Der Publizist Daniele Ganser ist zwar Historiker, stellt geschichtliche Ereignisse, jedoch sehr einseitige dar, basierend auf einem pauschalen Antiamerikanismus und den daraus entstehenden Feindbildern. Ganser unterstellt Medien, Politik und Wissenschaft gerne Manipulation, praktiziert diese aber durch selektive Darstellung laufend selbst.
Die Schlagseite in den Ganser-Texten kommt unter anderem daher, dass der Autor Quellen einseitig darstellt und entscheidende Elemente weglässt, die seine Thesen infrage stellen würden. Das lässt sich beispielsweise zeigen an Gansers Darstellung der Protestbewegung auf dem «Maidan» in Kiew (Ukraine). An diesem Beispiel lässt sich zeigen, wie Manipulation funktioniert, denn viele Anhängerinnen und Anhänger Gansers übernehmen seine hoch schlagseitige Darstellung ohne sie zu hinterfragen.
Die Protestbewegung auf dem «Maidan» (Platz der Unabhängigkeit) zwischen November 2013 und Februar 2014 in Kiew (Ukraine) führte zur Flucht des vom Kreml gestützten Präsidenten Wiktor Janukowytsch nach Russland. Auslöser dieser in der Ukraine rückblickend Revolution der Würde und Euromaidan genannten Proteste war die überraschende Erklärung der ukrainischen Regierung, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union vorerst nicht unterzeichnen zu wollen.
Daniele Ganser bezeichnet diese Ereignisse rund um dem «Maidan» als Putsch, der vom Westen inszeniert und finanziert worden sei. Insbesondere macht er Obama dafür verantwortlich und schiebt diesem damit auch ausdrücklich die Verantwortung zu für den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
Siehe dazu: Daniele Ganser zum Ukraine-Krieg
Quellen prüfen
Die Begründungen, die Daniele Ganser für seine Behauptungen zum «Maidan» liefert, sind ausgesprochen fragwürdig und verzerrt. Es ist nicht nur in diesem Fall wichtig, Gansers Quellen kritisch unter die Lupe zu nehmen.
Ein Beispiel:
In seinem Buch «Illegale Kriege» (2016) schreibt Ganser auf Seite 257:
«Der Regime Change war erfolgreich: Janukowytsch wurde gestürzt und floh nach Russland.
Doch wer steckte wirklich hinter dem Putsch? “Wer geschossen hat. Kann man nicht sagen, ich weiss es auch nicht”, erklärte Ina Kirsch, die am 20. Februar in Kiew gewesen war und zuvor als Direktorin des European Centre for a Modern Ukraine amtierte. “Aber es muss jemand gewesen sein, der ein klares Interesse an einer Eskalation hatte. Also nicht Janukowytsch, der sich ja nicht selbst stürzen wollte.”
Viele der Demonstranten waren bezahlt, so Kirsch. “Es gibt Leute wie den US-Milliardär Georges Soros, die Revolutionen finanzieren. Soros hat auch den Maidan unterstützt, hat dort Leute bezahlt – die haben in zwei Wochen auf dem Maidan mehr verdient als während vier Arbeitswochen in der Westukraine”, so Kirsch. Auch auf der Gegenveranstaltung, dem Anti-Maidan, seien Leute bezahlt worden. “Es gab Preise für jede Leistung. Ich kenne Leute, die haben morgens auf dem Anti-Maidan bei der Gegendemo abkassiert, sind dann rüber auf den Maidan und haben dort nochmals kassiert. Das ist in der Ukraine ja nichts Ungewöhnliches.”»
Als Quellenangabe für diese Passage verweist Daniele Ganser auf ein Interview mit Ina Kirsch in der «Wiener Zeitung» vom 19. Februar 2015. Interessant in Bezug auf Manipulation ist nun, was Frau Kirsch dort genau gesagt hat und was Daniele Ganser weglässt. Hier dazu Originaltext:
Gerhard Lechner stellt für die «Wiener Zeitung» folgende Frage:
«Wenn es nicht Janukowitsch war, wer war es dann? Russland, die ukrainische Opposition, die USA? Im Internet kursieren seit einiger Zeit Gerüchte, der Westen hätte bei dem Machtwechsel seine Hände im Spiel gehabt.»
Antwort Ina Kirsch:
«Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Das war nicht der Fall. Es gibt allerdings Leute wie den US-Milliardär George Soros, die Revolutionen finanzieren. Soros hat auch den Maidan unterstützt, hat dort Leute bezahlt – die haben in zwei Wochen auf dem Maidan mehr verdient als während vier Arbeitswochen in der Westukraine. Was allerdings nicht heißt, dass der Maidan als Ganzer gekauft war, die Empörung nach der Nichtunterzeichnung des Assoziierungsabkommens war natürlich echt. Aber man soll sich da nichts vormachen: Es gibt genügend Belege dafür, dass sowohl auf dem Maidan als auch auf der Gegenveranstaltung, dem „Antimaidan“, Leute bezahlt wurden. Es gab Preise für jede Leistung. Ich kenne Leute, die haben morgens auf dem Antimaidan bei der Gegendemo abkassiert, sind dann rüber auf den Maidan und haben dort nochmals kassiert. Das ist in der Ukraine ja nichts Ungewöhnliches. Die pittoresken alten Frauen, die immer für Julia Timoschenko demonstriert haben, hatte man ja auch erst kurz vor der Demonstration an einem Treffpunkt eingesammelt, ausstaffiert und losgeschickt. Jedenfalls: Es wurde, wie es aussieht, eine Revolution wie aus dem Bilderbuch gemacht. Und eine echte Revolution gibt es, wie Maidan-Aktivist Mustafa Najem sagte, nur mit Blut.»
Frau Kirsch hat hier zwei Aussagen gemacht, die Daniele Ganser bezeichnenderweise weglässt:
- Sie sagt, sie halte es «für ausgeschlossen», dass der Westen bei dem Machtwechsel seine Hände im Spiel gehabt hat.
- Sie sagt: «Was allerdings nicht heißt, dass der Maidan als Ganzer gekauft war, die Empörung nach der Nichtunterzeichnung des Assoziierungsabkommens war natürlich echt.»
Diese zwei Punkte widersprechen der Position von Ganser, dass der «Putsch» vom «Westen» inszeniert und finanziert wurde. Ganser stellt hier seine Quelle verzerrt da, wohl weil diese Aussagen seine Position in Frage stellen würde.
Manipulation durch einseitige Darstellung
Darüber hinaus stellen sich zwei Fragen:
- Wer ist Ina Kirsch?
- Worum handelt es sich beim «European Centre for a Modern Ukraine» (ECMU)?
«Zentrum für eine Moderne Ukraine» – das tönt nach einer etablierten, seriösen Organisation. Das Online-Magazin «Ukraine Nachrichten» hat dazu recherchiert.
Das ECMU wurde 2012 in Brüssel gegründet, wobei Ina Kirsch als Mitbegründerin wirkte und danach Direktorin der selbst mitgegründeten Organisation wurde. Die Leitungsebene der Organisation wurde von Mitgliedern der «Partei der Regionen» dominiert. Das ist die Partei des von Russland abhängigen und zutiefst korrupten Präsidenten Wiktor Janukowitsch, der durch den Euromaidan zur Abdankung gebracht wurde. Laut der ergänzenden Anklageschrift vom 23. Februar 2018 gegen Paul Manafort von Special Counsel Robert Mueller unterstand das ECMU dem Ersten Vizepremierminister der Ukraine (Quelle: Wikipedia).
Die «Ukraine Nachrichten» bezeichnen das ECMU als «eines der Instrumente zur Rehabilitierung Janukowytschs in Europa».
Nicht überraschend nimmt Ina Kirsch im Interview Janukowitsch sehr vorschnell aus der Verantwortung für die Schüsse auf dem Maidan. Das ECMU wurde schon 2016 wieder aufgelöst.
Ina Kirsch ist also keineswegs eine neutrale Kommentatorin der Ereignisse, sondern steht der Seite der damals herrschenden Regierung nahe. Daniele Ganser lässt seine Leserinnen und Leser über diese eindeutige Positionierung seiner Kommentatorin im Dunkeln. Er schränkt damit die Möglichkeiten ein, die Kommentare einzuordnen.
Die Aussagen von Kirsch zu Geld, das auf dem Maidan geflossen sei, sind im Übrigen sehr nebulös. George Soros hat nicht einfach «Revolutionen» finanziert. Seine Stiftung unterstützt seit dem Zusammenbruch des Ostblocks in Osteuropa zum Aufbau demokratischer Strukturen. Ulrich Schmid, Professor für russische Kultur und Gesellschaft an der Universität St. Gallen, sagt dazu gegenüber SRF:
«Es war zwar tatsächlich so, dass viele amerikanisch NGOs Geld gegeben haben, um die zivile Gesellschaft nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder aufzubauen. Aber davon zu sprechen, dass die Ereignisse auf dem Maidan ein von Amerika orchestrierter Putsch gewesen sei, das ist falsch.»
Die Formulierungen von Kirsch und Ganser erwecken den Eindruck, dass die Demonstrierenden auf dem Maidan direkt Geld von Soros bekommen haben und damit gekauft waren. Das ist eine infame Unterstellung und zugleich Basis für Manipulation.
Daniele Gansers Quellen sollten immer genau überprüft werden.
Quellen:
UKRAINE-KRISE: „Offene Fragen zu Ereignissen auf dem Maidan“ (Wiener Zeitung)
Das Brüsseler Geheimnis der Partei der Regionen (Ukraine Nachrichten)
Beitrag zum «European Centre for a Modern Ukraine» auf Wikipedia (englisch)
Ausserdem zum Thema Manipulation:
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Beitrag zu Daniele Ganser in der Enzyklopädie
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