Eine repräsentative Studie des Parlaments in Österreich zeigt einen starken Zusammenhang zwischen einer hohen Neigung zu Verschwörungsmythen und antisemitischen Einstellungen. Antisemitismus sei „kein Randphänomen“, sondern komme seit jeher „aus der Mitte der Gesellschaft – auch heute“, sagte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) bei der Vorstellung der neuen Antisemitismusstudie, die im Auftrag des Parlaments durchgeführt wurde.
Ohne ihn namentlich zu nennen, kritisierte Sobotka dabei auch den FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl, der in einer Rede bei den Corona-Demos Israel etwa „Gesundheitsapartheid“ vorgeworfen hatte: Man verwende diese Vergleiche, „weil diese antisemitischen Grundmuster noch in einer ungeheuren Dichte und Breite vorhanden sind“, erklärte Sobotka. Wenn man die Rede hernehme, sehe man ganz klar, es werde kein anderes Land erwähnt, das auch Lockdowns habe oder eine besondere Impfstrategie, sondern es werde Israel genannt. Kickl bemühe den Sprachbegriff der „Apartheid“ und der „Unfreiheit“, wissend, dass Israel eigentlich die einzige Demokratie in dieser Region sei, kritisierte Wolfgang Sobotka.
Antisemitismus lauter geworden im Internet
Die Studie hatte zum Ziel, „Antisemitismus in Österreich nachhaltig wissenschaftlich zu beobachten und auch in einen Kontext zu aktuellen Entwicklungen zu stellen“, sagt Sobotka. Sie wurde vom Institut für empirische Sozialforschung (Ifes) durchgeführt. Nach einer ersten Erhebung im Jahr 2018 wurden im vergangenen November und Dezember erneut 2.000 Menschen ab 16 Jahren befragt. Im Vergleich seien antisemitische Einstellungen in diesem Zeitraum etwas zurückgegangen. Allerdings seien sie beispielsweise im Internet deutlich lauter geworden, erklärte Sobotka.
Das Resultat der repräsentativen Studie:
Es zeigte sich ein Zusammenhang zwischen dem hohen Vertrauen in soziale Medien und Antisemitismus. Personen, die auf Informationen aus traditionellen Qualitätsmedien vertrauen, neigen hingegen weniger zu Antisemitismus. Zudem hängt eine hohe Neigung zu Verschwörungsmythen stark mit antisemitischen Einstellungen zusammen.
Verschwörungstheorien und Antisemitismus
Etwa 28 Prozent der befragten Personenstimmten der Aussage zu: „Eine mächtige und einflussreiche Elite (z. B. Soros, Rothschild, Zuckerberg …) nutzt die Corona-Pandemie, um ihren Reichtum und den politischen Einfluss weiter auszubauen.“ Das gilt als Aussage mit antisemitischer Bedeutung, weil damit auf eine (angebliche) mächtige, einflussreiche, jüdische Elite angespielt wird, auch wenn das den Befragten wohl nicht immer klar war.
Auffallend war nun: Unter den Befragten mit einem hohen Hang zu Verschwörungsmythen stimmten 59 Prozent dieser Aussage zu.
Hingegen stimmten nur 13 Prozent der Personen, die einen niedrigen Hang zu Verschwörungstheorien zeigten, der Aussage zu.
Der Projektkoordinator Thomas Stern äusserte diesbezüglich, dass Antisemitismus auf jahrhundertealten Traditionen von Verschwörungsmythen basiere: „Menschen mit hohem Hang zu Verschwörungsmythen sind deutlich antisemitischer als der Rest der Bevölkerung.“
Laut Studie zeigen rund 13 Prozent der Befragten einen hohen Hang zu Verschwörungstheorien, 41 Prozent dagegen einen mittleren und 32 Prozent einen niedrigen Hang, an solche Mythen zu glauben.
Welche Faktoren spielen für Antisemitismus eine Rolle?
Laut der Politikwissenschaftlerin Eva Zeglovits vom Institut für empirische Sozialforschung (Ifes) spielen vor allem die Faktoren Alter und Bildungsgrad bei Antisemitismus eine Rolle.
Je älter die befragten Personen sind, desto eher halten sie antisemitische Aussagen für zutreffend.
Personen mit höheren formalen Bildungsabschlüssen äussern hingegen deutlich weniger Zustimmung oder deutlich höhere Ablehnung. „Wir wissen, dass Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen wissen, was sozial erwünscht ist“, sagte Zeglovits.
Wie schon erwähnt, spielen der Medienkonsum und das Vertrauen in die genutzten Medien eine große Rolle. Zwar hat nur eine Minderheit angegeben, sozialen Medien zu vertrauen, doch laufen jene, die das tun, vermehrt Gefahr, antisemitische Aussagen für zutreffend zu halten. Wer dagegen traditionellen Medien vertraut, bewertet antisemitische Aussagen öfter als unzutreffend.
Der antisemitischen Aussage: „In den Berichten über Konzentrationslager und Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg wird vieles übertrieben dargestellt“ stimmen rund 24 Prozent der Befragten, die Tiktok vertrauen zu, und 16 Prozent derer, die Facebook und Youtube vertrauen. Von den Befragten, die auf traditionelle Medien setzen, stimmen nur vier Prozent der Aussage zu. „Unsere Zahlen belegen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Vertrauen in soziale Medien, Verschwörungsmythen und Antisemitismus“, kommentierte Zeglovits.
Quelle:
ANTISEMITISMUSSTUDIE:
Verschwörungstheoretiker anfälliger für Antisemitismus (Der Standard)
Anmerkungen:
☛ Sehr interessant an dieser Studie ist neben dem Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Verschwörungstheorien auch der Einfluss der (a)sozialen Medien. Es spricht generell viel dafür, dass Menschen, die sich überwiegend aus Facebook, YouTube & Co. informieren, über grosse Strecken desinformiert sind. Das gilt auch in Bezug auf Verschwörungstheorien. Siehe dazu:
YouTube als Propagandakanal für Verschwörungstheorien
Videos als Propagandamedium für Verschwörungstheorien
Facebook fördert Verschwörungstheorien
☛ Mehr zum Thema Antisemitismus und Verschwörungstheorien.
☛ Zum erwähnten Thema «Judenverfolgung und Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg» gibt es zunehmend Wissenslücken, an denen Verharmlosungen ansetzen können. Infos dazu gibt’s hier:
Yad Vashem – Internationale Holocaust Gedenkstätte
☛ Die erwähnte FPÖ bewirtschaftet Verschwörungstheorien sehr intensiv. Zwischen Populismus und Verschwörungstheorien gibt es viele Überschneidungen. Siehe dazu:
Verschwörungstheorien und Populismus