Das Gesundheitssystem des Landes ist vollkommen überfordert. Die Bevölkerung in Pakistan glaubt lieber Gerüchten und Verschwörungstheorien als den Ärzten.
Das Land steht einer doppelten Herausforderung gegenüber.
Erstens setzt das Coronavirus den 212 Millionen Pakistanern und Pakistanerinnen zu. 257 900 Covid-19-Fälle sind bisher in Pakistan diagnostiziert worden. 5426 Covid-17-Tote wurden registriert. Die Dunkelziffer dürfte jedoch hoch sein. Private Ärzte und Spitäler, die rund drei Viertel der Gesundheitsversorgung im Land stellen, haben sich beschwert, dass die Resultate der bei ihnen absolvierten Covid-19-Tests nicht in die offizielle Statistik einflössen. Sowohl das staatliche als auch das private Gesundheitssystem ist seit Beginn der Krise heillos überlastet. Experten kritisieren unter dem Deckmantel der Anonymität, dass der Staat beim Krisenmanagement kläglich versagt.
Zweitens kämpft Pakistan neben der Covid-Pandemie mit einem beinahe ebenso hartnäckigen Feind: der Ignoranz seiner Bevölkerung. Die glaubt zum grossen Teil an die zahlreiche rund ums Virus kursierenden Gerüchte.
Ignoranz und generalisertes Misstrauen erschweren Pandemie-Bekämpfung – nicht nur in Pakistan
Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos ergab, dass nur 3 Prozent der Pakistaner adäquate Informationen darüber haben, wie sich das Coronavirus verbreitet und welche Methoden es zur Vorbeugung und Behandlung von Covid-19 gibt. Zwar versucht die Regierung nach Kräften, mit Aufklärungskampagnen Fachwissen unter die Bevölkerung zu bringen. Doch gegen die Gerüchte und Verschwörungstheorien scheint sie machtlos.
So behauptet etwa Tariq Jameel, Pakistans berühmtester Fernsehgeistlicher, das Coronavirus sei eine Strafe Allahs dafür, dass die Frauen Pakistans zu liederlich seien. Andere Kreise beschuldigen den Westen, das Coronavirus entwickelt zu haben: Elitäre Westler wollen demnach mit der Pandemie die Bevölkerung in den armen Ländern dezimieren.
Pakistans Medizinern, die gegen Covid-19 kämpfen, machen solche Gerüchte und Verschwörungstheorien das Leben schwer. In den Dörfern verheimlichen die Menschen die Infektionen. Weil die Leute nicht recht wissen, was es mit Corona auf sich hat, wird es als Stigma wahrgenommen. Angesichts der Heimlichtuerei ist es beinahe unmöglich, ordentliche Statistiken zu führen und einen Überblick über die Pandemie zu behalten. Weil Kranke versteckt statt isoliert werden, breitet sich das Coronavirus immer weiter aus.
Dass zahlreiche Pakistaner in Sachen Corona-Pandemie lieber Verschwörungstheorien als den eigenen Ärzten glauben, hängt einerseits damit zusammen, dass die meisten Pakistaner der Obrigkeit im Land tiefes Misstrauen entgegenbringen. Andererseits erzwingt das Coronavirus den Bruch zahlreicher Traditionen und fördert so Ängste.
Covid-19 kollidert mit Traditionen
In Pakistan umsorgen die Angehörigen ihre Verwandten im Krankenhaus üblicherweise, bringen ihnen Essen und pflegen sie. Bei Covid-19-Patienten ist das aber untersagt. Deshalb kommt es vor den Schleusen zur Isolierstation regelmässig zu tumultartigen Szenen und zu wilden Gerüchten.
Mohammad Zahid, Covid-19-Beauftragter des Qazi-Hussain-Ahmad-Spitals in Nowshera: «Wir werden bedroht, die Leute glauben wirklich, wir würden ihre Angehörigen hier totspritzen.» Die Spitalverwaltung habe sich angesichts der aufgeheizten Stimmung das Team von normalerweise acht Sicherheitsleuten auf achtzig Bewaffnete aufstocken müssen. Er hätte sich nie träumen lassen, dass er als Arzt Polizeischutz brauchen würde, sagt Zahid.
Auch kommen zu Beerdigungen in Pakistan normalerweise Hunderte Menschen, um Abschied zu nehmen. Covid-19 stellt auch diese Tradition in Frage.
Quelle:
Pakistan kämpft nicht nur gegen das Coronavirus, sondern auch gegen die Ignoranz der eigenen Bevölkerung (Artikel von Ulrike Putz, NZZ)
Der Artikel zeigt gut, dass sowohl die Bekämpfung der Corona-Pandemie als auch die Bekämpfung der damit einhergehenden Verschwörungstheorien globale Herausforderungen sind. Ignoranz und Verschwörungstheorien rund um Covid-19 kommen überall vor, auch bei uns.
Darüber hinaus illustriert der Artikel auch, dass Misstrauen gegen die «Obrigkeit» die Bekämpfung der Pandemie enorm erschwert.
In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung zwischen toxischem Misstrauen und gesundem Misstrauen wichtig. Siehe dazu:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen