Neue Ereignisse bringen laufend neue Verschwörungstheorien hervor. Es gibt aber auch «Oldies», die immer wieder in ähnlicher Form rezykliert werden. Darüber berichtet die «Tiroler Tageszeitung». Der Politikwissenschaftler Josef Holnburger an der Uni Hamburg beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema. Der sagt dazu:
„Alle möglichen Verschwörungstheorien, die vorher schon herumgeisterten, bekommen in der Corona-Pandemie einen neuen Anstrich.“
Beispielsweise blüht die seit Jahren unter dem Stichwort „Pizzagate“ herumgebotene Geschichte wieder auf, nach der im Keller einer Pizzeria in Washington Kinder als Sklaven gehalten werden.
Die Clintons hätten dabei ihre Finger im Spiel, aber auch Hollywood-Stars und Bankiers. Im Kern geht es bei dieser Verschwörungstheorie darum, dass ein Geheimbund im Hintergrund die Fäden in der Hand hält, der sogenannte „Deep State“.
„Die bisher eigentlich US-spezifische Popularität dieses Komplexes fasst auch in Deutschland Fuß“, erklärt dazu der Kommunikationswissenschaftler Tim Schatto-Eckrodt. Er untersucht Verschwörungstheorien und promoviert dazu an der Uni Münster.
Um Ostern herum wurde zum Beispiel behauptet, während der Corona-Quarantäne würden die Kinder in einer geheimen Rettungsaktion aus den unterirdischen Höhlen befreit – auch in Deutschland. Dort seien sie sexuell ausgebeutet und zur Gewinnung eines Verjüngungsserum benutzt worden, dem „Adrenochrom“. In diesen neueren Verschwörungskonstrukt spiegelt sich klar erkennbar die Jahrhunderte alte antisemitische Lüge vom Kinderblut trinkenden Juden.
Holnburger weist darauf hin, dass in dieser Geschichte ein vermeintlicher Gegner grotesk überzeichnet wird:
„Da reicht es nicht mehr, dass eine gewisse Elite angeblich nur Geld verdient. Nein, sie steckt auch Kinder in den Folterkeller.“
Hinter diesen Behauptungen steht die sogenannte „QAnon“-Bewegung aus den USA, die in den dunklen Ecken des Netzes mit anonymer Stimmungsmache ihr Gift verteilt.
Promis helfen bei Verbreitung dieses Gifts
Leider leisten Prominente wie Xavier Naidoo bei der Verbreitung dieser absurden Verdächtigungen einen wesentlichen Beitrag. Dem Sänger Naidoo kommen in einem Selfie-Video als Reaktion auf die angebliche Befreiung der Kinder die Tränen. “Pizzagate“ sei ihm seit Anfang an bewusst, sagt er jüngst in einem Interview. Seit Jahren verbreitet der Musiker immer wieder absurde Verschwörungstheorien.
Politikwissenschaftler Holnburger hält es für gefährlich, wenn Prominente derartige Ideen verbreiten. Abstruses erhalte dann ein größeres und auch jüngeres Publikum.
Darauf weist auch Schatto-Eckrodt hin:
„Prominente erzeugen Reichweite, zudem haben sie unter ihren Fans eine gewisse Autorität.“
Dass komplexe Lügengeschichten florieren, ist charakteristisch für Krisenzeiten:
„Verschwörungstheoretiker sind gut darin, eine einfache Alternative zur unverständlichen Realität zu bieten, um vermeintlich Klarheit zu schaffen“, sagt Schatto-Eckrodt.
Ihr Gedankensystem gebe auf alle Fragen eine Antwort. Das Chaos bekommt so Struktur und dadurch wird eine Illusion von Kontrolle gefördert. Quarantänemaßnahmen werden dann nicht mit einem Virus begründet, sondern zum Beispiel mit Staatsterror erklärt.
Logik und Widersprüche sind unwichtig
Derart krudes Denken zeigt sich auch in Bezug auf die deutsche Politik.
Als sich Angela Merkel wegen der Gefahr einer Sars-CoV-2-Ansteckung in Isolation begab, behaupteten Verschwörungstheoretiker im Netz, in Wahrheit sei die Kanzlerin verhaftet worden – wegen ihrer Beteiligung am „Pizzagate“.
Donald Trump hingegen, die Heldenfigur der „QAnon»-Bewegung, nutze angeblich die Quarantäne der Kanzlerin, um die Kinder aus den Fängen der Schänder zu befreien. Die ganzen Konstrukte sind unbelegt, falsch und schlichtweg gelogen.
Spätestens als Merkel wieder öffentliche Auftritte hat, müsste das allen klar sein. Doch die Behauptungen und Voraussagen der «QAnon» sind schon oft nicht eingetroffen. Für die Anhängerinnen und Anhänger spielt das offensichtlich keine Rolle:
«Man kann einzelne Aussagen widerlegen, das ganze Konstrukt aber bleibt bestehen“, erklärt Schatto-Eckrodt.
Bei Verschwörungstheorien gehe es nicht um einzelne Behauptungen, sondern darum, dass etwas Geheimes geschehe. Damit wird Misstrauen gesät in Wissenschaft, Behörden, Politik und Presse.
In Verschwörungstheorien sind nicht selten auch offensichtliche Widersprüche enthalten. So wird zum Beispiel über das Coronavirus erzählt, es sei nicht bedrohlicher sei als eine saisonale Grippe, zugleich soll es jedoch künstlich als Bio-Waffe entwickelt worden sein.
Warum Verschwörungstheorien gefährlich sind
Was ist so schlimm daran, wenn manche Menschen derartigen Blödsinn glauben oder ihn sich einreden lassen? In der Regel stehen hinter solchen Verschwörungstheorien bösartige Ideologien. Und dabei geht es dann um ein Spiel mit der Angst.
Wenn Anhängerinnen und Anhängern eingeredet wird, dass ihr eigenes Leben massiv bedroht ist. Oder wenn ohne die geringsten Beleg behauptet wird, dass eine bestimmte Gruppe Kinder foltert und missbraucht. Dann greifen Menschen im schlimmsten Fall zur Waffe und töten Arglose, die sie in ihrem Wahn als Schuldige sehen.
Für Holnburger ist die „QAnon“-Erzählung eine der gefährlicheren Verschwörungstheorien“. Wegen der bizarren Überzeichnung eines übermächtig-bösen Gegners legitimiere sie Gewalt als legitimes Mittel.
Quelle:
Weltverschwörung am Gartenzaun: Corona-Pandemie lässt Unfug sprießen
(Tiroler Tageszeitung)
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, zu welch tatkräftiger Heldengestalt Donald Trump aufgeblasen wird. Er befreit Kinder aus Folterkellern und steckt hinter der «Verhaftung» von Angela Merkel….
In der Realität verbringt Trump wohl nach ziemlich übereinstimmenden Berichten einen sehr grossen Teil seiner Zeit mit dem Konsum seiner TV-Lieblingssendungen auf Fox News, mit Twittern und Golfspielen. Darüber hinaus veranstaltet er gerade noch die tägliche Corona-Presseshow, bei dem es im ganz offensichtlich vor allem um seine Einschaltquoten geht.
Weitere Informationen:
Zu QAnon
Zum «Deep State»
Und zu den Verschwörungstheorien des Xavier Naidoo: