Lukaschenko, der langjährige Diktator in Belarus, sieht sich seit Monaten mit einem mutigen Aufstand grosser Bevölkerungsteile konfrontiert, der sich gegen dreiste Wahlfälschungen richtet.
Gewalt, Verschwörungstheorien und Antisemitismus sind die Antwort des Herrschers. Mit Verschwörungstheorien versucht Lukaschenko den Einsatz von Gewalt zu rechtfertigen:
„Wir sehen eine ernste Bewegung der Streitkräfte der Nato in unmittelbarer Nähe unserer Grenzen auf den Gebieten Polens und Litauens.“ Vom Ausland werde versucht, Belarus eine Revolution aufzuzwingen: „Da fließt Geld. Aber bald werden diese Leute, die hier demonstrieren, ihre Euro und Dollar abgearbeitet haben.“
Beweise für Lukaschenkos absurde Unterstellungen existieren nicht. Aber es ist bequem, ein Feindbild im Ausland zu bewirtschaften und damit von inneren Problemen abzulenken.
Lukaschenko behauptet: Gegner werden aus Polen und dem Baltikum gesponsert
Korrekt ist, dass die bedeutendste mediale Plattform der Protestbewegung von einem jungen Belarussen gesteuert wird, der in Polen lebt. Stepan Putilo, ein 22-jährige Student, gründete im Messengerdienst Telegram den Kanal „Nexta“, gesprochen Nechta, zu Deutsch „Jemand“. Dabei ist der Name Programm: Jemand müsse endlich die Wahrheit sagen. Über diesen Telegram-Dienst verbreiteten sich zum Anfang der Revolte alle relevanten Aufrufe der Protestierenden.
Gegenwärtig existieren keine Hinweise darauf, dass hinter Putilo Kräfte aus Polen oder dem Westen stehen. Der junge Belarusse fing jedenfalls bereits als 17-jähriger YouTuber unter dem Pseudonym Nexta damit an, über „Lukaschenko-Land“ zu lästern, und forderte damit den Diktator heraus. Darum ging er zum Studium lieber nach Polen. Sein Messenger-Dienst, der sich nach eigenen Angaben aus Werbung finanziert, war also eher zufällig da, als die Revolte in Belarus begann.
Regimekritische Organisationen aus Belarus mit Sitz in Polen
Mehrere regimekritische Organisationen aus Belarus haben ihren Sitz. Dazu gehören der TV-Sender Belsat und die Menschenrechtsallianz Charta’97, die ein eigenes Nachrichtenportal betreibt. Die Macher gehen offen damit um, wer sie unterstützt.
Belsat beispielsweise wird vom polnischen Staatsfernsehen betrieben und damit maßgeblich von der Regierung in Warschau finanziert. Charta’97 wiederum erhält Geld vom niederländischen Staat, aber auch von der Stiftung des Philanthropen und Investors George Soros. Der 90-Jährige mit den ungarisch-jüdischen Wurzeln wird in den staatlich kontrollierten Medien in Belarus zu den Hintermännern der Proteste gezählt.
In Belarus spricht alles gegen eine gekaufte Revolte
Ein gewisses finanzielles Engagement aus dem Ausland macht noch keine Revolution. Denn es gibt wohl nur sehr wenige Menschen, die bereit sind, sich für Geld in mehreren „Blutnächten“ in Folge in einen aussichtslosen Kampf gegen die schwer bewaffnete Sonderpolizei Omon zu stürzen. Wer die Bilder von verformten Körpern mit verrenkten Gliedern gesehen hat und die Spuren der Folter in den berüchtigten Spezialgefängnissen, der glaubt nicht mehr an Protestprofis, die ihr Honorar abarbeiten. Ohne Belege von gekauften Demonstranten zu sprechen ist eine perfide Unterstellung und Diffamierung. Es stellt mutige Protestierende, die für ihr Recht auf freie Wahlen einstehen, als käufliche Marionetten hin und spricht ihnen jeden eigenen Willen ab. Die gleiche Diffamierungsstrategie wurde von der russischen Propaganda und ihren Lakaien gegen die Demonstrierenden auf dem Maidan in Kiew eingesetzt.
Auch der dezentrale Charakter der Revolte spricht gegen einen vom Westen organisierten Putsch. Die Menschen in Belarus gehen ja überhaupt nicht nur in der Hauptstadt Minsk auf die Straße, sondern in beinahe allen Landesgegenden. In Grodno im Westen oder Gomel im Osten lässt sich jedoch kein Regimewechsel orchestrieren.
Auch die Anführerinnen der Proteste in Belarus stehen für die Echtheit der Anliegen. Swetlana Tichanowskaja ist eine Lehrerin, die sich vor der Revolte auf die Arbeit im Haushalt und die Erziehung der Kinder konzentrierte. Sie kam nur in ihre Position, weil Lukaschenko ihren Mann Sergej verhaften liess. Der Blogger hatte sich zur Stimme der belarussischen Provinz entwickelt. Tichanowskajas bedeutendste Mitstreiterin Maria Kolesnikowa war Wahlkampfleiterin des Ex-Bankers Wiktor Babariko, einem ehemaligen Topmanager der Belgazprombank. Dieses Finanzinstitut ist eine Tochterfirma der Moskauer Gazprom-Bank, die wiederum eng mit dem gleichnamigen Energieriesen verbunden ist. Eine Spur nach Westen ist da nicht zu finden.
Für die Verschwörungstheorien des Alexander Lukaschenko bleibt da kein Platz.
Antisemitische Kampagne gegen die Revolte
«Im Rahmen einer perfiden Doppelstrategie betreibt die Diktatur in Belarus eine radikale antiwestliche, durch tradierte antijüdische Parolen und abstruse Verschwörungstheorien ergänzte Propaganda», schreibt der Historiker Alexander Friedmann in einem Beitrag für die «Tageszeitung» (TAZ).
Er stammt aus Minsk und lehrt als Historiker an der Universität des Saarlands und an der Universität Düsseldorf. In seinem Beitrag weist Friedmann auf viele antisemitische Anspielungen hin, die vom Regime in Belarus oder von seinem Umfeld gegen die Protestierenden angewendet werden:
«In staatlich kontrollierten Medien tauchen Personen auf, die sich ungeniert der Hetzsprache bedienen und die Proteste zu einem westlichen „antibelarussischen Komplott“ stilisieren, dessen wahre Hintermänner „die Juden“, der US-Philanthrop George Soros und der französische Intellektuelle Bernard-Henri Lévy seien. Lévy, der die Lukaschenko-Rivalin Swetlana Tichanowskaja offen unterstützt, wird als „Goebbels moderner Zeiten“ verunglimpft.
In sozialen Netzwerken verbreiten sich diverse Fake News über eine vermeintlich jüdische Herkunft (alternativ israelische Staatsbürgerschaft) von Tichanowskaja und von weiteren Oppositionspolitikern. In bekannter altsowjetischer Manier werden Regimekritiker mit jüdisch anmutenden Namen beschimpft und sogar mit dem biblischen Judas verglichen. Man spottet über „Protestaktivisten mit abartigen semitischen Gesichtszügen“. Die vom Präsidialamt herausgegebene Zeitung vermutet Mossad-Agenten unter Lukaschenkos Gegnern und legt den mit der Situation in Belarus unzufriedenen und mit der Protestbewegung sympathisierenden belarussischen Juden die Auswanderung nach Israel nah.»
Quellen:
Proteste in Belarus: Alle nur gekauft? (Frankfurter Rundschau)
Belarus: Oppositionspolitikerin Kolesnikowa verschleppt (Frankfurter Rundschau)
Staatspropaganda in Belarus: Antisemiten für Lukaschenko (Tageszeitung, TAZ)
Und hier die Berichte von Amnesty International (Schweiz) zu Belarus (Weissrussland):
https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/weissrussland