Im historischen Beginenturm in Hannover ist eine künstlerische Installation zu sehen, die eine Brücke schlägt zwischen lokalgeschichtlicher Hexenverfolgung und Verschwörungstheorie.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Marcus Peter und Katharina Peter. Sie gingen dazu Prozessakten der Hannoverschen Hexenprozesse der Jahre 1604 und 1605 durch.
Zu den als Hexen hingerichteten Frauen gehört Ilse Hertsch, die am 16. November 1605 verbrannt wurde, nachdem sie in Haft gestorben war. Ilse Hertsch war Kuhhüterin. Als einige Kühe starben, wurde die Frau beschuldigt, die Tiere vergiftet zu haben. Sie wurde als „Zaubersche“ bezeichnet.
Ilse Hertsch wurde vorgeworfen, „vom Teufel beschlafen“ worden zu sein und Unglück zu bringen. Sie wurde auch geschlagen und gefoltert. Am Ende habe sie selbst geglaubt, dass sie „des Teufels“ sei, erklärt die Stimme, die in der Ausstellung ihre Geschichte erzählt. Das illustriert, wie die Frauen manipuliert und psychisch gebrochen wurden.
Ein Video-Essay in der Ausstellung zeigt, wie eng der Diskurs um die Hexenverfolgung mit den Verschwörungstheorien, die heutzutage im Umlauf sind, verbunden ist. Darin werden die Regeln für Verschwörungstheorien genannt, zum Beispiel „Nichts geschieht aus Zufall“ oder „Alles ist miteinander verbunden.“ Dabei wird auch deutlich, dass Verschwörungstheorien über Emotionen funktionieren: Die Menschen brauchen Geschichten, um eine Verschwörungstheorie anzunehmen. Auch das Gefühl, im Recht zu sein, sei für Verschwörungsgläubige entscheidend, erklärt Peter. Es gehe nicht um die Wahrheit, sondern um Selbstbestätigung.
Die Neurowissenschaftlerin Katharina Schmack erläutert im Video-Essay, dass Verschwörungstheorien wie Drogen wirken, weil durch das Erkennen eines vermeintlichen Musters Dopamin ausgeschüttet und ein Glücksgefühl ausgelöst werde.
Hannover war keine Hochburg der Hexenverfolgung
Marcus Peter erklärt, dass Hannover keine Hochburg der Hexenverfolgung war. Aber mindestens 27 Menschen seien als Hexen hingerichtet, zu Tode gefoltert oder verbrannt worden. Und diese Morde seien nicht etwa im Mittelalter geschehen, sondern in der Neuzeit. Es sei zu einfach, Hexenverfolgungen als vergangenen Teil der Geschichte anzusehen:
„Dieses Denken und diese Muster sind nicht überwunden.“
Auch Aufklärung reichte nicht. Da Verschwörungserzählungen über Emotionen wirken, können die Menschen auch nicht mit Fakten erreicht werden, erklärt Peter. Man solle deshalb versuchen, die Ängste der Menschen zu verstehen: „Wir müssen das Irrationale als Teil des menschlichen Seins begreifen.“
Hexenverfolgung in Hannover: Erfundene Schuldige (Tageszeitung, taz)
Anmerkungen:
☛ Die Hexenverfolgung lässt sich nicht in die gleiche Schublade stecken wie moderne Verschwörungstheorien. Nichtsdestotrotz gibt es aber zwischen den beiden Phänomenen auch Ähnlichkeiten und Verbindungen, zum Beispiel das Sündenbock-Denken. Siehe dazu auch: Sündenböcke als Kernelement von Verschwörungstheorien
☛ Bedenklich ist, dass Elemente der Hexenverfolgung in modernen Verschwörungstheorien wieder auftauchen. Beispiele dafür sind die Satanismus-Verschwörungstheorie und die Unterstellungen von ritualisiertem Kindesmissbrauch durch die QAnon-Sekte. Hier wird unterstellt, dass liberale Eliten Kinder foltern, um aus ihrem Blut das angebliche Verjüngungsmittel Adrenochrom abzuzapfen. Die politische Agenda hinter dieser Diffamierungskampagne ist leicht ersichtlich, ausser für die QAnon-Fans selber, die nicht merken, dass sie manipuliert werden. Die QAnon-Legende knüpft an die antisemitischen Ritualmordlegenden an.
☛ Siehe auch den Beitrag in der Enzyklopädie:
Hexen-Verschwörung & Hexen-Verfolgung