Die Stadt Bautzen in Sachsen bekommt eine Selbsthilfegruppe für Menschen, deren Angehörige an Verschwörungstheorien glauben.
Das Angebot gehört zum Projekt „Debunk“ der gemeinnützigen Amadeu-Antonio-Stiftung. Das vor zwei Jahren gegründete Projekt entwickelt Angebote, welche Antisemitismus und Verschwörungsideologien in Sachsen entgegenwirken können. Gefördert wird das Projekt unter anderem vom Bundesfamilienministerium und dem Land Sachsen.
Angehörige besonders betroffen
Wenn eine Person an Verschwörungsideologien glaube, habe das weitreichende Auswirkungen auf das nähere Umfeld, sagt der Projektleiter Benjamin Winkler im Interview mit „Sächsische.de“. Denn Verschwörungsgläubige behielten ihre Überzeugung nicht für sich, sondern wollten andere davon überzeugen. Auf Angehörige macht dieser Missionierungsdrang oft grossen Eindruck und aus ihrer Sicht geht das dann manchmal in Richtung einer psychischen Erkrankung oder einer Radikalisierung zum Terrorismus.
Besonders dramatisch kann sich die Situation entwickeln, wenn es gemeinsame Kinder gibt, und ein Elternteil Einfluss auf diese zu nehmen versucht.
Sondersituation in Bautzen
Laut Benjamin Winkler gibt es in Bautzen eine „Sondersituation“.
In dieser Stadt gebe es nicht nur eine rechtsextreme Szene, sondern „auch eine Mischung aus Menschen, die einerseits in der Friedensbewegung unterwegs sind, andererseits im Bereich der Libertären – die also das moderne Staatswesen ablehnen“. Zudem gebe es Esoteriker und religiöse Fundamentalisten. All diese Milieus sollen sich vor Ort in einer „Art Freundeskreis“ zusammengefunden haben. Winkler sagt dazu:
«Wer sich mit Frieden beschäftigt, stellt auch völlig berechtigte Fragen nach der Ursache von Krieg. An der Stelle kann man sich aber auch verrennen, wenn man sehr einfache, monokausale Erklärungen findet. Das sieht man sehr gut auf den Montagsdemos: Wenn sich linke mit rechten Kriegsgegnern vereinen, tun sie das nicht vorrangig, weil sie beide Krieg ablehnen, sondern weil sie überzeugt sind, dass hinter dem Krieg dunkle Machenschaften stünden, gegen die man kämpfen müsse.»
Diese Überzeugung macht anfällig für verschiedenste Verschwörungstheorien.
Zahlreiche Verschwörungsgläubige sind für normale Kommunikation nicht mehr erreichbar. Sie wähnen sich in einem Ausnahmezustand und haben das tiefe Gefühl, sie müssten etwas verändern und Menschen wie den Partner oder die Kinder retten.
Trotzdem gibt es laut Winkler Möglichkeiten für Angehörige – abhängig davon, wie sehr die Betroffenen bereits radikalisiert sind: „Durch Gespräche und gemeinsame kritische Reflexion, auch durch starke soziale Beziehungen lassen sich Menschen wieder zurückgewinnen.“
Quellen:
Bautzen gründet Selbsthilfegruppe für Angehörige von Verschwörungsgläubigen (t-online)
Mein Mann glaubt an eine Verschwörung – was tun? (msn, Sächsische Zeitung)
Anmerkung:
☛ Aus der erwähnten Mischung von Friedensbewegung, Esoterikern, religiösen Fundamentalisten und rechtspopulistischen bis rechtsextremen Kreisen speist sich der Verein «Bautzner Frieden». Der «Bautzner Frieden» verleiht jährlich den mit 150 Euro dotierten ««Bautzner Friedenspreis», der im Jahr 2020 an den «Truther» und selbsternannten Friedensforscher Daniele Ganser ging. Siehe dazu:
Daniele Ganser und der Bautzner Friedenspreis.
☛ Angehörige von Verschwörungsgläubigen leiden oft stark unter der Situation. Deshalb sind Selbsthilfegruppen für Angehörige eine unterstützungswürdige Idee.
Siehe auch:
Was tun, wenn Familienmitglieder in Verschwörungstheorien versinken?
Wenn Verwandte an Corona-Verschwörungstheorien glauben – Tipps von Experten
Tipps zum Umgang mit Corona-Verschwörungstheorien
Extremismus nimmt zu – auch innerhalb von Familien
Verschwörungstheorien in der Familie – vier Tipps