Landtagspräsidentin Ilse Aigner will in Bayern ein Beratergremium einsetzen. Abgeordnete sollen dadurch Empfehlungen für den Umgang mit Verschwörungstheoretikern bekommen. Auch die „Querdenker“ hat der Freistaat Bayern im Visier.
Das Beratergremium, dem unter anderem Psychologen oder Staatsrechtler angehören, soll die Problematik der Verschwörungstheorien ergründen. Im Januar findet die nächste Videositzung statt, danach will man eine Handreichung für Abgeordnete erarbeiten.
Verschwörungstheorien als Brutstätte demokratiegefährdernder Tendenzen
„Verschwörungstheorien gab es schon immer, aber über die sozialen Medien erhalten sie eine Dynamik, die einem Angst machen kann“, sagt Aigner, und fügt an, es gehe nicht darum, legitimen Protest zu kritisieren: „Aber wir müssen eine Trennlinie herausarbeiten zwischen einer begründeten anderen Meinung und Verschwörungstheorien“ – Letztere seien „Brutstätte für demokratiegefährdende Tendenzen“.
Das Beratergremium hat bereits definiert, wie sich Verschwörungstheorien zu Fake News abgrenzen, bei denen Falschnachrichten bewusst hergestellt und verbreitet werden. Aigner sagt dazu: „Bei der Verschwörungstheorie ist es ja wirklich so, dass die das glauben. Nichts ist ein Zufall, sondern alles ein großer Plan. Oft auch antisemitisch und da wird es irgendwann richtig gefährlich.“
Bei den Verschwörungstheorien, die derzeit nicht nur in Bayern Hochkonjunktur haben, geht es häufig um einen angeblichen „großen Plan“, der hinter der Pandemie steckt. Unterstellt wird beispielsweise ein perfides Treiben von Eliten zur Bereicherung oder Dezimierung der Weltbevölkerung, eine Verschwörung von Hochfinanz, Politik und Medien. Diese Elemente werden variabel und in Bruchstücken verwendet, oft ergänzt durch Hetze gegen Minderheiten oder „Reichsbürger“-Ideologie. Hinzu kommen Abstrusitäten wie von QAnon, nach deren These Eliten Kinder gefangen halten, um aus dem Blut ein angebliches Verjüngungselixier (Adrenochrom) zu gewinnen. Auch kuriose Meldungen kommen vor, wonach etwa der Staat Stechmücken züchtet, die im Winter überleben und heimlich den neuen Covid-Impfstoff verabreichen sollen.
CSU-Politikerin Ilse Aigner sieht „eine Polarisierung von Gut und Böse. Die Guten, die angeblich erkannt haben, was im Hintergrund abläuft. Und die anderen sind die Bösen oder die Unwissenden. Das ist dann schon ein bisschen sektenartig“.
Dagegen komme man auch mit Fakten kaum an, stellt Aigner fest, und vermutet, dass es schwer werde, «Querdenker» wieder zurückzuholen. Es gehe um die vielen, die einfach mitlaufen.
Die Expertise zeige ihr auch, dass in diesen Milieus ein Gewaltpotenzial stecke.
Ministerpräsident Söder deutet Neubewertung der «Querdenker» in Bayern an
Nach der Eskalation von Protesten in Leipzig im November kündigte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine Neubewertung der «Querdenker»-Bewegung durch die Behörden an. Der Verfassungsschutz in Bayern hat bisher die Linie vertreten, dass die Organisatoren „dem bürgerlichen Bereich“ zuzurechnen seien; auch wenn zahlreiche Demos von Rechtsextremisten oder „Reichsbürgern“ besucht werden. Inzwischen hat jedoch der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg die «Querdenker»-Bewegung als Beobachtungsobjekt eingestuft. Die Behörde sieht hinreichend Anhaltspunkte für eine extremistische Bestrebung.
Der Verfassungsschutz in Bayern achte genau auf die Unterwanderung von Extremisten und auch den Einfluss von Verschwörungstheorien wie QAnon auf die «Querdenker»-Bewegung, hiess es.
Landtagspräsidentin Aigner weist darauf hin, dass die Corona-Krise komplex ist. Sie vermutet, dass das auch manche überfordert: „Und dann suchen sie halt einfach die Erklärung in einer übergeordneten Macht, die alles steuert, um dieser Komplexität zu entfliehen und damit auch der Unsicherheit.“
Aigner hält deshalb nicht davon, pauschal von „Covidioten“ zu sprechen. Reden hält sie immer noch als das Beste. Im Gespräch könne man dann feststellen, „ob es noch Sinn macht oder nicht. Irgendwann muss man vielleicht auch mal abbrechen“. Zu diesen Fragen erhofft sie sich Empfehlungen durch die Experten.
Quelle:
Extremismus in Bayern Wider die Wirrköpfe (Süddeutsche)
Anmerkungen:
☛ Dass Verschwörungstheorien eine „Brutstätte für demokratiegefährdende Tendenzen“ sein können, wird hier detaillierter erläutert:
Warum sind Verschwörungstheorien eine Gefahr für demokratische Gesellschaften?
☛ Die von Aigner angesprochene Polarisierung in diejenigen, «die angeblich erkannt haben, was im Hintergrund abläuft..und…die Unwissenden», zeigt sich im Jargon der Verschwörungsgläubigen oft sehr deutlich. Sie selbst sind die «Aufgewachten», alle anderen, die nicht an die Verschwörungstheorie glauben, sind die dummen «Schlafschafe».