Die AfD wittert eine Verschwörung: Sie unterstellt den etablierten Parteien, dass sie einen groß angelegten Wahlbetrug planen. Ähnlich wie US-Präsident Donald Trump versucht die Rechts-aussen-Partei mit faktenfreiem Gerede, das Vertrauen in demokratische Prozesse zu untergraben. Die Verschwörungstheorie vom Wahlbetrug ist perfid, weil sie nicht nur den politischen Gegner diffamiert, sondern die Legitimität der Demokratie grundsätzlich zersetzt.
Die Schach-Legende Gary Kasparow hat es auf den Punkt gebracht:
„Eine faire Wahl als gefälscht zu bezeichnen, ist so kriminell wie eine gefälschte Wahl fair zu nennen.“
Wahlen durchführen, wenn Menschenansammlungen wegen einer Pandemie möglichst vermieden werden sollten, ist eine Herausforderung. Eine sehr naheliegende Möglichkeit ist, stärker auf Briefwahlen zu setzen.
Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat vor kurzem entschieden, dass auch eine reine Briefwahl möglich ist, falls Urnengänge aus medizinischen Gründen nicht in Frage kommen.
Der AfD-Abgeordnete Robert Farle schimpfte daraufhin vom Rednerpult des Landtags: „Diese ganze Pandemie ist ein Schwindel.“ Die Neuregelungen zur Briefwahl werde nur eingeführt, „um den größten Wahlbetrug dieses Landes im nächsten Jahr durchzuführen.“ Gegenüber dem ARD-Magazin Kontraste sagte Robert Farle: „An welchen Stellen dieser Betrug dann auftreten wird, werden wir am Wahltag ja dann erleben.“
Auch im Landtag von Thüringen verbreitet die AfD Zweifel an der Briefwahl: „Die Präsidentschaftswahl in Amerika ist ein Nachweis dafür, wie problematisch eine Briefwahl sein kann. Immer wieder tauchen Unregelmäßigkeit auf,“ verkündete der AfD-Abgeordnete Torgen Braga und zog daraus den Schluss: „Das ist alles kein Zufall, dass genau jetzt eine Briefwahl eingeführt werden soll.“
AfD-Landtagsfraktionen veröffentlichten auf Facebook sogar Anzeigen, in denen die Briefwahl dämonisiert wird. Darin ist die Rede von „manipulationsanfällig“ und von „Wahlunregelmäßigkeiten“. Der AfD-Bundestagsabgeordnete und Ex-Vorsitzende des Rechtsausschusses, Stephan Brandner, behauptete: „Briefwahlen ermöglichen ein hohes Maß an Manipulation. Bereits bei vergangenen Wahlen wichen die Ergebnisse der Briefwahl signifikant von denen der Präsenz ab.“
Und tatsächlich hat die AfD in den vergangenen Wahlen bei Briefwählern schlechtere Resultate eingefahren als bei Urnenstimmen. Bei der Bundestagswahl lag sie bei den im Wahllokal abgegebenen Stimmen bei zirka 14 Prozent, bei den Briefwahlstimmen nur bei zehn Prozent.
Für diese Unterschiede muss man aber nicht Manipulation oder Verschwörung unterstellen, wie die AfD es tut. Es gibt dafür sehr plausible Erklärungen.
Michael Kunert, Wahlforscher und Leiter des Umfrageinstituts Infratest-Dimap, bringt es auf den Punkt: „Generell ist es so, dass in Städten sehr viel mehr Briefwahl genutzt wird als auf dem flachen Land. Im Westen wird mehr Briefwahl gemacht als im Osten. In Städten ist die AfD schwächer. Im Westen ist die AfD schwächer.“
Die Briefwahl in Deutschland gilt allgemein als sicher
Bundeswahlleiter Georg Thiel erklärt dazu: „Das System der Briefwahl gibt es in Deutschland, da gab es noch gar keine AfD. Dieses Argument, was immer gesagt wird, Briefwahlen sind unsicher, es kommt da zu Verletzungen, das können wir hier nicht bestätigen.“
Trotzem setzt die AfD weiter auf die Unterstellung, dass die etablierten Parteien Böses im Schilde führen, wenn sie in den Parlamenten einer Ausweitung der Briefwahl zustimmen. Dabei fallen Ähnlichkeiten zu den USA auf, wo Präsident Donald Trump seit Jahren durch unbelegte Behauptungen vom Wahlbetrug das demokratische System untergräbt.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Link war Chef der OSZE-Wahlbeobachterkommission, die die Präsidentschaftswahl in den USA unter die Lupe nahm. Er hat – wie auch die Gerichte in den USA – keinen Ansatz für Wahlbetrug entdeckt. Zur Situation in Deutschland sagt Link:
„Wir sehen bei der AfD, dass sie ganz gezielt versucht, das Vertrauen in den ordnungsgemäßen Wahlprozess zu unterlaufen und zu unterminieren.“ Der FDP-Politiker sieht darin eine Parallele zu US-Präsident Trump und glaubt, dass das Sägen an den demokratischen Säulen, wie das Vertrauen in die Korrektheit der Wahlen, ein Ziel verfolgt: „Die AfD ist sich einig darin, dass man dieses System, so wie es heute ist, verändern will. Sie will einen Staat, in dem möglichst stark autoritär regiert wird.“
Die AfD untergräbt mit der Verschwörungstheorie vom Wahlbetrug das demokratische System
Der Extremismusforscher Matthias Quent ist Direktor des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft. Seiner Ansicht nach geht es der AfD nicht nur um das große Fernziel Systemwechsel. Die Legende vom Wahlbetrug helfe der Partei auch, Ungereimtheiten bei der Selbstdefinition zu überdecken: „Die Rechtspopulisten sind ja der Meinung, sie vertreten das Volk. Aber komischerweise werden sie nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung tatsächlich gewählt.“ Die AfD setze Verschwörungsideologien ein, um diesen kognitiven Widerspruch zu kaschieren und operiere zu diesem Zweck mit Manipulationsvorwürfen.
In den USA hat sich die Verschwörungstheorie vom Wahlbetrug in weiten Teilen der Republikanischen Partei festgesetzt. Ob sie auch in Deutschland auf fruchtbaren Boden fällt, lässt sich noch nicht abschliessend beurteilen.
Eine Umfrage zeigt allerdings, dass sie schon bedenklich verbreitet sind. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA für „Bild“ sagte mehr als jeder Fünfte Befragte, dass er mit Wahlbetrug bei der Bundestagwahl rechnet. INSA interviewte dazu Anfang Januar 10.006 Personen. „Für wie wahrscheinlich halten Sie großflächigen Wahlbetrug bei der Bundestagswahl 2021?“, hiess die gestellte Frage. Neun Prozent antworteten darauf mit „sehr wahrscheinlich“, weitere zwölf Prozent hielten es für „eher wahrscheinlich“. Völlig ausschließen wollten es nur 43 Prozent der Befragten („sehr unwahrscheinlich“), denkbar, jedoch „eher unwahrscheinlich“ hielten es 25 Prozent.
Diese Resultate illustrieren, dass Extremisten die parlamentarische Demokratie auch in Deutschland in Frage stellen und das Vertrauen in diese Staatsform damit unterminieren. Die zersetzende Verschwörungstheorie vom angeblichen Wahlbetrug ist somit nicht nur ein Phänomen in den USA. Politikerinnen und Politiker, aber auch Bürgerinnen und Bürger, sollten sich Gedanken machen, wie sie dieser bedenklichen Entwicklung entgegenwirken können.
Quellen:
AfD wie Trump: Die Mär von der gestohlenen Wahl (Tagesschau)
Bundestagswahl: So viele Deutsche rechnen mit Wahlbetrug – wie Donald Trump! (Der Westen)
Ergänzung:
Es ist nicht erstaunlich, dass die AfD Verschwörungstheorien bewirtschaftet. Populismus und Verschwörungstheorien überschneiden sich an mehreren relevanten Punkten. Siehe dazu:
Verschwörungstheorien und Populismus