Im Laufe des letzten Jahres greifen Impfgegner, Corona-Leugner und „Querdenker“ auf immer krudere und extremerer Verschwörungstheorien zurück. Geimpfte werden zunehmend zum Feindbild.
Auf Telegram überschwemmt sich die «Querdenker-Szene» gegenseitig tagtäglich mit ausschließlich jenen „Informationen“, die ihre Positionen bestärken. Die Inhalte sind dabei immer häufiger rassistisch oder antisemitisch.
Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen sagt im Gespräch mit dem «STANDARD», es gehe bei den Anfragen inzwischen primär darum, dass geimpfte Menschen eine Gefahr darstellen würden, „beziehungsweise darum, dass jemand sagt, der Partner oder die Partnerin will sich scheiden lassen, weil ich mich impfe“.
Während bisher meistens die Regierung oder zum Feindbild erkorene Personen wie Bill Gates angegriffen wurden, werde inzwischen auf einer sehr viel persönlicheren Ebene diskutiert, stellt die Expertin fest.
Geimpfte als Feindbild
Laut Ulrike Schiesser geht es nun um die Frage des zwischenmenschlichen Umgangs. Vor allem in Familien erhöhe das den Druck, zwischen Eltern würden Konflikte über mögliche Schulabmeldungen der Kinder entflammen, durch die Tests verhindert werden sollen. Konflikte gibt es jedoch auch rund um die Frage, ob man die eigenen Sprösslinge denn impfen lassen solle oder nicht.
In verschwörungstheoretisch ausgerichteten Telegram-Gruppen standen lange Zeit die Lockdowns und die angeblich drohende „neue Weltordnung„(NWO) im Fokus. Inzwischen ist es die Corona-Schutzimpfung – und zwar auf unterschiedlichste Art und Weise. Impfgegner stellen sich dabei einerseits als Opfer der Regierung dar, andererseits versuchen sie den Eindruck zu vermitteln, dass Geimpfte sie – und insbesondere Kinder – in Lebensgefahr bringen würden. Geimpfte sollen Spike-Proteine absondern. Nach Kontakt mit Geimpften bekommen Ungeimpfte angeblich „Shedding-Symptome“, weil diese Viren freisetzen würden. In entsprechenden Telegramgruppen erzählen Ungeimpfte von Herpes-Infektionen oder Schmerzen am Steissbein, nachdem sie mit Geimpften in Kontakt kamen. Da für Verschwörungsgläubige alles mit allem zusammenhängt und inzwischen viele Geimpfte herumlaufen, kann man natürlich alle möglichen Beschwerden den Geimpften in die Schuhe schieben. In eigens eingerichteten Telegram-Gruppen werden Geimpfte aber auch als „Laborratten“ bezeichnet, die sich wie Tiere verhielten. Die Ängste, die durch Impfgegner in die Welt gesetzt und bewirtschaftet werden, scheinen kaum Grenzen zu kennen.
Für all diese absurden Behauptungen gibt es keinerlei Belege. Sie sind vollkommen kontrafaktisch. Die Behauptungen stammen meist von bekannten Fake-News-Plattformen, rechtsradikalen Nachrichtenmedien oder auch von Betreibern anderer Telegram-Kanäle.
Kontaktabbrüche im nahen Umfeld
Die radikale Einteilung der Welt in Gut und Böse ist ein Kernelement in Verschwörungstheorien. Nun scheint also die Spaltung in gute Ungeimpfte und böse (gefährliche) Geimpfte an Bedeutung zu gewinnen. Das hat Konsequenzen bis in den privaten Bereich. Ein Beispiel schildert Ulrike Schiesser dem «Standard»:
«Eine Klientin habe ihr erzählt, dass sie regelmäßig eine Esoteriktherapie besucht habe. Als die behandelnde Person jedoch von ihrer Impfung erfuhr, habe sie sofort die Therapie abgebrochen, denn sie berühre „niemanden, der geimpft ist“. Sie sei davon unglaublich betroffen gewesen, da es sich um eine persönlich sehr gute Beziehung gehandelt habe. „Wer bin ich, wenn mir jemand sagt, ich will nicht im selben Raum mit dir sein, weil ich dann unfruchtbar werde? Das sind heftige Vorwürfe“, die aus dem engeren Umfeld kommen würden.»
Ein weiteres Beispiel liefert ein Bericht des „ORF Salzburg“ über ein Café in Strobl am Wolfgangsee (Flachgau). In Österreich gilt in der Gastronomie zurzeit eigentlich die 3G-Regel. Nur jene Personen dürfen ein Restaurant besuchen, die entweder geimpft, getestet oder genesen sind. Das Café in Strobl hat dagegen entschieden, nur nicht-geimpfte Personen zu bedienen.
Quellen:
VERSCHWÖRUNGSMYTHEN:
„Giftig, weil geimpft“: Wie es den Corona-Leugnern im Netz ergeht (Der Standard)
Dieses Café bedient nur ungeimpfte Personen (heute.at)