Die Reichsbürgerszene in Bayern wächst. Durch die Coronakrise bekommt sie Zulauf von Verdrossenen.
Ein Sprecher des Landesamtes für Verfassungsschutz sagt: „Der Trend, dass Reichsbürger und Selbstverwalter die Pandemie ausnutzen und instrumentalisieren und über die damit verbundenen Themenbereiche ihre Ideologie versuchen zu transportieren, hat sich auch im Jahr 2021 fortgesetzt.“
Zur Reichsbürgerszene werden Anhängerinnen und Anhänger einer Ideologie gezählt, die die Rechtmässigkeit der Bundesrepublik ablehnen. Sie sehen sich stattdessen als Bürger eines Deutschen Reichs. Hintergrund ist oft eine grimmige Verdrossenheit gegenüber Politik und Staat. Die Ideologie der Reichsbürger gilt als rechtsgerichtet. Verbindungen zum Rechtsextremismus konnten jedoch nur in Einzelfällen belegt werden.
Ideologisch verwandt mit der Reichsbürgerszene sind sogenannte Selbstverwalter, die eigene Staaten um ihre Anwesen ausrufen und sich mit Fantasieflaggen und Fantasiewappen ausstatten. Häufig sind die Mitglieder bewaffnet, weil sie glauben, ihr „Staatsgebiet“ schützen zu müssen. Das kann zu Gewalt führen. So hatte am 19. Oktober 2016 ein damals 49-Jähriger Reichsbürger bei einer Polizeirazzia in Georgensmünd um sich geschossen. Ein Polizist wurde durch Schussverletzungen getötet, weitere wurden verletzt. Wegen Mordes und versuchten Mordes ist der Schütze zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Schon in ihrem Jahresbericht 2020 hatten die Verfassungsschützer mehr Bewegung in der Reichsbürgerszene und bei sogenannten Selbstverwaltern beobachtet. Die Sicherheitsbehörden stellten bereits am Ende des vergangenen Jahres:
„Verschwörungstheorien von Reichsbürgern finden infolge der Corona-Krise größere Verbreitung.“
Reichsbürgerszene nutzt Schulausfall
Neu ist in diesem Jahr laut den Verfassungsschützern das Phänomen, dass sogenannte Reichsbürger versuchten, den durch Corona bedingten Schulausfall für ihre Zwecke zu nutzen und private Lernkreise mit ihrer Ideologie aufzubauen: „Zu den Ursachen, der Ausbreitung und den Folgewirkungen der Corona-Pandemie verbreiten Reichsbürger und Selbstverwalter Fake-News, die mit verschwörungstheoretischen Elementen verwoben werden“, stellt der Verfassungsschutzbericht fest, und ergänzt: „Sie behaupten beispielsweise, es handle sich bei Covid-19 um eine absichtlich entwickelte Krankheit mit dem Ziel, die Weltbevölkerung zu dezimieren.“
Umsturz-Träume
Für die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun ist die Corona-Pandemie ein Katalysator für Verschwörungstheorien: „Man träumt von einem Umsturz, bereitet sich darauf vor und glaubt, dass dieser Zustand durch Corona wahrscheinlicher geworden ist“, erklärte die Buchautorin dem BR.
In Bayern steigt die Zahl der sogenannten Reichsbürger leicht an, stellen die Sicherheitsbehörden fest (31.12.2019: etwa 3.920 Personen/31.12.2020: etwa 4.130 Personen/30.06.2021: etwa 4.330 Personen).
Das Polizeipräsidium Mittelfranken sieht allerdings keine Zunahme an Gewalttaten.
Es gebe aber eine Reihe von Menschen, die durch häufige Schriftwechsel versuchten, die Ämter lahmzulegen. Gerichtsvollzieher erbäten Polizeischutz, wenn in der Reichsbürgerszene Zwangsräumungen bevorstünden. Meist reiche es dann aber, wenn die Polizei anwesend sei, sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums.
Seit Georgensgmünd habe sich aber viel verändert, sagt die Politikwissenschaftlerin und Buchautorin Katharina Nocun. In einigen Behörden gäbe es inzwischen Handreichungen zum Umgang mit Reichsbürgern. Das schmälere jedoch nicht das Gefahrenpotential, das von der Reichsbürgerszene ausgeht. Da seien Menschen mit Bundeswehr- und teilweise mit Polizeierfahrung dabei. Paramilitärische Trainings seien in dem Milieu keine Seltenheit.
Quelle:
Fünf Jahre nach Georgensgmünd: Die Reichsbürgerszene wächst (BR24)
Siehe auch:
Was vereint die Reichsbürgerszene?
BRD GmbH – ein Phantasiekonstrukt der Reichsbürgerbewegung
Reichsbürger – an welchen Handlungen erkennt man sie?
Reichsbürger – an welchen Handlungen erkennt man sie?
Beitrag zur Reichsbürgerbewegung in der Enzyklopädie:
Reichsbürger, Reichsbürgerbewegung