Bei jedem einschneidenden und bedrohlichen Ereignis entstehen quasi in Echtzeit neue Verschwörungstheorien und alte werden rezykliert. Und über die sozialen Medien verbreiten sie sich viel rascher als früher.
Alt ist zum Beispiel der Verschwörungsglaube, dass Corona von gierigen Pharmakonzernen vorsätzlich in Umlauf gebracht wurde, um mit längst entwickelten und patentierten Impfstoffen Milliarden zu verdienen. Diese populäre Theorie wird praktisch zu jeder Seuche der jüngeren Geschichte in Umlauf gebracht.
Vergleichsweise neuer und «innovativer» ist die Verschwörungstheorie des «Geistheilers» Ali Erhan. Der zum spirituellen Wesen umgeschulter Maschinenbauer, verbreitet die Behauptung, die Menschen in der chinesischen Stadt Wuhan seien nicht dem Coronavirus, sondern der Mikrowellenstrahlung von 30 000 5G-Funkmasten zum Opfer gefallen. Da die Pandemie inzwischen auch in vielen Gegenden auftritt, in denen es keine 5G-Funkmasten gibt, müsste inzwischen auch Ali Erhan gemerkt haben, dass an seiner Behauptung nichts drn ist. Aber Verschwörungstheoretiker finden immer eine Ausrede, um sich Fakten zu entziehen.
Weshalb gehen mit der Corona-Pandemie massenhaft Verschwörungstheorien einher? Weil unser Gehirn andauernd nach Vertrautem, nach Mustern und nach Gründen sucht – auch dort, wo sie noch offensichtlich oder nicht vorhanden sind.
Zufälle überfordern nicht selten unser Gehirn. Es hat Mühe damit, banale Ursachen für gewaltige Folgen zu akzeptieren.
Corona-Pandemie mach Verschwörungsmentalitäten sichtbar
Neben mehr oder weniger konkreten Verschwörungstheorien, die meistens einen bestimmten Feind markieren, kommt rund um diese Corona-Pandemie aber auch oft eine diffusere Verschwörungsmentalität zum Vorschein. Menschen mit einer Verschwörungsmentalität gehen von einer Grundhaltung aus, dass verborgene Mächte die Welt beherrschen. Sie glauben oft an mehrere Verschwörungstheorien, die sich auch widersprechen können.
Die Regionalzeitung «Brettener Nachrichten» hat sich auf der Strasse mit Leuten über die Corona-Pandemie unterhalten. Dabei zeigten sich schöne Beispiele für Verschworungsmentalität:
«Gabi Lutz will auch nicht recht an eine große Gefahr glauben und hat ihren Urlaub in Ischia noch nicht storniert. „Es ist doch die Frage, ob das nicht vielleicht ein Ablenkungsmanöver ist. Vielleicht ist im Hintergrund etwas im Gange, vielleicht hat es mit der Strahlung von 5 G zu tun oder mit einer neuen Finanzkrise?“ Sie zuckt ob solcher Verschwörungstheorien allerdings selbst mit den Schultern.
Ihre Begleiterin hat Ähnliches beizutragen: „Vor einigen Monaten hieß es, man soll Vorräte kaufen. Nie zuvor war das ein Thema und jetzt kommt plötzlich dieses Virus?“ Auch Karin Bechstein ist sich nicht sicher, „ob da alles mit rechten Dingen zugeht“.»
Quellen:
Verschwörungstheorien und Vernunft beim Stadtbummel in Bruchsal und Bretten (Brettener Nachrichten)
Krude Denkmodelle: Verschwörungstheorien rund um das Coronavirus (Frankfurter Rundschau)
Anstatt in Verschwörungstheorien und Verschwörungsmentalität abzudriften, könnte die Corona-Pandemie Anlass dafür sein, Fakten und Expertenwissen wieder vermehrt zu schätzen. Auch wäre es wichtig, genauer zwischen toxischen Misstrauen und gesunden Misstrauen zu unterscheiden.
Siehe dazu:
Über toxische Zweifel und toxisches Misstrauen