten.»
Golineh Atai war bei den Maidan-Protesten vor Ort. Was sie dort gesehen hat, beschreibt sie so:
«Wenn ich heute an die Triebkräfte des Maidan zurückdenke, dann erinnere ich mich vor allem an die ethnische und kulturelle Vielfalt der Bewegung und den hohen Wert von Selbstbestimmung und Solidarität. Christen, Atheisten, Juden, Muslime, Kleinunternehmer aus der Provinz und urbane IT-Entwickler, Bürger mit georgischen, polnischen, weissrussischen, armenischen oder afghanischen Eltern, ukrainische Veteranen aus dem sowjetischen Afghanistan-Krieg, ja selbst neugierige Russen aus Moskau oder ethnischen Russen aus der Ostukraine – sie alle waren dort.»
Quelle:
Golineh Atai: «Die Wahrheit ist der Feind – Warum Russland so anders ist», Rowohlt Verlag 2019, S.78/79.
Golineh Atai studierte an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg Romanistik, Politologie sowie Iranistik und wurde danach Journalistin. Von 2013 bis 2018 war sie als ARD-Korrespondentin in Moskau. Während des Euromaidan in der Ukraine berichtete Golineh Atai aus Kiew.
Golineh Atai beschreibt zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen auf den Maidan. Seinen Äusserungen nach zu schliessen steht Daniele Ganser auf der Seite von Kisseljow, Putin & Co. Der Majdan, wie ihn Golineh Atai gesehen hat, die vielfältige, engagierte Zivilgesellschaft, kommt bei Ganser nicht vor.
☛ Der Osteuropa-Historiker Timothy Snyder zu den Protesten in der Ukraine:
«Die extreme Rechte in Europa und Amerika verbreitete auch die offizielle russische Behauptung, dass die ukrainischen Proteste auf dem Maidan das Werk des Westens seien. Der polnische Faschist Mateusz Piskorski behauptete, die ukrainischen Proteste seien von ‘der US-Botschaft’ ins Werk gesetzt worden. Heinz-Christian Strache, der Vorsitzende der Freiheitlichen Partei in Österreich, macht die westlichen Geheimdienste verantwortlich. Márton Gyöngyös von der ungarischen Jobbik-Partei, den die russische Presse selbst noch in den Jahren, bevor Antisemiten und Neonazis RT-Kommentatoren wurden, als Antisemiten und Neonazi bezeichnet hatte, erklärte, die Proteste auf dem Maidan würden von amerikanischen Diplomaten organisiert. Der deutsche Neonazi Manuel Ochsenreiter meinte, die ukrainische Revolution sei ‘vom Westen durchgesetzt’ worden. Keine dieser Personen legte für die eigenen Thesen irgendwelche Beweise vor.»
Quelle:
Timothy Snyder: «Der Weg in die Unfreiheit – Russland, Europa, Amerika», C.H. Beck Verlag 2018, S. 220.
Timothy Snyder ist Professor für Geschichte an der Yale-University und ein renommierter Osteuropa-Historiker. Er hat unter anderem den Hannah-Arendt-Preis und den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung bekommen.
Daniele Ganser verbreitet genauso wie die extreme Rechte die offizielle russische Behauptung, dass die ukrainischen Proteste auf dem Maidan das Werk des Westens seien. Was folgt daraus?
Daniele Ganser äussert sich nicht rechtsextrem. Er teilt allerdings an vielen Punkten ihre Ansichten – wie hier zur Ukraine. Er füttert Rechtsextreme mit Verschwörungstheorien und schliesst damit an diese Szene an, wie zum Beispiel mit Äusserungen, die das Reichsbürger-Milieu bedienen. Siehe dazu: Reichsbürger-Unsinn: Daniele Gansers Behauptung, Deutschland sei ein besetztes Land. Ganser ist ein Brückenbauer zur rechtsextremen Szene.
☛ Die Investigativ-Journalistin Catherine Belton zur Paranoia des Kremls bezüglich der Ukraine:
«Ohne jemals Beweise vorzulegen, stürzten sich russische Regierungsvertreter und die staatlichen Medien in eine nie dagewesene Propagandakampagne, in der sie behaupteten, die USA stünden hinter den Protesten gegen die Janukowitsch-Regierung. ‘Neonazis’ hätten die Proteste angeführt, erklärten sie – trotz der Tatsache, dass es sich bei der grossen Mehrheit der Demonstranten um dieselben westlich orientierten, gebildeten Ukrainer handelte, die schon 2004 an der Spitze der Orangen Revolution gestanden hatten. Ein Grossteil der ukrainischen Elite war der Korruption, die Janukowitschs Regierung geprägt hatte, überdrüssig. Den Russen zufolge waren es Neonazis, ‘bewaffnete Kämpfer’, die die ersten Schüsse an jenem schicksalshaften Tag im Februar abgegeben hatten, an dem über siebzig Menschen auf dem Maidan starben.
Die Tatsache, dass Mitglieder der Berkut, einer Einheit der ukrainischen Sicherheitskräfte, die die Barrikaden besetzt hatten, grösstenteils nach Russland oder in von Russland kontrollierte Regionen der Ukraine geflohen waren, wurde nicht erwähnt. Ihre Waffen wurden später auf dem Grund eines Sees gefunden. Die Berkut war bekannt dafür, von russischen Agenten unterwandert worden zu sein, besonders während der Amtszeit Janukowitschs…..
Als Janukowitsch zwei Tage nach den tödlichen Schüssen floh, lag das, wieder der russischen Propaganda zufolge, an dem von den USA unterstützten Staatsstreich und hatte nichts damit zu tun, dass sein eigener Personenschutz ihn im Stich gelassen hatte…..
Die Rhetorik und die staatliche Propaganda, von der die Militäraktion begleitet wurde, schienen die tiefe Paranoia zu reflektieren, die Putin und seine Leute seit der Orangen Revolution 2004 – oder eigentlich bereits seit Putin von der Veranda seiner Dresdner Villa am Elbufer Zeuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion wurde – zu plagen schien. Putin und seine Männer glaubten an eine Verschwörung des Westens, die darauf abzielte, Russlands Macht zu untergraben. Andererseits wirkten ebendiese Rhetorik und Propaganda wie blosse Täuschungsmanöver, um die Handlungen des Kreml zu rechtfertigen.»
Quelle:
Catherine Belton: «Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste», HarperCollins Verlag 2022, S. 468/469.
Catherine Belton ist eine britische Investigativ-Journalistin, die sich auf Russland spezialisiert hat. Sie berichtete von 2007 bis 2013 für die Financial Times aus Moskau und arbeitet heute für die Nachrichtenagentur Reuters. Die Originalausgabe ihres Buches erschien 2020 unter dem Titel «Putin’s People» und wurde von «The Economist, der «Financial Times», «The New Statesman» und «The Telegraph» zum Buch des Jahres gekürt.
Zur Propagandalüge und Verschwörungstheorie vom «Naziregime» in der Ukraine:
Die «Entnazifizierung der Ukraine» als russische Verschwörungstheorie
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Die Positionen Daniele Gansers zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nimmt der YouTube-Kanal „Verschwörung & Fakten“ gekonnt unter die Lupe:
Ganser & Krone-Schmalz zur Ukraine. Manipulation und Fakten. Was taugen die Vorträge? Kritik, Teil 1:
Ganser & Krone-Schmalz zur Ukraine. Rolle der USA. Was taugen die Vorträge? Kritik, Teil 2:
Die historischen Hintergründe der Maidan-Proteste und die damit verbundenen Narrative der Kreml-Propaganda, die auch von Daniele Ganser verbreitet werden, fasst der YouTube-Kanal „Zeidgenosse“ fundiert und treffend zusammen: